Viehzüchter gegen Ackerbauern
In Nigeria eskalieren die Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten
In Nigeria töten nicht nur die Terrorsekte Boko Haram und die Armee. Allein 2018 sind mehr als 1300 Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern zu Tode gekommen.
Es ist ein klassischer Konflikt um Wasser und Weide- oder Ackerland in einer Region, wo nutzbares Land schon lange knapp ist und durch Klimawandel und Bevölkerungswachstum weiter verknappt wird. Seit 30 Jahren werden diese Konflikte im westafrikanischen Nigeria vermehrt gewaltsam ausgetragen. Dieses Jahr sind die Auseinandersetzungen eskaliert: Mindestens 1300 Tote, und die Zahl der Vertriebenen wird auf etwa 300 000 veranschlagt. Das Problem ist so gravierend, dass sich der nigerianische Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka darüber beklagt, dass »ganze Dorfgemeinschaften von der Landkarte verschwunden« sind. »Tausende Familien trauern, und die Überlebenden sind traumatisiert und für immer gezeichnet.«
Die Angriffe konzentrieren sich in Bundesstaaten, die in der östlichen Hälfte des sogenannten Mittleren Gürtels (Middle Belt) von Nigeria liegen. Verantwortlich gemacht für die Gewalt werden vor allem Angehörige der heute noch oftmals halbnomadisch lebenden Fulbe. Diese auch Fulani oder Peul genannte Ethnie zählt 20 bis 30 Millionen Menschen, die über ganz Westafrika verstreut leben und traditionell Rinder züchten. Um ihre Tiere zu Orten zu bringen, wo sie genug Futter finden oder sich gewinnbringend verkaufen lassen, legen die Fulbe im Verlauf eines Jahres oft viele Hunderte Kilometer zurück.
Diese Lebensweise ist in den vergangenen Jahrzehnten immer schwieriger geworden, weil sich Rahmenbedingungen grundlegend ändern. Zum einen ist da der Klimawandel, der die Weidegründe im Norden Nigerias austrocknet und sowohl Menge wie Qualität des verfügbaren Futters mindert. Das drängt Mensch und Tier nach Süden – in die zentralen Regionen des Landes, wo mehr Regen fällt. Hier aber ist die Siedlungsdichte deutlich höher, und sie steigt weiter. Damit ändert sich die Landnutzung: Das Abbrennen von Buschland, aber auch die Dreioder Vierfelderwirtschaft gehören
der Vergangenheit an. Landwirtschaftliche Brachflächen sind in Nigeria praktisch verschwunden. Damit entfallen die Synergieeffekte einer kooperativen Landnutzung zwischen muslimischen Viehzüchtern und christlichen Ackerbauern. Denn früher beseitigten die Tiere Erntereste auf den Brachen, düngten die Flächen und hielten Unkräuter im Zaum.
Konfliktverschärfend kommt hinzu, das die Politik plump agiert und politische, religiöse und wirtschaftliche Eliten je nach ethnischer und geografischer Herkunft parteilich reagieren: So haben die Bundesstaaten Benue und Taraba das offene Grasen rundweg verboten, und viele Politiker im Süden drängen auf ein Verbot in ganz Nigeria. Dagegen sind die Fulbe im Norden hervorragend vernetzt. Die »Miyetti Allah Vereinigung der Viehzüchter Nigerias« steht unter dem Schutz des Sultans von Sokoto und wird von den Emiren von Kano, Zazzau und Katsina unterstützt. Muhammadu Buhari, der amtierende Präsident Nigerias, ist ebenfalls Fulbe und tut sich deshalb schwer, gegen die Gewalttäter einzuschreiten. Stattdessen hat Buhari versprochen, den Viehzüchtern Land zur Verfügung zu stellen und dafür umgerechnet etwa 430 Millionen Euro im Staatshaushalt bereitstellen lassen.
Allerdings werden auch immer wieder Viehdiebstähle von organisier- ten und ebenfalls mit Schnellfeuergewehren bewaffneten Banden verübt. Dabei werden alljährlich vermutlich Zehntausende Rinder erbeutet. Außerdem verfügen die in Zentralnigeria beheimateten ethnischen Gruppen – wie etwa die Bachama, Berom oder Tiv – selber über bewaffnete Milizen. Angesichts der Unterstützung, die solche Verbände von traditionellen, ethnischen, religiösen und politischen Führern genießen, ist das Argument der Selbstverteidigung vonseiten der Fulbe nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen.
Solange sich beide Seiten aber vor Strafverfolgung sicher fühlen können, wird sich die Lage nicht durchgreifend bessern. Zudem ist Nigeria viel zu groß, als dass Militär und Polizei der Lage ohne Weiteres Herr werden könnten. Wole Soyinka schließt seine Erklärung denn auch mit einem dringenden Appell: »Es wurden Verbrechen gegen unsere Menschlichkeit verübt, die entschädigt werden müssen. Das ist mindestens nötig, um das Vertrauen in die Regierung wiederherzustellen.«
»Tausende Familien trauern, und die Überlebenden sind traumatisiert und für immer gezeichnet. Wole Soyinka, nigerianischer Literaturnobelpreisträger