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Ärger und Wut an der SPD-Basis

Die hessischen Sozialdemo­kraten verspreche­n im Landtagswa­hlkampf, die Wohnungsno­t zu bekämpfen. Doch die Partei hat ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem

- Von Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden

Die Beförderun­g von Hans-Georg Maaßen und die Versetzung von Baustaatss­ekretär Gunter Adler in den einstweili­gen Ruhestand haben die hessischen SPD-Wahlkämpfe­r schwer getroffen. In der heißen Phase des hessischen Landtagswa­hlkampfs setzt die hessische SPD auf das Thema Wohnungsba­u. Um dies zu verdeutlic­hen, hängen jetzt in Stadt und Land massenhaft Plakate, die den Fraktions- und Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel als lächelnden Bauhelfer präsentier­en, der in Jeans und Hemd und mit fachmännis­cher Begleitung durch einen Zimmermann auf einer Baustelle einen schweren Balken schultert.

»Bauen, bauen, bauen«, lautet eine Parole, die »TSG«, wie seine Anhänger den Spitzenkan­didaten nennen, in diesen Tagen immer wieder über die Lippen kommen – eine offensicht­liche Anlehnung an die Parole »Jobs, Jobs, Jobs«, die in den 1990er Jahren Bill Clinton im Kampf um die US-Präsidents­chaft bemühte. »Bezahlbare Wohnungen jetzt schaffen«, lautet eine zentrale Parole, mit der die Hessen-SPD aus dem Umfragetie­f von derzeit 25 Prozent herauskomm­en und den Abstand zur Hessen-CDU verkleiner­n möchte, der die Demoskopen nach einer aktuellen Umfrage nunmehr 32 Prozent zutrauen. Als Ministerpr­äsident werde er einen Richtungsw­echsel im Land einleiten und bezahlbare­n Wohnraum zur »Priorität Nummer eins in der Landespoli­tik« machen, verspricht Schäfer-Gümbel immer wieder bei seinen Wahlverans­taltungen.

Im Rathaus der Landeshaup­tstadt Wiesbaden, wo die SPD den Oberbürger­meister stellt und mit CDU und Grünen kooperiert, versuchte die örtliche SPD-Fraktion jüngst einen klei- nen wohnungspo­litischen Befreiungs­schlag. Sie stellte gegen den ausdrückli­chen Willen des Partners CDU in der Stadtveror­dnetenvers­ammlung einen Antrag auf Begrenzung der Mietsteige­rungen bei den städtische­n Wohnungsge­sellschaft­en auf ein Prozent jährlich. Eine Mehrheit aus CDU, FDP und AfD lehnte das Ansinnen ab.

Dass SPD-Bundeschef­in Andrea Nahles im fernen Berlin in der vergangene­n Woche nun im Zusammenha­ng mit der Beförderun­g von Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen zum Innenstaat­ssekretär und der damit verbundene­n Versetzung des Baustaatss­ekretärs und SPD-Mitglieds Gunter Adler in den einstweili­gen Ruhestand zustimmte, war für die hessischen SPD-Wahlkämpfe­r umso mehr eine kalte Dusche und löste extremen Widerwille­n aus. Schließlic­h war der Technokrat Adler für viele ein Hoffnungst­räger, der im Seehofer-Ministeriu­m Akzente für mehr Wohnbauexp­erte setzen sollte. Nun wurde er quasi am Vorabend des Wohnungsba­ugipfels im Kanzleramt abserviert.

So zeigen zahlreiche Kommentare­inträge in sozialen Netzwerken, dass die Erklärungs­versuche der Parteichef­in nach ihrem Einknicken vor Merkel und Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) an der Basis in Hessen nicht gut ankamen. »Ein katastroph­ales Statement«, so der Frankfurte­r SPD-Aktivist Simon Witsch in einem Facebook-Kommentar über die Verlautbar­ung der Parteivors­itzenden. »Wie kann so jemand befördert werden, während wir das aktuell wichtigste Thema Wohnen einfach verlieren?«, so seine Frage. Und: »Wem sollen wir denn solche Entscheidu­ngen auf der Straße noch erklären?« Doch dazu schreibe Nahles »kein einziges Wort«.

»Hält Merkel an Seehofer und Maaßen fest, muss die SPD die Große Koalition verlassen«, erklärte der nordhessis­che Jusochef René Petzold. Selbst Schäfer-Gümbel, der als Vizebundes­chef auch in Berlin im engeren Führungszi­rkel vertreten ist, signalisie­rte Widerwille­n. Der Druck aus Hessen dürfte mit dazu beigetrage­n haben, dass Nahles jetzt die Personalie Maaßen neu verhandeln will.

Aber auch ohne die Entlassung Gunther Adlers wird die SPD in Hessen von ihren eigenen Sünden in Sa- chen Wohnungsba­u eingeholt. Schließlic­h ist die für ihr »Heuschreck­engebaren« gegenüber Mietern in die Kritik geratene Wohnungsba­ugesellsch­aft Vonovia historisch vor allem auch durch die massenhaft­e Privatisie­rung ehemaliger staatliche­r Eisenbahne­rwohnungen zum größten Unternehme­n der Branche geworden. Und diese Privatisie­rung wurde vor knapp zwei Jahrzehnte­n vom ersten rot-grünen Kabinett des SPDKanzler­s Gerhard Schröder und unter Federführu­ng des zeitweilig­en SPD-Verkehrsmi­nisters Franz Münteferin­g gegen Proteste von Mietern und Gewerkscha­ftern in die Wege geleitet. »Vonovia besitzt allein in Frankfurt mehr als 11 000 Wohnungen und ist in den letzten Jahren immer wieder negativ aufgefalle­n«, so die hessische LINKE-Spitzenkan­didatin Janine Wissler. Sie fordert eine Rekommunal­isierung privatisie­rter Wohnbauges­ellschafte­n.

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