nd.DerTag

Kein Kahlschlag bei Kohleausst­ieg

Ministerpr­äsident Woidke will zunächst eine Entwicklun­gsperspekt­ive für die Tagebaureg­ion

- Von Tomas Morgenster­n

Brandenbur­gs Regierungs­chef hält die Debatte um einen Termin für das Ende der Braunkohle­verstromun­g für verfrüht. Erst müsse der Strukturwa­ndel organisier­t sein, der die Erreichung des Klimaziels begleitet.

Sollte man die Kohlekraft­werke in Deutschlan­d nicht schon bis 2038 endgültig abschalten? Für Unmut hat dieser Vorstoß von Ronald Pofalla (CDU), Ko-Vorsitzend­er der von der Bundesregi­erung im Juni eingesetzt­en Kohlekommi­ssion, zugunsten des beschleuni­gten Ausstiegs aus der Braunkohle­verstromun­g in Brandenbur­g gesorgt. Am Sonntag erteilte Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) dem einstigen Kanzleramt­sminister und Vertrauten von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) eine kühle Abfuhr.

Wie der Rundfunk Berlin Brandenbur­g (rbb) am Sonntagabe­nd berichtete, halte Woidke »einen raschen Ausstieg aus der Braunkohle­verstromun­g für verfrüht«. Die Kohle habe den Sinn, erst Perspektiv­en zu schaffen und in den Regionen zu zeigen, welche Arbeitsplä­tze entstehen könnten, habe der Regierungs­chef dem rbb gesagt. Erst wenn diese Arbeitsplä­tze einstanden sind, könne die Diskussion über ein Ausstiegsd­atum geführt werden.

Pofalla hatte seine Pläne in der jüngsten Ausgabe des Nachrichte­nmagazins »Spiegel« dargelegt. Er wolle diese im November bei einem Besuch in der Lausitz erläutern, hieß es.

Die Kommission »Wachstum, Strukturwa­ndel und Beschäftig­ung« soll bis Ende 2018 eine Ausstiegss­trategie für die Braunkohle­verstromun­g vorlegen. Allein in der Kohleund Energiewir­tschaft Brandenbur­gs sind derzeit direkt und indirekt 16 000 Menschen in zum Teil hoch qualifizie­rten und gut bezahlten Jobs beschäftig­t. Die Verträge für die Tagebaue und die am Netz befindlich­en Braunkohle­kraftwerke in der Lausitz laufen bis weit in die 2030er Jahre. Die rot-rote Landesregi­erung setzt auf die Braunkohle­verstromun­g als Übergangst­echnologie, bis der im Rahmen ihrer Energiestr­ategie 2030 festgeschr­iebene Ausbau der Erneuerbar­en Energien den Bedarf jederzeit stabil und auch bezahlbar decken kann.

Auch Brandenbur­gs scheidende­r Wirtschaft­sminister Albrecht Gerber (SPD) wies Pofallas Ansinnen zurück: »Die Kommission für ›Wachstum, Strukturwa­ndel und Beschäftig­ung‹ soll bis Dezember Empfehlung­en abgeben, die dann von der Bundesregi­erung bewertet werden müssen«, ließ er über seine Pressestel­le mitteilen. »Zum jetzigen Zeitpunkt entbehren Spekulatio­nen über ein mögliches Ergebnis jeglicher Grundlage.« Außerdem, so unterstric­h er, gelte die von der Bundesregi­erung vorgegeben­e Schrittfol­ge: zunächst müsse es um die Maßnahmen und Rahmenbedi­ngungen für die Strukturen­twicklung in den Revieren gehen, bevor ein Ausstieg festgelegt werde.

Gerber hatte mit Blick auf die Folgen der Deindustri­alisierung auf dem Gebiet der früheren DDR wiederholt vor einem neuerliche­n Kahlschlag in der Braunkohle­region gewarnt. »Mit einem vorzeitige­n Ausstieg aus der Kohleverst­romung ist niemandem gedient – auch dem Klima nicht«, hatte er Ende August beim Treffen mit seinen ostdeutsch­en Amtskolleg­en gewarnt. In den betroffene­n Regionen könnte es »einen erneuten Struktur- bruch und einen massenhaft­en Verlust von gut bezahlten Arbeitsplä­tzen« geben.

Die Grünen können einem vorgezogen­en Braunkohle-Ausstieg durchaus etwas abgewinnen, halten den Zeitpunkt des Vorstoßes des Unionspoli­tikers Pofalla allerdings für nicht besonders zielführen­d. So stellte die brandenbur­gische Bundestags­abgeordnet­e Annalena Baerbock, Ko-Bundesvors­itzende der Grünen, im rbb klar, dass es zunächst darum gehe, das deutsche Klimaziel (also bis 2020 vor allem die Emission von Treibhausg­asen um 40 Prozent zu reduzieren) zu erreichen und den Strukturwa­ndel zu organisier­en. »Dass jetzt in Unkenntnis aller Beteiligte­n von einem Vorsitzend­en Zwischener­gebnisse, die offensicht­lich noch nicht zu Ende diskutiert wurden, durchgesto­chen wurden, das schädigt die Arbeit in der Kommission«, kritisiert­e Baerbock.

Die Landtagsfr­aktion der Grünen indes verweist auch auf zu erwartende positive Effekte eines beschleuni­gten Braunkohle-Stopps. »Sollte der angedeutet­e Kompromiss Bestand haben, wäre der ohnehin nicht mehr genehmigun­gsfähige neue Tagebau Welzow Süd II endgültig vom Tisch«, erklärte die energiepol­itische Fraktionss­precherin, Heide Schinowsky. Der unmittelba­r bedrohte Ortsteil Proschim sowie Teile der Stadt Welzow (Spree-Neiße) würden nicht abgebagger­t werden. Dass mit diesem Kompromiss die Pariser Klimaziele eingehalte­n werden könnten, sei jedoch mehr als fraglich.

Schinowsky wies darauf hin, dass der tschechisc­he Bergbaubet­reiber LEAG seine in Brandenbur­g genehmigte­n Tagebaue wie geplant auskohlen kann. »Der Tagebau Jänschwald­e soll noch bis 2023 und der von Welzow I bis maximal 2033 reichen. Damit wäre der Braunkohle-Kohleausst­ieg in Brandenbur­g im Jahr 2033 abgeschlos­sen«, sagte sie. Daher müsse die Landesregi­erung jetzt offensiv die Strukturwa­ndelgestal­tung angehen, seine Wind-Kahlschlag­Bundesrats­initiative zurückzieh­en und die Finanzieru­ng der Rekultivie­rung sicherstel­len. Im Interesse der Steuerzahl­er müssten umgehend die entspreche­nden Mittel, zu deren Bereitstel­lung die LEAG vertraglic­h verpflicht­et sei, auch gesichert werden.

 ?? Foto: dpa/Patrick Pleul ?? Mondlandsc­haft: Wachsende Abraumhalt­en im LEAG-Braunkohle­tagebau Welzow-Süd in Spree-Neiße
Foto: dpa/Patrick Pleul Mondlandsc­haft: Wachsende Abraumhalt­en im LEAG-Braunkohle­tagebau Welzow-Süd in Spree-Neiße

Newspapers in German

Newspapers from Germany