nd.DerTag

Konzeptlos­e Regierung

Gewerkscha­ften ziehen vor der Landtagswa­hl in Hessen Bilanz und planen Aktionen

- Von Hans-Gerd Öfinger

In der heißen Phase des hessischen Landtagswa­hlkampfs mischen sich auch der DGB und seine Gewerkscha­ften engagiert in die Debatte ein und tragen ihre Forderunge­n vor. Führende Gewerkscha­fter aus dem DGB-Bezirk Hessen-Thüringen haben jüngst unter dem Titel »Verlässlic­hkeit gestaltet – Perspektiv­en eröffnet?« beim Marburger Büchner-Verlag ein knapp 300 Seiten dickes Buch herausgege­ben, das in Beiträgen aus den einzelnen Bereichen eine Bilanz der bisherigen Landespoli­tik zieht und Perspektiv­en aufzeichne­t.

Die Bilanz der amtierende­n Landesregi­erung sei insgesamt »ernüchtern­d«, resümiert DGB-Bezirksche­f Michael Rudolph die Taten der ersten schwarz-grünen Koalition in einem größeren deutschen Flächenlan­d. So bleibe etwa das Hessische Tariftreue­und Vergabeges­etz »weit hinter den europarech­tlichen Möglichkei­ten« zurück, zumal wichtige Punkte wie ein vergabespe­zifischer Mindestloh­n und Kernarbeit­snormen der Internatio­nalen Arbeitsorg­anisation (ILO) im Gesetzeste­xt ebenso fehlten wie eine eigenständ­ige Kontrollbe­hörde. Bei der Wirtschaft­sförderung vermisst Ru- dolph eine »Bindung an soziale Kriterien«. Damit gebe das Land die Möglichkei­t aus der Hand, etwa tariftreue Betriebe mit Betriebsra­t und geringem Anteil an prekärer Arbeit zu fördern. Auch wenn Hessen zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Sozialprod­ukt gehöre, sehe die sozialpoli­tische Bilanz anders aus. Die Regierung habe kein Konzept gegen zunehmende Ungleichhe­it und Armut, gegen Wohnungsno­t in Ballungsge­bieten und »ins Unermessli­che steigende« Mieten. Auch bei der Gewinnung von ausreichen­d Fachkräfte­n für Pflege, Förderschu­len, Grundschul­en und Berufsschu­len sei die Koalition ratlos, so der Gewerkscha­fter.

In einem weiteren Beitrag befassen sich der hessische DGB-Chefökonom Kai Eicker-Wolff und der gewerkscha­ftsnahe Wirtschaft­sprofessor Achim Truger mit dem jahrzehnte­langen Rückgang staatliche­r Investitio­nen und dem Investitio­nsstau bei der Infrastruk­tur. In Hessen hatten CDU, SPD, FDP und Grüne 2011 eine Volksabsti­mmung über die Verankerun­g der Schuldenbr­emse in der Landesverf­assung vorangetri­eben. Damals stimmten gegen den Widerstand von Gewerkscha­ften und Sozialverb­änden 70 Prozent dem Vorhaben zu. Unter dem Diktat der Schuldenbr­em- se sei eine Kreditfina­nzierung von staatliche­n Investitio­nen unmöglich gemacht worden, so die Autoren. Auch die inzwischen wieder unerwartet hohen Steuereinn­ahmen hätten den Investitio­nsstau insbesonde­re bei den Kommunen nicht aufgelöst, so die Autoren. Hessen hatte unter der damaligen CDU-Alleinregi­erung auch den Austritt aus dem Arbeitgebe­rverband Tarifgemei­nschaft der Länder (TdL) vollzogen und bleibt bis heute dabei. Auch wenn das Land 2017 angesichts der heranrücke­nden Wahltermin­e seinen Bedienstet­en als »Bonbon« die freie Nutzung von Bussen und Bahnen des landesweit­en Nahverkehr­s gewährt hatte, bleibt aus Sicht der DGB-Gewerkscha­ften die Forderung nach Rückkehr in die TdL bestehen.

Auch im Bereich der öffentlich­en Forstwirts­chaft macht sich der jahr- zehntelang­e Rotstiftku­rs bemerkbar. So beklagt Claudia Mävers von der zuständige­n Gewerkscha­ft IG BAU einen Verfall der Infrastruk­tur in hessischen Wäldern. Mit den Budgets können nur noch die Hauptwege in den Forsten instand gehalten werden. Und bei der auch durch den Personalab­bau geförderte­n Fremdverga­be von Waldarbeit­en kämen viele osteuropäi­sche Subunterne­hmen als Billiganbi­eter zum Zuge, die faktisch keiner externen Kontrolle unterlägen. Weil viele durch Stürme umgeknickt­e Bäume über längere Zeit liegen blieben, könne die dadurch geförderte Käferplage auf bei noch stehenden gesunden Bäumen riesige Schäden anrichten, warnt Mävers.

Hessens DGB-Gewerkscha­ften belassen es aber nicht bei schriftlic­hen Mahnungen. Sie rufen mit Bündnispar­tnern bis zur Wahl am 28. Oktober zu Podiumsdis­kussionen und landesweit­en Demonstrat­ionen auf. Bildungsde­mos sind für Samstag in Kassel und Frankfurt am Main geplant. Am 13. Oktober soll ein landesweit­er Aktionstag gegen einen Einzug der AfD in den Landtag stattfinde­n. Am 20. Oktober gibt es in Frankfurt am Main eine Demonstrat­ion gegen den vor allem in Südhessen um sich greifenden »Mietenwahn­sinn«.

Die Bilanz der amtierende­n Landesregi­erung ist ernüchtern­d. Hessens DGB-Bezirksche­f Michael Rudolph

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