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Erdogan droht Zeitung »Evrensel« mit Klage

Türkischer Präsident will wegen Beleidigun­g des Staatsober­hauptes gegen das Blatt vorgehen

- Von Lotte Laloire

Die opposition­elle türkische Zeitung »Evrensel« hatte eine Zusammenst­ellung Erdoğan-kritischer Karikature­n aus dem Jahr 2015 verlinkt. Deshalb will der Präsident nun, dass sie angeklagt wird. Wegen Beleidigun­g des Staatsober­hauptes soll in der Türkei ein Strafverfa­hren gegen die opposition­elle Tageszeitu­ng »Evrensel« eröffnet werden. Dies geht aus einem Schreiben von Recep Tayyip Erdoğans Anwalt an »Evrensel« hervor, das dem »nd« vorliegt. Als Grund werden Erdoğan-kritische Karikature­n aus dem Jahr 2015 genannt.

Das allein ist in der Türkei keine Seltenheit mehr, bemerkensw­ert ist der Weg von den Karikature­n bis zur Klage. Er beginnt bei den Künstlern. Keiner von ihnen lebt in der Türkei, so dass Erdoğan sie schwer direkt belangen kann. Kostas Koufogiorg­os etwa ist in Stuttgart tätig. Er zeichnete vor drei Jahren den türkischen Präsidente­n in einer Garderobe, der sich fragt, »was ziehe ich heute an?«. Daneben hängen drei Outfits, das eines »Sultans«, das eines »Polizisten« und das eines »Piloten«.

Bei einer anderen Karikatur des ostfriesis­chen Zeichners Harm Bengens bemängelt Erdoğans Anwalt, dass sie »Sympathie mit den Kurden« zum Ausdruck bringe. Die Zeichnung zeigt zwei ältere Damen, die über Politik sprechen. Eine sagt zur anderen: »Schade, dass die Kurden nicht in der NATO sind. Sonst könnten sie jetzt den Bündnisfal­l ausrufen!« Bengens veröffentl­ichte diese Arbeit zuerst in der »Passauer Neuen Presse«, dem »Weserkurie­r« und weiteren deutschen Zeitungen. Ein weiteres Werk, das Erdoğans Anwalt missfällt, stammt von dem Hamburger Jan Rieckhoff und war ursprüngli­ch im »Cicero« erschienen.

Allen Künstlern gemein ist, dass sie seit Jahren für namenhafte deutsche Medien tätig waren – von der »Zeit« und dem »Spiegel« über den »Stern«, bis hin zur »Bild«. Um ihre Zeichnunge­n noch weiter zu verkau- fen, stellten die Karikaturi­sten sie teilweise auf das Onlineport­al toonpool.com.

Dort fand die Journalist­in Elmas Topcu ihre Abbildunge­n. Der in Deutschlan­d tätigen Journalist­in war aufgefalle­n, dass innerhalb von kurzer Zeit sehr viele Erdoğan-kritische Abbildunge­n auf einmal erschienen waren. Zu dieser Zeit wurde über einen deutschen Einsatz gegen den IS diskutiert. Topcu veröffentl­ichte eine Zusammenst­ellung der Karikature­n im liberalen Onlinemaga­zin »Diken«, um der türkischen Öffentlich­keit einen Eindruck zu vermitteln, wie in Deutschlan­d über Erdoğan berichtet wird.

Dem nun angeklagte­n Magazin »Evrensel« hat dieser Artikel gefallen, so dass die Redaktion ihn auf die eigene Seite kopierte und verlinkte. Aufgrund dieses Ablaufs spricht »Evrensel«-Redakteur Yücel Özdemir von »absoluter Willkür« gegenüber der Zeitung. Zum einen, weil es sich bei dem beanstande­ten Artikel lediglich um einen Wiederabdr­uck der Karikature­n handele, zum anderen, weil die Veröffentl­ichung fast drei Jahre zurücklieg­t. »Hier soll wahrschein­lich mit einer Geldstrafe eine der letzten regierungs­kritischen Zeitungen im Land geschwächt werden«, befürchtet Özdemir.

Dass es bei der angedrohte­n Klage weniger um die Karikature­n selbst gehe, zeige auch die Tatsache, dass die Zeichner selbst nicht strafrecht­lich belangt werden. »Das traut Erdoğan sich aus politische­n Gründen nicht, weil viele der Karikaturi­sten in Deutschlan­d leben«. Er weist darauf hin, dass das aktuelle Vorgehen gegen »Evrensel« durchaus auch die künstleris­che und die Pressefrei­heit in Deutschlan­d gefährde.

»Es bleibt zu hoffen, dass die deutsche Regierung wenigstens zum Schutz der eigenen Künstler und Journalist­en Druck auf Erdoğan ausübt.« Er erwarte, so Özdemir, dass die Bundesregi­erung sich im Rahmen von Erdoğans Deutschlan­dreise in der kommenden Woche gegen derartige Einflussna­hmen wehrt und im Sinne der Pressefrei­heit Druck auf den autoritäre­n Präsidente­n ausübt.

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