Odin ist längst entfernt
Was wurden aus »Henker« und Co? Eine Reportage
In den ehemaligen Läden der rechtsextremen Szene haben sich neue Geschäfte etabliert. Mit Neonazis haben die Betreiber nichts am Hut – im Gegenteil. Eine Pizza Salami kostet hier 5,50 Euro, genau wie Spaghetti Carbonara. Zugegeben, Feinschmecker werden in dem italienischen Restaurant »Anima E Cuore« in der Brückenstraße in Niederschöneweide möglicherweise nicht auf ihre Kosten kommen. Aber das Essen ist schnell zubereitet und die Preise stimmen. Als die Deutschlibanesin Hanan Al-Kassem aus Neukölln gemeinsam mit ihrem Vater und Onkel 2014 die Pizzeria eröffnete, wusste sie nicht, dass in den Räumen kurz zuvor noch Berlins berüchtigste Nazikneipe »Zum Henker« war. Jahrelang hatten Menschen gegen den bundesweit bekannten rechten Treff protestiert. Die Kneipe galt als Vernetzungspunkt der extremen rechten Szene wie der inzwischen verbotenen Kameradschaft »Frontbann 21« – und war Ausgangspunkt für Straftaten. Nach Protestdemonstrationen, an denen bis zu 4000 Menschen teilnahmen, hatte der Vermieter dem »Henker« gekündigt.
Statt Nazimusik erklingen in der Pizzeria jetzt italienische Opern. Die Getränke heißen nicht mehr »OdinTrunk« und »Himla«, sondern Cola und Berliner Weiße. Betreiberin Hanan Al-Kassem hatte sich über die Verbarrikadierungen des Lokals zur Straße und die dunkle Innengestaltung mit nordischen Gottheiten an den Wänden gewundert. Das alles ist längst entfernt. Anfangs haben sich gelegentlich ein paar alte Kameraden in die Pizzeria verirrt und dort den Hitlergruß gemacht, erzählt ein neuer Stammgast am Tresen. Und es gab Ärger mit den Mietern im Haus, darunter dem ehemaligen Henker-Wirt, der dort wohnt. Die hätten ständig das Ordnungsamt gerufen. »Mehrmals zum Beispiel, weil wir beim Fleischklopfen angeblich zu laut waren«, sagt die Wirtin. Doch das sei längst vorbei. »Wir merken hier von den Nazis eigentlich nichts mehr«, so ihr Vater.
Allerdings: Vater und Tochter fühlen sich ein wenig als Fremdkörper in im Kiez. Stammgäste gebe es zu wenige. Die Besucher in dem eigentlich schönen Lokal mit Sommerterrasse und Spreeblick seien größtenteils Touristen. Das Geld mache man mit dem Lieferservice.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt das Wahlkreisbüro von Gregor Gysi. Bevor er sich an die Arbeit setzt, kann Büroleiter André Schubert entspannt im Büro ankommen. Das war nicht immer so. Bis 2013 war das Büro des Linksparteipolitikers Hassobjekt der rechten Szene, die die Brückenstraße für sich reklamierte. Schubert musste morgens vor Arbeitsbeginn erst einmal die Scheiße entfernen, die auf die Türklinke geschmiert war oder den in das Schloss gespritzten Klebstoff. Fensterscheiben gingen häufig zu Bruch und Gäste des Büros wurden mit rohen Eiern oder stinkenden Flüssigkeiten beworfen. »Das gehört zum Glück der Vergangenheit an«, sagt Schubert. »Die letzte kaputte Fensterscheibe hatten wir im letzten Winter und ab und zu spuckt jemand auf unsere Scheibe, aber das müssen nicht unbedingt Nazis sein.«
Dass das Zentrum für Demokratie in derselben Straße jetzt wieder von Rechten attackiert wird, weiß Schubert und es wundert ihn nicht. Den fantasievollen Protesten der Zivilgesellschaft, die einen langen Atem hatte, war es zu verdanken, dass bis 2014 die stadtbekannten Treffs der rechten Szene aus Niederschöneweide verschwunden. Hier hatte sich vor allem der kürzlich verstorbene LINKELokalpolitiker Hans Erxleben engagiert.
Verschwunden ist der Rockerclub »Darf7side« vom gegenüberliegenden Spreeufer. Dort haben sich – berlinweit einmalig – rechte Szene und Rockerkriminalität vermischt und einen Angstraum geschaffen. Heute kann man das Kino in den Spreehöfen wieder angstfrei besuchen.
2014 schloss auch der Laden »Hexogen« des Ex-NPD-Landeschefs Sebastian Schmidtke. Dort gab es alles, wonach strammen Neonazis der Sinn stand: CDs mit szenetypischer Musik, Stichwaffen, Gürtel, Kleidung und Rucksäcke für paramilitärische Camps. Der Name »Hexogen« ging auf einen im Zweiten Weltkrieg produzierten Sprengstoff zurück. An seiner Stelle öffnete Monate später ausgerechnet ein Shisha-Laden. Hier gibt es Pfeifen und Tabak, der nach Himbeeren riecht. Die meisten Kunden seien Deutsche und würden in der Umgebung wohnen, versichert der Verkäufer mit lateinamerikanischen Wurzeln, er möchte seinen Namen nicht nennen. Er fühle sich angenommen, sagt er. Im Sommer expandierte der Laden. Die neue Bar bekam es jedoch mit Nazis zu tun. Kurz nach der Eröffnung gab es einen Einbruch. Die Täter hinterließen Hakenkreuze.