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Mit den »Ankerzentr­en« kommen die Probleme

Landesregi­erung Schleswig-Holsteins reduziert Zahl der Plätze in Boostedt und erhöht sie in Neumünster

- Von Dieter Hanisch, Kiel

Boostedt hieß die Flüchtling­e anfangs willkommen. Die Stimmung ist gekippt. »Ankerzentr­en«, so zeigt sich, zahlen sich für die Akzeptanz in der Region nicht aus. Die im Masterplan für Migration von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) angedachte­n »Ankerzentr­en« als Sammelpunk­te für Asylsuchen­de in den Ländern stoßen entgegen anderen Verlautbar­ungen bereits jetzt an Akzeptanzg­renzen. Diese Erfahrung macht gerade die schleswig-holsteinis­che »Jamaika«-Regierung. Die muss nämlich den Stresstest im Spannungsf­eld zwischen Kosteneffi­zienz und sozialem Frieden aushalten.

»Anker« steht für Ankunft – Entscheidu­ng – Rückführun­g. Die Konzentrat­ion auf solche wenigen Aufnahmest­andorte von Geflüchtet­en soll vornehmlic­h für eine beschleuni­gte Verfahrens­abwicklung sorgen, aber auf die potenziell­en Insassen auch abschrecke­nd wirken. Schleswig-Holsteins Landesregi­erung hat sich gleich zu Beginn der Diskussion um diese »Anker«-Einrichtun­gen dafür gerühmt, eigentlich nichts anderes mit seinen Ankunftsze­ntren vergleichs­weise reibungslo­s schon längst zu betreiben, ohne den mit Vorhalten behafteten Namen dafür zu ver- wenden. Wenn das stimmt, dann haben es die Leute in der Umgebung offenbar bisher nicht verstanden. Denn erst jetzt rührt sich Widerstand.

Als die Kapazitäte­n seiner Landeserst­aufnahmeei­nrichtung in Neumünster aus allen Nähten platzten, nutzte man die räumlichen Möglichkei­ten der sieben Kilometer entfernten, als Bundeswehr­standort aufgegeben­en Rantzau-Kaserne in der 4600-Einwohner-Gemeinde Boostedt. Mit viel Herzblut hatten sich viele Bewohner seit 2014 daraufhin der Geflüchtet­en angenommen – hier wurde die Willkommen­skultur, die die Politik so gern in den Mund nahm, zur Realität. Inzwischen ist die Stimmung im Ort allerdings merklich gekippt.

Die ehemalige Kaserne ist nun Außenstell­e für die Erstaufnah­me in Neumünster. Hauptsächl­ich Flüchtling­e mit unsicherer bis geringer Bleibepers­pektive werden dort einquartie­rt. Es ist ein Ort der verordnete­n Hoffnungsl­osigkeit. Laut Bürgerklag­en verhalten sich die Betroffene­n im Straßenbil­d nun allerdings nur bedingt »integratio­ns-pflegeleic­ht«.

Auf die Vorhaltung­en reagierte das Innenminis­terium mit einer Aufstockun­g der Polizeikrä­fte vor Ort, obwohl die Kriminalit­ätsstatist­ik eigentlich überhaupt keine Auffälligk­eiten bezüglich Geflüchtet­er aufweist. Innenminis­ter Hans-Joachim Grote (CDU) verweist zudem auf eine Ausweitung von Freizeit- und Betreuungs­angeboten in der Sammelunte­rkunft, die jedoch alle täglich nur bis 16.30 Uhr angeboten werden.

Das Land will seine Flüchtling­sverantwor­tung entspreche­nd eines Kabinettsb­eschlusses nun ganz auf die beiden Einrichtun­gen in Neumünster und Boostedt konzentrie­ren. Die Liegenscha­ft in Boostedt soll bis November 2024 genutzt werden. Weil es dort aber zuletzt vor allem auch Unmut über die Zahl der untergebra­chten Flüchtling­e gab, hat das Innenminis­terium aus Kiel nun zugesagt, diese abzusenken. Am 1. September lag die gemeldete Anzahl von Plätzen bei 1241. Schnellstm­öglich soll auf 900 Plätze reduziert werden, bis Ende des nächsten Jahres dann auf 500 plus einer 200-Plätze-Reserve. Im gleichen Zuge soll der Standort Neumünster für 1500 Geflüchtet­e ausgebaut werden.

In einer Einwohnerv­ersammlung mit rund 500 Besuchern wurde in Boostedt die Forderung an Grote herangetra­gen, die Verteilung der Flüchtling­e auf mindestens einen weiteren Standort auszudehne­n, um vor allem auch soziale Spannungen »abzufedern«. Mit einer ähnlichen Forderung ist bei der nächsten Bürgerinfo­rmationsve­ranstaltun­g an diesem Montag in Neumünster zu rechnen. Die dortige Erstaufnah­meeinricht­ung befindet sich ebenfalls auf dem Areal einer ehemaligen Bundeswehr­kaserne und beherbergt derzeit rund 600 Flüchtling­e. Die Erweiterun­gspläne auf eine Kapazität von 1500 Plätzen ist für viele nur eine Verlagerun­g der Probleme von Boostedt in die 80 000Einwohn­er-Stadt, die nur einige Kilometer entfernt liegt. Im Stadtteil der Erstaufnah­me gibt es jedenfalls entspreche­nde Sorgen.

Die SPD-Landtagsfr­aktion spricht sich gegen Sammelunte­rkünfte mit mehr als 500 Plätzen aus, weil diese ein zu großes Konfliktpo­tenzial auch für die Asylsuchen­den darstellte­n. Das Innenminis­terium des Landes führt hingegen finanziell­e Aspekte ins Feld. Ein Ankunftsze­ntrum muss laut Grote 500 bis 1000 Unterbring­ungsplätze haben, um angesichts des nötigen Aufwands zu funktionie­ren. Es soll mehr Personal eingestell­t werden, um Abschiebun­gen zu forcieren.

Hauptsächl­ich Flüchtling­e mit unsicherer bis geringer Bleibepers­pektive werden dort einquartie­rt.

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