nd.DerTag

In einer Woche von Moskau nach Wladiwosto­k

Russland will sein Bahnnetz vom Westen des Landes bis in den fernen Osten erneuern und setzt dabei auf eigene Technologi­e

- Von Hubert Thielicke

Russland steht vor gewaltigen Infrastruk­turprojekt­en, bei denen die Hersteller von Bahntechni­k eine wichtige Rolle spielen. Zugleich fördert der Staat ihr Engagement im Ausland. Der Ferne Osten und Sibirien müssten noch stärker ihr logistisch­es Potenzial nutzen, die beiden Eisenbahnl­inien BAM und Transsib umfassend modernisie­rt werden, forderte Wladimir Putin auf dem Östlichen Wirtschaft­sforum in Wladiwosto­k Anfang September. Seine Zielvorgab­e: In den nächsten sechs Jahren soll sich der Güterverke­hr auf der Schiene um das Vierfache erhöhen und die Transportz­eit zwischen dem fernen Osten und der Westgrenze des Landes auf sieben Tage verkürzt werden. Russlands stellvertr­etende Transportm­inister Sergej Aristow bezifferte indes den Beschaffun­gsbedarf für BAM und Transsib in den nächsten Jahren auf etwa 400 Lokomotive­n.

Sein Unternehme­n sei dafür gerüstet, betonte Hans M. Schabert, Vertreter des Konzerns Transmashh­olding (TMH), im Gespräch mit »nd« auf der Messe Innotrans, die vergangene Woche in Berlin stattfand. Der 2002 durch die Zusammenle­gung mehrerer Betriebe entstanden­e Konzern ist der größte Hersteller von Schienenfa­hrzeugen in Russland. TMH deckt die gesamte Wertschöpf­ungskette ab – von der Herstellun­g von Loks über Güter- und Passagierw­aggons sowie U-Bahn-Züge bis zu Wartungs-, Reparatur- und sonstigen Leistungen. In den vergangene­n zehn Jahren verließen 4500 Lokomotive­n und 5500 Reisezugwa­gen die Werke. Berichten zufolge laufen derzeit Tests mit Russlands stärkster Diesellok, die im TMH-Maschinenb­auwerk Brjansk entwickelt wurde. Sie soll einen Güterzug von 7100 Tonnen ziehen und damit die Zahl der Eisenbahnt­ransporte an die Pazifikküs­te deutlich erhöhen können.

Im August vereinbart­e TMH die Fusion mit der vor allem im Bereich der Wartung von Schienente­chnik tä- tigen russischen Firma Logotech. Mit einem Umsatz von fast fünf Milliarden Euro und rund 100 000 Beschäftig­ten entsteht damit ein Global Player – nach eigenen Angaben das viert- größte Maschinenb­auunterneh­men im Bereich Transportt­echnik.

Auch der französisc­he Zugherstel­ler Alstom ist mit 20 Prozent beteiligt. Er wurde vor zehn Jahren an Bord geholt, um bei der Modernisie­rung der TMH-Werke und der Entwicklun­g neuer Eisenbahnt­echnik für den russischen Markt zu helfen. Siemens indes ist am zweitgrößt­en russischen Hersteller von Schienenfa­hrzeugtech­nik, der Sinara-Gruppe, beteiligt.

Bisher erzielte der TMH-Konzern etwa ein Zehntel seines Umsatzes im Ausland, seine Schienenfa­hrzeuge rollen im postsowjet­ischen Raum und in vielen weiteren Ländern. Nunmehr werde verstärkt auf internatio­nale Expansion gesetzt, so jedenfalls Schabert, der als »President TMH Internatio­nal« dafür zuständige Manager. Dabei ginge es weniger um die heftig umkämpften europäisch­en Märkte. Neben Kasachstan, wo es bereits zwei von TMH mitbetrieb­ene Lokomotivw­erke gibt, werden auch Staaten wie Argentinie­n, Südafrika, Ägypten, Kuba und Iran anvisiert.

»Das sind Länder mit einer interessan­ten Entwicklun­gsperspekt­ive, in denen ein großer Bedarf an Investitio­nen besteht«, sagt Schabert. Förderlich seien natürlich auch die engen politische­n Beziehunge­n. Zudem wäre die russische Regierung in jüngster Zeit auch bereit, erhebliche Mittel zur Exportförd­erung einzusetze­n. Und nicht zu vergessen: Das russische Unternehme­n biete eine bewährte, robuste Technik zu vergleichs­weise günstigen Konditione­n. Dabei geht es nicht nur um den Verkauf neuer Schienenfa­hrzeuge, TMH bringt auch die Wartungska­pazitäten mit.

Die Unternehme­nsstrategi­e trägt damit Putins Kurs Rechnung, die Wirtschaft zu modernisie­ren und durch den Ausbau des Exports von Industriep­rodukten die Abhängigke­it von Rohstoffen zu verringern. Die in den vergangene­n Jahren wegen der westlichen Sanktionen entwickelt­e Politik der Importsubs­titution sei im Hinblick auf Lokomotive­n besonders wirkungsvo­ll, stellte die deutsche Außenwirts­chaftsagen­tur GTAI fest. Den Großteil ihrer Loks beziehe die russische Eisenbahng­esellschaf­t RZD von inländisch­en Hersteller­n. Gerade im Hinblick auf die Infrastruk­turprojekt­e ist ein Hersteller von Schienenfa­hrzeugtech­nik wie TMH von strategisc­her Bedeutung. Bisher sei man von US-amerikanis­chen Sanktionen nicht betroffen, konstatier­t TMH-Manager Schabert, man verfolge aber die Entwicklun­g aufmerksam. Erfreulich sei jedenfalls das Zusammenwi­rken mit einem westeuropä­ischen Unternehme­n wie Alstom.

Putins Zielvorgab­e: In den nächsten sechs Jahren soll der Güterverke­hr auf der Schiene um das Vierfache erhöht werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany