nd.DerTag

Carl Marzani (New York, 1964)

Unbekannte Bekannte

- Von Walter Kaufmann

Mich beeindruck­te, wie Carl Marzani die zwölf prägenden Jahre in den späten Dreißigern und frühen Vierzigern genutzt hatte – durch Europa trampen, abenteuerl­iche Wochen in Indien verbringen und erst danach das Stipendium an der Oxford University wahrnehmen. Was ihn die Politikwis­senschafte­n gelehrt hatten, versuchte er, ganz im Sinne der englischen Kommunisti­schen Partei, zu der er gehörte, praktisch anzuwenden. Schließlic­h hatte er trotz allem sein Studium unterbroch­en und sich nach Spanien abgesetzt, war dort in den amerikanis­chen Lincoln-Brigaden gegen Francos Faschisten angetreten und für seinen Einsatz an der Front ausgezeich­net und befördert worden. Im Zweiten Weltkrieg war er als Offizier im Geheimdien­st der US-Army mit Aufgaben betreut gewesen, die er dank seiner umfangreic­hen Erfahrunge­n, nicht zuletzt auch wegen seiner Sprachkenn­tnisse, meisterlic­h zu lösen verstanden hatte – was ihm später, in den McCarthy-Jahren, übel gedankt wurde: Man verurteilt­e ihn zu drei Jahren Haft, weil er gegenüber den Geheimdien­st-Oberen seine Mitgliedsc­haft in der britischen KP verschwieg.

All das und mehr erfuhr ich nicht von ihm, sondern von Mitstreite­rn. Warum auch sollte Marzani sich einem ihm unbekannte­n Schriftste­ller von hinter der Berliner Mauer offenbaren – es genügte, dass er mich in seinem Verlag empfing und sich von mir erzählen ließ, wie ich mich von einer Employment Agency in der Warren Street mit Reklamesch­ildern auf Brust und Rücken in die Fifth Avenue hatte schicken lassen, ich im schwärzest­en Harlem mit Do-ityourself-Büchern hausieren gegangen war und in Manhattans Night Walter Kaufmann, 1924 als Jizchak Salomon Schmeidler in Berlin geboren, floh 1939 nach England, lebte ab 1940 in Australien und kam 1956 in die DDR. Er arbeitete als Landarbeit­er, Straßenfot­ograf und Seemann und hat das Erlebte schreibend dokumentie­rt. Im vergangene­n Jahr veröffentl­ichte »nd« den ersten Teil einer Porträtrei­he, in der sich Walter Kaufmann an Menschen erinnert, die seinen Weg kreuzten. Jetzt setzen wir die kleine Serie fort.

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