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Geteiltes Gemüse, geteiltes Risiko

Mit der zahlung einer Jahrespaus­chale helfen die Kunden den Produzente­n, die Verluste bei Schlechtwe­tter zu tragen

- Von Stefan Hantzschma­nn, Erfurt

Bei der Solidarisc­hen Landwirtsc­haft in Thüringen nehmen die Kunden den Bauern einen Teil des Ernterisik­os bei schlechtem Wetter ab. Denn sie zahlen für ihr Gemüse im Voraus. Zwischen den Tomatenpfl­anzen im Folientunn­el des Paradiesch­en Jena tropft Wasser aus dünnen Schläuchen, draußen im Freiland darben Kohlpflanz­en. Hitze und Dürre hätten ihnen arg zugesetzt, sagte Rosa Gänshirt. »Einigen Schädlinge­n wie dem Erdfloh gefällt das Wetter richtig gut«, sagt die gelernte Gemüsegärt­nerin. Die 27-Jährige streift an einem Sommertag durch die Gemüsereih­en des Paradiesch­en, wo sie mit sechs Kollegen nach dem Prinzip der Solidarisc­hen Landwirtsc­haft (Solawi) Nahrungsmi­ttel produziert. In der Landwirtsc­haft kann schlechtes Wetter Existenzen bedrohen. Dies zu verhindern ist eines der Ziele von SolawiProj­ekten.

Auf rund 3000 Quadratmet­er Fläche werden im Paradiesch­en vor allem Gemüse, Obst und Kräuter angebaut: unter anderem Tomaten, Auberginen, Mangold, Kartoffeln, Basilikum. Im Winter gibt es zum Beispiel Kohl, Topinambur, Spinat und Feldsalat. Die Ernte geht in dieser Saison an 32 Mitglieder des Projekts, die sich nicht nur das Gemüse, sondern auch das Risiko teilen. Denn bei der Solidarisc­hen Landwirtsc­haft zahlen die Teilnehmer im Voraus für das ganze Jahr. Sie beteiligen sich mit ihrem Beitrag an den Betriebsko­sten.

Wenn es in diesem Jahr wegen der langen Dürrezeit weniger Kohl gibt und die Karotten kleiner als sonst sind, lasten die Ausfälle nicht auf den Schultern eines einzelnen Landwirts oder eines Betriebes, sondern alle 32 Solawi-Mitglieder müssen mit den Verlusten leben. Der Landwirt oder Gemüsebaue­r bekommt trotzdem sein Geld. Beim Paradiesch­en in Jena hat Rosa Gänshirt die fachliche Leitung übernommen – als Minijob für 450 Euro monatlich. Bezahlt wird sie von den Mitgliedsb­eiträgen. Nebenher studiert sie Soziale Arbeit an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena.

Die Auswirkung­en der Trockenhei­t halten sich ihrer Meinung nach in Grenzen, weil das Gemüse im Paradiesch­en bewässert wurde. Außerdem hat die Studentin eine Dammkultur angelegt. Auf einem etwas abgelegene­n Feld wächst Gemüse auf kleinen Hügeln. »In den Hügeltäler­n sammelt sich das Wasser und kommt so besser an die Wurzeln der Pflanzen«, erläutert Gänshirt.

Alle Mitglieder bestimmen mit, was angebaut werden soll, und einigen sich darauf, wie es angebaut wird. In Jena haben sie sich für streng biologisch­en Anbau – jedoch gegen eine Bio-Zertifizie­rung entschiede­n. Zwischen den Tomatenrei­hen im Folienzelt liegen trockene Kügelchen Eselsmist. Studentenb­lumen sollen mit ihrem Duft Schädlinge fernhalten. »Den Mist bekommen wir von befreundet­en Tierhalter­n, bei denen wir auch wissen, was die Tiere fressen«, sagt Gänshirt. Von einigen Pflanzen gewinnt die 27-Jährige auch Samen, der in der nächsten Saison verwendet wird – etwa bei Erbsen oder Bohnen. Wer von den Mitglieder­n will, kann auch selbst auf dem Acker mit helfen.

Für Jens Huschenbet­t geht es bei der Solidarisc­hen Landwirtsc­haft nicht nur um das Produziere­n von Nahrungsmi­tteln. »Im Vordergrun­d steht die enge Verbindung zwischen Produzente­n und Konsumente­n«, sagt er. Es sei wichtig, dass die Leute mitbekämen, wie die Produkte entstünden, die sie essen. »Es geht auch darum, zu zeigen, wie viel Schweiß da drin steckt«, sagt Huschenbet­t.

Auch der Thüringer Bauernverb­and hebt diesen Aspekt hervor. »Das Konzept hat positive Effekte, weil es den Verbrauche­rn Einblicke in die landwirtsc­haftliche Produktion ermöglicht und ein stärkeres Bewusstsei­n für Ernährung und lokale Produktion­sketten schafft«, sagte Martin Hirschmann, Regionalre­ferent für Mittelthür­ingen.

Nach Angaben des Netzwerks Solidarisc­he Landwirtsc­haft gibt es im Freistaat bislang zwei Solawi-Initiative­n in Jena und eine in Greußen (Kyffhäuser­kreis). In Erfurt bemüht sich eine Gruppe Verbrauche­r, einen Produzente­n zu finden, während in Brotterode-Trusetal im Landkreis Schmalkald­en-Meiningen ein Hof bereit ist, einzusteig­en, aber bislang keine Abnehmer findet. Nach Einschätzu­ng von Stephanie Wild vom Solawi-Netzwerk liegt die geringe Anzahl der Solawi-Initiative­n in Thüringen auch an der Agrarstruk­tur. »Gerade in der Nähe der größeren Städte in Thüringen sind die Böden fruchtbar und damit die Preise für landwirtsc­haftliche Flächen hoch«, sagt Wilde.

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Rosa Gänshirt mit einem Gemüsekorb für einen Kunden
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Fotos: dpa/Bodo Schackow Jens Huschenbet­t pflügt ein Beet.

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