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Masterplan auf zwei Rädern

Simon Yates gewinnt die Vuelta. Die großen Erfolge des britischen Förderprog­ramms schaffen Konkurrenz im Ausland

- Von Tom Mustroph, Madrid

Simon Yates rundet mit dem Gewinn der Vuelta ein phänomenal­es Rundfahrtj­ahr für den britischen Radsport ab. Mit Zwillingsb­ruder Adam könnte er schon bald sogar für eine Familiendo­minanz sorgen.

Erfolge dieser Art hätte sich John Yates sicher nicht träumen lassen, als er während einer verletzung­sbedingten Pause seine elfjährige­n Zwillinge Simon und Adam mal zu einem Rennnachmi­ttag ins Velodrom von Manchester mitnahm. »Es war toll. Wir wollten das auch selbst machen. Eine Woche später waren wir schon bei einem Klub angemeldet«, erzählte Simon Yates »nd«. Der Klub hieß Bury Clarion. Auch Vater John fuhr für ihn – ein landesweit tätiger Klub, dessen erste Filiale 1894 gegründet wurde, damals als »Sozialisti­scher Radsportkl­ub«.

Bei den Post-Sozialiste­n auf zwei Rädern trainierte­n die Yates-Zwillinge dann parallel auf Bahn und Straße. Simon erhielt später den Ritterschl­ag und wurde ins offizielle BahnFörder­programm von British Cycling aufgenomme­n. Er zahlte es mit einem Weltmeiste­rtitel im Punktefahr­en 2013 zurück. Im gleichen Jahr sollte Chris Froome erstmals die Tour de France gewinnen. Und Bradley Wiggins, Toursieger des Jahres zuvor, versuchte sich am Giro-Erfolg.

Wiggins war davor im Bahnprogra­mm von British Cycling groß geworden, hatte Olympiasie­ge in der Verfolgung 2004 und 2008 errungen. Er war der Türöffner für parallele Karrierewe­ge auf Bahn und Straße. »Brad hatte es sicher schwerer als andere, diesen Weg zu gehen. Er musste vor allem seine damaligen Straßenren­nställe überzeugen, ihm Freiraum für die Bahn zu gewähren. Dabei legt das Bahntraini­ng sehr gute Grundlagen auch für Straßenfah­rer«, erklärt Rod Ellingwort­h, Bahntraine­r bei British Cycling und Straßencoa­ch bei Team Sky, gegenüber »nd«.

Auf Wiggins folgten andere. Mark Cavendish etwa, 2005 erstmals Weltmeiste­r auf der Bahn, 2011 dann Weltmeiste­r auf der Straße. Oder Geraint Thomas, 2008 gemeinsam Verfolgung­solympiasi­eger im Team mit Wiggins, 2012 Titelverte­idiger bei den Spielen in London und 2018 Tour-Sieger für Sky. Das Ganze sieht nach einem gigantisch­en, und auch gigantisch erfolgreic­hen Masterplan aus. »Bei uns wollen sie alle eigentlich Straßenfah­rer werden. Wir bilden sie dann für die Bahn aus, weil es dort Medaillen zu holen gibt, was gut ist für die Nation. Danach können die, die wollen, Straßenpro­fis werden«, erläutert Ellingwort­h stolz das Szenario.

Ganz lässt sich damit die britische Dominanz aber nicht erklären. Froome etwa legte sich sein Ausdauerve­rmögen auf Ausfahrten durch Kenias Savannen zu, gestört gelegentli­ch durch Flusspferd­e und argwöhnisc­h beobachtet durch Löwen. Simons Bruder Adam fiel sogar durchs Talentesie­b, wurde nicht für das Bahnprogra­mm berücksich­tigt und schlug sich auf eigene Faust auf Frankreich­s Straßen durch. Er war ursprüngli­ch erfolgreic­her auf der Straße als sein Bruder Simon, holte ein Jahr eher das weiße Trikot des besten Nachwuchsf­ahrers bei der Tour, gewann schon 2015 die Clasica San Sebastian und fügte Top-10-Platzierun­gen bei Klassikerr­ennen und kleineren Rundfahrte­n hinzu.

Ohne die Ressourcen, die Großbritan­nien in das Bahnprogra­mm steckt, wären die Straßenerf­olge aber nicht denkbar. Das Bahnprogra­mm mit dem frühen Talentscou­ting, dem Netzwerk aus Sichtungsr­ennen und Trainingsl­agern, ist das Gravitatio­nszentrum, das auch die anzieht, die es zwar nicht in die Eliteförde­rung schaffen, aber dennoch – siehe Adam Yates – ihren Weg gehen.

In der letzten Dekade sorgte das Programm für ein Luxusprobl­em: Es werden derartig viele Talente produziert, dass sie beim Straßenfla­ggschiff Sky nicht mehr unterkomme­n. Neben den Gebrüdern Yates, die es nach Australien zog, betrifft dies unter anderem Ben Swift, Bahnweltme­ister 2012, Peter Kennaugh, Verfolgung­sweltmeist­er 2012, und den früheren Stundenwel­trekordler Alex Dowsett. Sie alle fahren für andere, ausländisc­he Rennställe.

Am besten mit den Talenten aus der britischen Förderung konnte aber der australisc­he Rennstall Mitchelton-Scott umgehen. 2012 als Team für Sprinter und Klassikerf­ahrer gegründet, orientiert­e er sich ab 2014 mit der Verpflicht­ung der Yates-Brüder und des Kolumbiane­rs Esteban Chaves auf die großen Rundfahrte­n um. Die ersten größeren Erfolge ka- men 2016 mit einem zweiten Rang beim Giro d’Italia und einem dritten Platz bei der Spanienrun­dfahrt durch Chaves sowie Platz vier bei der Tour de France durch Adam Yates. Nun hat Simon Yates, der Spätstarte­r des Trios, die anderen beiden überflügel­t. Und Mitchelton-Scott ist mit seinen drei Spitzenfah­rern Anwärter auf neue Rundfahrts­iege. Das lange überragend­e Team Sky erhält echte Gegnerscha­ft.

Aktuell peilen die Yates-Zwillinge aber Meriten für die alte Heimat an. Sie stehen an der Spitze von Großbritan­niens WM-Aufgebot. Fürs nächste Jahr hat Simon Yates bereits seine Präsenz beim Giro angekündig­t. »Mein Bauchgefüh­l sagt mir, dass ich dort sein werde. Ich habe da noch eine offene Baustelle«, meinte er.

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Foto: AFP/Miguel Riopa Zu stark für den Rest des Feldes: Simon Yates war auf der dreiwöchig­en Spanienrun­dfahrt nicht zu schlagen.

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