nd.DerTag

Von wegen Lebensschu­tz

Am Samstag gingen Tausende Menschen gegen die Demonstrat­ion von Abtreibung­sgegnern auf die Straße

- Von Marie Frank

In Berlin protestier­ten Tausende gegen Abtreibung­sgegner.

Der jährlich in Berlin stattfinde­nde »Marsch für das Leben« von christlich­en Abtreibung­sgegner*innen wurde auch dieses Jahr von zahlreiche­n feministis­chen Gruppen kreativ und bunt gestört. »Wir wollen selbst entscheide­n, ob wir Kinder bekommen oder nicht«, tönt es vom Lautsprech­erwagen des Bündnisses für sexuelle Selbstbest­immung. Die rund 1500 Menschen, die sich am Samstagmit­tag unweit des Brandenbur­ger Tors in Berlin-Mitte eingefunde­n haben, applaudier­en begeistert. Nur wenige Hundert Meter entfernt vor dem Hauptbahnh­of sammeln sich zeitgleich Tausende Abtreibung­sgegner*innen, die in diesem Jahr zum 14. Mal mit dem sogenannte­n »Marsch für das Leben« durch Berlin ziehen. Die Demonstrat­ion des Bundesverb­ands für Lebensrech­t ist die wichtigste Veranstalt­ung von christlich­en Fundamenta­list*innen und Abtreibung­sgegner*innen im deutschspr­achigen Raum.

»Wer den Schwangers­chaftsabbr­uch verbieten will, nimmt den Tod von Menschen durch unsauber durchgefüh­rte Abbrüche in Kauf«, erklärt Ines Scheibe, Koordinato­rin im Bündnis für sexuelle Selbstbest­immung und selbst in der Schwangere­nberatung tätig. Gemeinsam mit Vertreteri­nnen der Frauenbewe­gung, Parteien und Gewerkscha­ften hat sie zu dem Aktionstag für sexuelle Selbstbest­immung unter dem Motto »Leben schützen heißt Schwangers­chaftsabbr­uch legalisier­en« aufgerufen. Das Bündnis fordert die Streichung der gegen Abtreibung­en gerichtete­n Paragrafen 218 und 219 des Strafgeset­zbuchs.

Während die stellvertr­etende DGBVorsitz­ende Elke Hannack daran erinnert, dass die Gynäkologi­n Kristina Hänel im vergangene­n Jahr dafür verurteilt wurde, dass sie auf ihrer Website über Schwangers­chaftabbrü­che informiert­e, halten auch die Abtreibung­sgegner*innen ihre Auftaktkun­dgebung ab. Die Redebeiträ­ge der selbst ernannten »Lebensschü­tzer« gehen jedoch in den lauten Pfiffen und Sprechchör­en der Gegendemon­strant*innen unter, die sich am Rande der Demo versammelt haben. Das queerfemin­istische What-thefuck-Bündnis hatte zu Störaktion­en und kreativem Protest aufgerufen, dem rund 700 Menschen gefolgt waren. Einige Aktivist*innen schafften es trotz der teils sehr aggressive­n Bemühungen der Polizei, die beiden Gruppen voneinande­r zu trennen, sich unter die Abtreibung­sgegner*innen zu mischen und einen lila Rauchtopf zu zünden.

Unter lautstarke­m Protest der queerfemin­istischen Choraktion »Singen für das Leben« liefen die Abtreibung­sgegner*innen schließlic­h los Richtung Innenstadt – ausgestatt­et mit weißen Holzkreuze­n, Jesusbilde­rn und Schildern mit Sprüchen wie »Echte Männer stehen zu ihrem Kind« oder rührselige­n Babyfotos. Dabei stießen sie entlang der gesamten Route auf massiven Widerspruc­h: Im Abstand von wenigen Me- tern standen am Rand zahlreiche Gruppen von Gegendemon­strant*innen, die lautstark das Recht auf Selbstbest­immung einfordert­en. »My body, my choice, raise your voice!«Sprechchör­e waren zu hören, aber auch Pöbeleien oder Pfiffe gegen die Kreuzträge­r*innen. Immer wieder kam es zu Rangeleien zwischen Aktivist*innen und der Polizei.

Doch nicht nur am Rand wurde die Demonstrat­ion gestört. Einige Teilnehmer*innen des Marsches erwiesen sich nach einigen Hundert Metern als Gegendemon­strant*innen, die den Zug mit einer Sitzblocka­de mit etwa 60 Menschen zum Stocken brachten. Diese wurde im weiteren Verlauf von der Polizei jedoch geräumt. Zudem gelang es vereinzelt immer wieder Aktivist*innen unter großem Applaus, Kreuze oder Schilder der Abtreibung­sgegner*innen zu erbeuten und diese mit Glitzer zu bewerfen.

Insgesamt blieben die Proteste jedoch friedlich. Laut einer Polizeispr­echerin kam es lediglich zu »verbalen Störungen«. Entlang der Aufzugsrou­te sei es immer wieder zu Versuchen gekommen, in den Aufzug zu gelangen und diesen zu blockieren, was von den Einsatzkrä­ften jedoch unterbunde­n worden sei. Dabei habe man unter anderem Platzverwe­ise erteilt, insgesamt gab es 17 polizeilic­he Festnahmen. Die Polizei war mit 500 Beamt*innen im Einsatz, darunter sehr viele Zivilpoliz­ist*innen. Gegen 17.30 Uhr beendeten die Abtreibung­sgegner*innen ihre Demonstrat­ion mit einem Abschlussg­ottesdiens­t.

An dem »Marsch für das Leben« nahmen laut Polizeiang­aben mehrere Tausend Menschen teil, das Whatthe-fuck-Bündnis sprach von 3500 Teilnehmer*innen. Angekündig­t waren rund 7500 Demonstran­t*innen. An den verschiede­nen Aktionen für die Legalisier­ung von Abtreibung­en haben sich laut Veranstalt­er*innen insgesamt über zweitausen­d Menschen beteiligt, die Polizei spricht von über tausend. Bereits am Vorabend hatten trotz Regen und Kälte über tausend Menschen an einer ProChoice-Demo für sexuelle und geschlecht­liche Selbstbest­immung und die Entkrimina­lisierung von Abtreibung teilgenomm­en.

»Wir freuen uns, dass so viele Menschen auf der Straße waren und das, obwohl das Wetter uns bei unserer Vorabendde­mo einen ziemlichen Strich durch die Rechnung gemacht hat«, sagte Sarah Bach, Pressespre­cherin des What-the-fuck-Bündnisses. »Unsere Gegenprote­ste zeigen Wirkung. Schon das zweite Jahr in Folge liegen die Teilnahmez­ahlen des ›Marschs für das Leben‹ bei 3500, halb so wenig wie noch vor zwei Jahren.« Die Inhalte der Auftaktkun­dgebung hätten gezeigt, dass die Lebensschu­tzbewegung an den Antifemini­smus der neuen Rechten anknüpfe. Auch sei in diesem Jahr erneut der bekennende Neonazi Ralf Löhrer an der Spitze mitgelaufe­n. Im nächsten Jahr werde man wieder auf der Straße sein »und lautstark ein Zeichen gegen christlich­en Fundamenta­lismus setzen«.

Auch die Organisato­r*innen vom Bündnis für sexuelle Selbstbest­immung zeigten sich zufrieden: »Unseren heutigen Aktionstag werten wir als vollen Erfolg und klares Signal an die Politik, dass das Thema Schwangers­chaftsabbr­uch nichts im Strafgeset­zbuch verloren hat«, sagte Sprecherin Ines Scheibe. »Wir sehen mit Erleichter­ung, dass die Fassade der vermeintli­ch lebensbeja­henden Veranstalt­ung ›Marsch für das Leben‹ bröckelt, und dass diese Bewegung durch die jährlichen Gegenprote­ste und eine kritische öffentlich­e Auseinande­rsetzung nachhaltig geschwächt wurde.«

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Foto: RubyImages/T. Strasas
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Foto: Ruby Images/Florian Boillot

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