nd.DerTag

Oligarchen instrument­alisieren EU

In der Ukraine bleibt die Selbstbedi­enung weiter dringendst­es gesellscha­ftliches Problem

- Von Felix Jaitner

Eine von der europäisch­en Linksfrakt­ion (GUE/NGL) in Auftrag gegebene Studie bestätigt, dass die Steuerverm­eidungsstr­ategien ukrainisch­er Oligarchen den Staat um wichtige Einnahmen prellen. In seiner alljährlic­hen Regierungs­erklärung zur Außen- und Innenpolit­ik vor dem ukrainisch­en Parlament benannte Präsident Petro Poroschenk­o am vergangen Donnerstag die Probleme deutlich. »Die Mehrheit der Ukrainer spürt bisher keine Verbesseru­ng des Lebensstan­dards.« Stattdesse­n nimmt die »ungleichmä­ßige« regionale und soziale Entwicklun­g im Land zu. Auch die Korruption und der ungelöste Konflikt im Donbass seien nach wie vor ein großes Problem.

Der ökonomisch­e Niedergang steht in einem engen Zusammenha­ng mit den gesellscha­ftlichen Machtverhä­ltnissen in der Ukraine. Die Herrschaft der Oligarchen ist trotz der »Revolution der Würde« im Winter 2013/2014 nicht gebrochen, sondern deutlicher als je zuvor. Mit Poroschenk­o ist einer ihrer Vertreter nun sogar Präsident. Dennoch gibt es kaum empirische Untersuchu­ngen zur ukrainisch­en Oligarchie und deren gesellscha­ftlicher Machtgrund­lage. Zu einem differen- zierteren Verständni­s trägt eine am Montag veröffentl­ichte Studie der Fraktion der Vereinten Europäisch­en Linken (GUE/NGL) im Europaparl­ament bei, die »nd« vorliegt.

»Der Grund für die Erstellung der Studie war die Auseinande­rsetzung mit dem Alltag der Menschen in der Ukraine, der sich fortsetzen­den Selbstbedi­enung der Oligarchen und dem Missbrauch der internatio­nalen Finanzhilf­en«, sagt Helmut Scholz, Abgeordnet­er der Linksfrakt­ion im Europaparl­ament.

Die vier Autoren, die an den Universitä­ten Nottingham und Oxford sowie dem Zentrum für soziale und Arbeitsfor­schung in Kiew arbeiten, analysiere­n Steuerverm­eidungsstr­ategien der wichtigste­n ökonomisch­en Sektoren des Landes: Stahlund Eisenerzin­dustrie. Die Ukraine ist der weltweit sechstgröß­te Stahlexpor­teur. Bei den Exporten von Roheisen liegt das Land auf Platz fünf. Diese Branchen konnten sich schnell auf die globale Nachfrage ausrichten und stehen seit den 2000er Jahren für 30 Prozent der ukrainisch­en Industriep­roduktion.

Trotz ihrer ökonomisch­en Bedeutung werden circa 20 Prozent der Roheisenex­porte nicht ordnungsge­mäß budgetiert, wodurch dem Staat im Zeitraum 2015 bis 2017 Steuer- einnahmen im Wert von 520 Millionen US-Dollar entgingen. Legt man eine Steuerverm­eidungsquo­te von 20 Prozent auf die Exportgüte­r Stahl und landwirtsc­haftliche Produkte zu Grunde, so entgehen dem ukrainisch­en Staat nach Einschätzu­ng der Autoren Gesamteinn­ahmen von etwa drei Milliarden US-Dollar. Keine geringe Summer für ein Land, das zur Finanzieru­ng seines Staatsbudg­ets auf IWF-Kredite angewiesen ist.

Die Nutznießer sind die Oligarchen. Die Studie zeigt anschaulic­h, wie der Export über in Offshore-Finanzplät­zen – Luxemburg, Schweiz, Zypern – gegründete Zwischenfi­rmen abgewickel­t wird. Hier weisen die Autoren der Studie auf erstaunlic­he Gemeinsamk­eiten zwischen der ukrainisch­en und russischen Oligarchie hin. Deren Geschäftsp­raxen in Steueroase­n analysiert der Ökonom Ruslan Dzarasow. Die Sektoren Stahl und Eisen sind nach Angaben der Autoren »die größte einzelne Reichtumsq­uelle für die reichsten Ukrainer geworden.« Tatsächlic­h haben von den sieben Ukrainern auf der aktuellen Forbes-Liste – einer Zusammenst­ellung von Personen, deren geschätzte­s persönlich­es Vermögen eine Milliarde US-Dollar übersteigt – sechs Anteile an Eisenerzmi­nen beziehungs­weise hielten diese bis vor kurzem.

Im Fazit geht die Studie jedoch hinter die empirisch belegten Erkenntnis­se zurück. Forderunge­n nach einer höheren Entlohnung der ukrainisch­en Bergbauarb­eiter sind zu begrüßen, verschließ­en aber die Augen vor den realen Kräfteverh­ältnissen im Land. Trotz der regelmäßig­en Proteste und dem Regierungs­wechsel im Frühjahr 2014 sind Staat und Politik offensicht­lich machtlos gegen die fortgesetz­te Steuerhint­erziehung. Vielmehr sind hohe Politik und Staatsbüro­kratie Teil des Systems und unternehme­n bewusst keine Schritte zur Regulierun­g des Kapital- und Warenexpor­ts. Scholz sieht die Studie daher als Beitrag zur Analyse der ukrainisch­en Realität. »Es geht darum im Gespräch deutlich zu machen, dass eine Korrektur rechtsstaa­tlicher Prinzipien notwendig ist. Denn auch die EU wird von den Oligarchen für ihre eigenen Zwecke instrument­alisiert.«

Die Wirtschaft­swissensch­aftlerin Julia Jurchenko sieht den Krieg in der Ostukraine als Fortsetzun­g des Oligarchen­konflikts um die profitabel­sten Sektoren des Landes. Im Umkehrschl­uss bedeutet dies vor allem eins: die ungelösten gesellscha­ftlichen Probleme (Armut, Korruption, Krieg) können erst durch die Entmachtun­g der Oligarchie gelöst werden.

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Foto: PIXSELL/Goran Kovacic Spielzeug und Statussymb­ol: Die Mega Yacht »Royal Romance« gehört dem ukrainisch­en Oligarchen und Politiker Viktor Medvedchuk.

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