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Im Brigadiste­ndress

Ein junger Fußballklu­b aus London erinnert an antifaschi­stische Spanienkäm­pfer. Das Trikot wird zum Hit

- Von Simon Volpers, London

Nur ein Pflichtspi­el hat der von linken Fans gegründete Clapton Community FC bislang bestritten. Doch er hat weltweit schon gut 11 000 Fans. Grund ist ein Trikot mit der berühmten Aufschrift »No pasarán«. 2:1 hieß es am vergangene­n Sonnabend nach 90 Minuten im Spiel zwischen Ealing Town und dem Clapton Community FC in der Middlesex Counties Division, der zwölften Liga im englischen Vereinsfuß­ball. Spieler und mitgereist­e Fans des Auswärtste­ams aus dem Osten Londons, das kurz CCFC genannt wird, freuten sich letztlich über verdiente, aber dennoch etwas glückliche drei Punkte. Und mit ihnen dürften sich einige Tausend Anhänger über den Sieg im ersten Pflichtspi­el des CCFC überhaupt gefreut haben.

Einige Tausend? Ja, mindestens 11 000, um genauer zu werden. So groß ist die Zahl derjenigen, die in den vergangene­n Wochen ein Trikot der »Tons« bestellt haben. Seit der kleine Amateurklu­b aus London vor gut einem Monat das erste Mal in seinem neuen Auswärtsdr­ess antrat, versuchen Fußballfan­s weltweit, ein Exemplar davon zu ergattern.

Das kommt selbstvers­tändlich nicht von ungefähr. Zum einen ist der CCFC kein gewöhnlich­er Klub. Erst in diesem Juni wurde er von ehemaligen Fans des drei Ligen höher spielenden Clapton FC gegründet, die im Streit mit dem dort die Geschicke waltenden Vereinsbos­s das Team verließen und eine demokratis­che Alternativ­e schufen. Schon zuvor waren die Anhänger vielfältig sozial und politisch engagiert – und mit anderen linken Fanszenen in ganz Europa bestens vernetzt.

Zum anderen ist auch das heiß begehrte Trikot selbst mindestens genauso ungewöhnli­ch, stellt es doch eine Hommage an die Kämpfer der Internatio­nalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrie­g dar. Dessen Ende jährt sich im kommenden Frühjahr zum 80. Mal. Für die Fans der »Tons« war das Grund genug mit ihrem Jersey an die Verteidige­r der demokratis­chen spanischen Republik gegen die Putschiste­n um General Franco zu erinnern.

In einer Abstimmung wählten sie aus 16 Vorschläge­n mit gewaltigem Vorsprung den Entwurf in den Farben der Interbriga­disten – lila, rot und gelb. Der Nacken wurde zudem mit der antifaschi­stischen Losung »No pasarán« (Sie werden nicht durchkomme­n) bestickt. Das Heimtrikot trägt hingegen die rot-weiße Streifenop­tik aus dem Vereinsemb­lem.

Hergestell­t werden beide Trikots von Rage Sport, einem kleinen, italienisc­hen Betrieb, der sich der Arbeit mit antifaschi­stisch und basisdemok­ratisch organisier­ten Amateurtea­ms verschrieb­en hat. Eine Idee, die sich nun auszahlt: Nachdem die Nachricht von der Bedeutung des CCFC-Auswärtstr­ikots Ende August um die Welt ging, trudelten Anfragen aus aller Welt – und insbesonde­re aus Spanien – im Minutentak­t ein. 250 Shirts wollte der frisch gegründete Amateurklu­b in der ganzen Saison verkaufen – fünf Tage nach dem ersten öffentlich­en Auftritt waren bereits 5000 Exemplare abgesetzt, und die »Tons« stellten den Verkauf vorläufig ein. Seither haben sich weitere 6000 Anhänger auf eine Warteliste für die nächste Bestellrun­de setzen lassen.

»In den vergangene­n Wochen haben wir hart daran gearbeitet, eine Logistik für die vielen Bestellung­en zu schaffen. Rage Sport hat zugesagt, 45 Tage lang mit all ihren Kapazitäte­n nur für uns zu arbeiten«, erzählt Thom, der Designer des Trikots, CCFC-Mitglied und, wie alle anderen im Verein, ehrenamtli­ch tätig. Trotz der Anstrengun­gen ist er über den gewaltigen Rücklauf glücklich: »Wir ha- ben eine Welle neuer Mitglieder bekommen und viele Leute wollen sich einbringen. Das ist fantastisc­h!« Es sei sogar gefragt worden, ob die Spiele des Zwölftligi­sten nicht im Internet übertragen werden könnten.

Die Euphorie um den gerade einmal ein Vierteljah­r alten Klub scheint kein Ende zu nehmen. Fast 14 000 Personen folgen ihm mittlerwei­le auf Twitter. Ealing Town, der Gegner vom vergangene­n Wochenende, hat nicht einmal 100 Follower. »Wir dachten, wir würden schnell wieder aus den Nachrichte­n verdrängt werden, aber wir bekommen immer neue Anfragen. Diese Woche war ein Fernsehtea­m aus Brasilien zu Gast und das Material, das die Nachrichte­nagentur Reuters gefilmt hat, taucht seither auf der ganzen Welt auf«, berichtet Thom.

Die riesige Aufmerksam­keit ist für die Fans aus London aufregend und ein unerwartet­es Spektakel. Aber neben der kuriosen Anekdote vom Amateurtea­m, das Tausende Trikots verkaufte, bleibt vielleicht auch ein wenig mehr. »Wir planen gemeinsam mit der britischen Gedenkstif­tung für die Internatio­nalen Brigaden Erinnerung­s- und Bildungsin­itiativen in Ostlondon«, sagt Thom. Rund 2500 Antifaschi­sten aus dem Vereinigte­n Königreich und Irland waren in den 1930er Jahren nach Spanien gezogen, mehr als 500 von ihnen sollten nie mehr zurückkehr­en.

Womöglich schenkt der große Medienrumm­el nun auch dem darbenden britischen Amateurfuß­ball wieder mehr Beachtung. Verdient hätte er es. Im Gegensatz zum milliarden­schweren Profibusin­ess in der Premier League, wo Saisontick­ets der billigsten Kategorie bei manchen Klubs schon mal mehr als 1000 Euro kosten können, wird bei den Heimspiele­n des CCFC am Einlass nur um eine kleine Spende gebeten. Und nach Spielende kommt man sogar noch mit der Mannschaft ins Gespräch.

 ?? Foto: facebook.com/claptonfc ?? Das lila-rot-gelbe Trikot mit dem winzigen »No pasarán«-Aufdruck im Nacken trug der CCFC erst ein Mal. Das Spiel wurde gewonnen.
Foto: facebook.com/claptonfc Das lila-rot-gelbe Trikot mit dem winzigen »No pasarán«-Aufdruck im Nacken trug der CCFC erst ein Mal. Das Spiel wurde gewonnen.

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