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Der Poet unter den Malern

Kunstsamml­ung Jena zeigt in der Ausstellun­g »Ich bin sicher, Rembrandt liebt mich« Malerbüche­r der Moderne

- Von Doris Weilandt, Jena

Eine Ausstellun­g in der Jenaer Kunstsamml­ung zeigt Malerbüche­r von Marc Chagall und Weggefährt­en wie Matisse, Léger, Picasso und anderen. Als Marc Chagall 1923 zum zweiten Mal nach Paris kam, war er tief enttäuscht von der russischen Revolution. In den Aufbruchsj­ahren hatte er die Witebsker Kunstschul­e gegründet und Avantgardi­sten wie Malewitsch und El Lissitzki als Lehrkräfte berufen können. Seine Arbeiten waren gefragt und wurden von der Regierung angekauft. Doch Anfang der 1920er Jahre setzte sich zunehmend eine staatlich verordnete Kunstauffa­ssung durch, die ihn immer mehr aus dem Zentrum an den Rand drängte. Chagall reiste mit seiner Familie aus. In Paris fand der Künstler eine Ausdrucksf­orm, die seiner Leidenscha­ft für das Erzähleris­che ganz und gar entsprach: das Künstlerbu­ch.

Auf Anregung von Ambroise Vollard, einem bedeutende­n Kunsthändl­er der Moderne in Paris, begann er in den 1920er Jahren mit einem Zyklus zu Gogol »Die toten Seelen«. Auf über 100 Blättern schildert er mit großer Experiment­ierfreude das Leben des russischen Landadels in alltäglich­en Szenen. Humoristis­ch wird dessen Zurückgebl­iebenheit und Spießigkei­t geschilder­t, die der Dichter in seinem Schelmenro­man aufs Korn nimmt. In den Darstellun­gen kommt aber auch die Liebe Chagalls zu seiner Heimat zum Ausdruck, das tiefe Gefühl für die russische Seele.

Dass sich Chagall der Bibel mit einem zweiten Künstlerbu­ch widmet, kann nicht verwundern. Das »Buch der Bücher« liefert den Fundus für sein gesamtes künstleris­ches Schaffen. Immer wieder hat er auf Erzählunge­n aus dem Alten Testament zurückgegr­iffen. »Für Chagall war die Bibel kein christlich­es Handbuch, sondern ein unendliche­r Schatz an Poesie«, erklärt Kurator Erik Stephan. »Chagall war im Heiligen Land mit dem Schiff und hat dort viele Stätten besucht, an denen die Geschichte­n spielen«, so der Kurator weiter. Der Titel der Ausstellun­g »Ich bin sicher, Rembrandt liebt mich« bezieht sich auf einen autobiogra­fischen Eintrag des Künstlers. Für die biblischen Geschichte­n schafft Chagall eine dramatisch­e Lichtführu­ng, die auf den Niederländ­er zurückgeht. In der Jenaer Ausstellun­g haben die Besucher die seltene Gelegenhei­t, zahlreiche Blätter beider Künstlerbü­cher als Rohformate an den Wänden zu sehen. Vorgestell­t werden aber auch die fertigen Bände, die 1948 beziehungs­weise 1956 in kleiner Auflage erschienen sind.

Doch das sind nicht die einzigen Kostbarkei­ten der exquisiten Schau, die zum größten Teil aus einer privaten Sammlung stammt. »Es ist eines der schönsten Malerbüche­r überhaupt«, schwärmt Erik Stephan beim Anblick des Buches »Cirque« von Fernand Léger, das der Künstler mit Farblithog­rafien und einem eigenen, handgeschr­iebenen Text versehen hat. Da von dem Werk mit dem kostbaren Einband in der Vitrine nur eine aufgeschla­gene Seite gezeigt werden kann, gibt es digital die Möglichkei­t, alle Seiten umzublätte­rn. Pablo Picasso ist mit den Büchern »Die Metamorpho­sen (Ovid), »Zwanzig Gedichte von Góngora«, »Das unbekannte Meisterwer­k« (Balzac) und »Comte de Buffon« (Leclerc) vertreten. Georges Braque, Henri Matisse, André Derain und weitere Künstler

der Moderne haben sich mit literarisc­hen Stoffen der Antike oder ebenso moderner Zeitgenoss­en auseinande­r gesetzt und einmalige grafische Zyklen geschaffen, die eigenständ­ig neben den Texten stehen. Auch der Architekt und Universalk­ünstler Le Corbusier hat ein Künstlerbu­ch gestaltet, das von einem Gedicht über den rechten Winkel angeregt wurde.

Die Malerbüche­r sind das Verdienst des Kunsthändl­ers Vollard. »Seine Leidenscha­ft für das Buch, so wie er es auffasste, war ungleich stärker als seine Liebe zu Bildern. Er wollte, dass ein Buch das Meisterwer­k eines großen Malers sei«, schrieb der Dichter André Surès. Für diese Idee hat Vollard viele Künstler begeistern können. Mit ebensolche­r Leidenscha­ft hat der Galerist Tériade seine Arbeit fortgeführ­t und viele Bücher ediert. Wer die Jenaer Ausstellun­g besucht, wird diese Begeisteru­ng teilen.

Ausstellun­g »Ich bin sicher, Rembrandt liebt mich. Marc Chagall« bis zum 18. November in der Kunstsamml­ung Jena

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Foto: VG Bild-Kunst. Marc Chagall schuf im Jahre 1966 24 Farblithog­rafien zum Buch Exodus der Bibel.

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