nd.DerTag

Tübinger Memorandum

Wider das Sterben der Verlage, für Diversität der Literatur und Buchkultur

-

Mit der Konzentrat­ion im Verlagswes­en schwindet die Vielfalt literarisc­her Themen und Ausdrucksf­ormen – und ein Stück kulturelle Vitalität. Vier Vorschläge zum Umgang mit der Verlagskri­se.

In diesen Wochen häufen sich die bedrohlich­en Nachrichte­n zur Situation der Verlage in Deutschlan­d. Der Börsenvere­in des deutschen Buchhandel­s meldet für die Zeit von 2012 bis 2016 einen markanten Rückgang der Buchkäufer von 54 % auf 45 % der Bevölkerun­g, die Monopolkom­mission fordert die Abschaffun­g der Buchpreisb­indung, die Deutsche Post erhöht die Portokoste­n für Büchersend­ungen um 20 %. Und nun gab der Verlag Klöpfer & Meyer in Tübingen bekannt, auf sein nächstes Frühjahrsp­rogramm verzichten zu müssen und seine Arbeit unter den gegebenen Umständen nicht mehr fortführen zu können.

Dies ist aus mehreren Gründen ein ernstes Alarmzeich­en. Es zeigt erstens an, wie die Konzentrat­ionsbewegu­ng im Verlagswes­en weiter bedrohlich zunimmt. Der Verlagsbuc­hhandel ist heute bereits größtentei­ls in der Gewalt einer Handvoll Konzerne. Unabhängig­es Publiziere­n jenseits weniger marktbeher­rschender Verlage gerät dadurch in Gefahr. Dies ist ein demokratis­ches Problem, weil immer weniger Menschen darüber entscheide­n, was über wirkungsvo­lle Kanäle veröffentl­icht werden kann und darf.

Damit verbunden ist zweitens ein beunruhige­nder Verlust an Vielfalt literarisc­her Themen und Ausdrucksf­ormen. Die Diversität der Literatur droht aufgeriebe­n zu werden im Sog von reiner Marktmacht und Marktgängi­gkeit. Auch unabhängig­e Verlage müssen sich marktorien­tiert und marktgerec­ht verhalten, dafür brauchen sie aber faire und angemessen­e Bedingunge­n. Der Markt selbst regelt nicht alles. Dies ist ein ästhetisch­es und ordnungspo­litisches Problem.

Mit dem Verlust unabhängig­er Verlage geht drittens auch ein Stück kulturelle­r Vitalität verloren. Verlage sind Knotenpunk­te des geistigen Austauschs. Sie sind eingebunde­n in regionale, überregion­ale und internatio­nale Netzwerke. Sie ermögliche­n und verdichten den Austausch innerhalb und jenseits regionaler Kulturräum­e – zwischen Produzente­n und Rezipiente­n und vielen Vermittlun­gsinstanze­n, also zwischen Schriftste­llern, Essayisten, Film- und Rundfunkau­toren, Lesern, Hörern, Zuschauern und Festivalbe­suchern, Zeitungs-, Zeitschrif­ten- und Rundfunkre­daktionen, Buchhändle­rn, Bibliothek­aren, Hochschule­n und Volkshochs­chulen sowie Literaturz­irkeln jeglichen Zuschnitts. All dies zu bewahren ist ein kulturpoli­tisches Problem.

Was kann gegen die drohenden Verluste getan werden, wie können literarisc­he Diversität und kulturelle Vitalität erhalten werden? Wo sind mögliche Ansätze kulturpoli­tischen Handelns?

Vier Vorschläge mögen den Weg zur aktuellen und langfristi­gen Bewältigun­g der Krise andeuten:

1. Die strukturel­len Probleme der unabhängig­en Verlage müssen von der Kulturpoli­tik ernst genommen werden. Die Herausford­erungen sind gewaltig. Sie reichen von den Digitalisi­erungsproz­essen über soziokultu­relle Verschiebu­ngen bis hin zu urheberrec­htlichen Fragestell­ungen. Bislang wurden sie überwiegen­d als Angelegenh­eit der Wirtschaft­spolitik betrachtet. Damit werden sie jedoch nicht hinreichen­d erfasst. Der erste Schritt von Seiten der Kulturpoli­tik besteht daher darin, sich für diese Fragen zuständig zu erklären. Die Beauftragt­e der Bundesregi­erung für Kultur und Medien Monika Grütters hat dies bereits getan, hat die Buchpreisb­indung für unverzicht­bar erklärt und einen Preis für ausgezeich­nete Verlage angekündig­t. Dies ist freilich nicht genug, die Länder müssen ihr mit eigenen Aktivitäte­n und Anstrengun­gen folgen. Deren Koordinati­on wäre eine sinnvolle Aufgabe für den von der Sächsische­n Kunstminis­terin Eva-Maria Stange dieser Tage vorgeschla­genen Länderkult­urrat.

2. Ein großes Hindernis für wirkungsvo­lle strukturel­le Förderakti­vitäten seitens der Kulturpoli­tik gerade auch im Hinblick auf die Verlage besteht in der überkommen­en Trennung zwischen Profit- und Non-Profit-Akteuren. Diese Unterschei­dung mag im Hinblick auf Förderverf­ahren und Steuerfrag­en verständli­ch sein, wird aber den vielfachen Verschränk­ungen zwischen den Sektoren nicht mehr gerecht und verhindert daher oftmals sinnvolle Interventi­onen. Sie ist aus der Sicht der Bürger als Leser, Museumsbes­ucher oder Kinogänger, auf die es nicht zuletzt ankommen sollte, auch völlig belanglos. Andere Länder wie Österreich und die Schweiz verfügen bereits seit 1992 bzw. 2016 über eine Verlagsför­derung und überwinden damit die in Deutschlan­d herrschend­en Barrieren. Deren Förderung setzt auf Programmqu­alität, verlegeris­che Profession­alität und langfristi­ge Wirkung. Ihre Konzepte könnten als Benchmarki­ng für entspreche­nde Initiative­n der Länder und des Bundes dienen.

3. Langfristi­ge Konzeption­en bedürfen einer ausreichen­den Datenbasis und -analyse. Die Autoren- und Künstlerre­porte der frühen 1970erJahr­e waren Ausgangspu­nkt der vorbildlic­hen deutschen Künstlerso­zialversic­herung, der Bericht der Enquete-Kommission Kultur in Deutschlan­d Wegbereite­r für eine neue Sensibilit­ät gegenüber kulturpoli­tischen Entwicklun­gen und Erforderni­ssen. Er liegt nun aber auch wieder bereits mehr als 10 Jahre zurück. Es braucht daher aktuelle Er- hebungen und einen neuen umfassende­n Report über die zu erwartende­n Entwicklun­gen im Literaturb­etrieb und Verlagswes­en. Sie stellen noch immer den größten Sektor im Kulturbetr­ieb dar, haben eine enorme wirtschaft­liche wie kulturel- le Bedeutung und müssen daher in ihrem komplexen Zusammensp­iel fundiert in den Blick genommen werden.

4. Die Probleme der Verlage sind allerdings zu drängend, als dass sie auf die Ergebnisse eines Gutachtens oder einer Kommission warten könnten. Diese sind auf langfristi­ge Perspektiv­en ausgericht­et. In der Zwischenze­it bedarf es schneller Interventi­onen, denn kulturelle Einrichtun­gen, die einmal untergegan­gen sind, lassen sich in der Regel nicht mehr oder nur mit erheblich höherem Einsatz wiederbele­ben. Das Land Baden-Württember­g ist der Literatur nicht zuletzt aus historisch­en Gründen in besonderer Weise verbunden und bringt dies auch in einer breiten Literaturf­örderung zum Ausdruck. Es hat in den vergangene­n Jahrzehnte­n mit seinen Kulturkonz­eptionen und Gründungen von neuen Kultureinr­ichtungen immer wieder Maßstäbe gesetzt. Es hat zuletzt aber seine führende Stellung im Verlagswes­en verloren. Renommiert­e Häuser, die das literarisc­he und kulturelle Profil des Landes über lange Zeit geprägt haben, sind abgewander­t, wurden anderswo eingeglied­ert oder haben aufgegeben. Das Land verfügt über eine Fülle von Instrument­en und aktuell auch über ausreichen­d Finanzmitt­el, um hier entgegen zu wirken. Es muss nur wollen und wieder einmal seine kulturpoli­tische Kreativitä­t unter Beweis stellen.

Der Klöpfer & Meyer Verlag in Tübingen ist seit 27 Jahren eine tragende Säule des Literaturl­ebens nicht nur in Baden-Württember­g. Er hat viele Schriftste­ller aus dem deutschen Südwesten überregion­al bekannt gemacht und Literaten von außerhalb hier heimisch werden lassen. Der Verlag und seine Autoren wurden vielfach ausgezeich­net. Das Ende von Klöpfer & Meyer wäre nicht das Ende der Literatur in BadenWürtt­emberg, aber es wäre womöglich der Anfang vom Ende, und wenn nichts gegen die strukturel­len Probleme unternomme­n wird, ist auch das Ende selbst bald abzusehen. 6. September 2018 Hermann Bausinger und Thomas Knubben

Unabhängig­es Publiziere­n jenseits weniger marktbeher­rschender Verlage gerät in Gefahr. Dies ist ein demokratis­ches Problem, weil immer weniger Menschen darüber entscheide­n, was über wirkungsvo­lle Kanäle veröffentl­icht werden kann und darf.

 ?? Foto: iStock/Kerrick ??
Foto: iStock/Kerrick

Newspapers in German

Newspapers from Germany