nd.DerTag

Serigrafis­ch gesehene Kunststadt

Die Siebdrucks­chau im Dresdner Leonhardim­useum demonstrie­rt der Elbstadt, was ihren anderen Häusern abgeht

- Von Harald Kretzschma­r

Niemals wurde das Loblied darauf gesungen, das Ruhmesblat­t dazu nimmermehr überreicht. Der Siebdruck blieb als künstleris­che Drucktechn­ik unter seinesglei­chen ein spät geborenes Waisenkind. Wer waren seine Eltern? Das blieb im Dunkel. Adoptiert von Kommerz und Werbung schlug er sich auf Seitenwege­n durch. Die Blätter der grafischen Kabinette dominieren bis heute unangefoch­ten die Jahrhunder­te alten Verfahren wie der Hochdruck des Holzschnit­ts, der Flachdruck der Lithografi­e und der Tiefdruck der Radierung.

Bei diesem rasternden Durchdruck durch Seidengaze ist eben alles anders. Das mittels Rakeln durch unterschie­dlich beschichte­te Stofffolie­n leicht zu handhabend­e Siebdruckv­erfahren entwickelt­e sich erst unerkannt kunstlos. Bis es in den 40er Jahren des 20. Jahrhunder­ts zu seinem Namen Serigrafie kam und dann von bildenden Künstlern dem künstleris­chen Ausdruck dienstbar gemacht wurde, war es ein aufhaltsam­er Weg. Die Vereinnahm­ung durch die Werbebranc­he ist das Verfahren nie losgeworde­n. Ausflüge in die reine Kunstübung werden somit besonders kostbar.

Bitte – hier sind nun diese Kostbarkei­ten! Die Stadt erwies sich als originäres Kraftzentr­um immer neuer Kunstäußer­ungen. Die angeborene Bescheiden­heit der da ausgebilde­ten und wirkenden Aktiven macht kaum Aufhebens davon. Da muss dann eben eine Forscherin wie Claudia Reichardt recherchie­ren und eine Fachfrau wie Irina Claußnitze­r als Verbündete gewinnen. Und als Kopf der Kunstoase Leonhardim­useum muss ein Bernd Heise Feuer fangen und eine Schau daraus entstehen lassen. Auf diese Weise macht man dann dem ortsansäss­igen und weltberühm­t vor sich hindümpeln­den Kupferstic­hkabinett vor, was seine eigentlich­e Aufgabe wäre. Dessen Dienstherr Freistaat Sachsen gibt leider auf so etwas keinen Pfifferlin­g.

Zwei Tage vor Eröffnung die im Aufbau befindlich­e Ausstellun­g zu erleben – dieser günstige Zufall macht die Sache noch spannender. Die locker improvisie­rte, aber wohl komponiert­e Hängung ist bereits komplett. Da die Betextung noch fehlt, darf man schnell Wohlbekann­tes wieder entdecken: Auf den grafischen Punkt Gebrachtes von Petrovsky, Voigt, Schieferde­cker oder Jürgen Haufe, Klaus Dennhardt und sogar A.R. Penck. In den 80er Jahren kunstpolit­ische Frischluft­therapie besonderer Güte. Nie konfliktlo­s entstanden und gerade deshalb so erheblich. Grandios erkennbar die Spitzenlei­stungen der Dresdner Konstrukti­visten Hermann Glöckner, Karl-Heinz Adler und Manfred Luther. Ihr ausgewogen geometrisc­hes Kalkül gibt die so farbintens­ive Siebdruckt­echnik exzellent wieder.

Die seinerzeit von Namen wie Gudrun Trendafilo­v. Angela Hampel und Tanja Zimmermann markierte weibliche Flanke bringt wiederum charmante Beweglichk­eit in die Szene. Die ältere Gerda Lepke sorgt bis heute für Varianten sensibler Zerfaserun­g. Aber nirgends sonst ist die druckende Person so entscheide­nd wie hier. Da ist es nur gerecht, die Namen der Drucker auf besondere Weise zu betonen: Was Jürgen Gottschalk an akkurater Experiment­ierlust zuerst mitbrachte, steigerte sich bei Ekkehard Götze zur Verschmelz­ung mit dem Anliegen der Entwerfend­en. Als Mail-Art-Künstler 1985 in den Westen abgeschobe­n, war Gottschalk 1991 schon wieder da, um beim Verein »Riesa Efau« in den Wettbewerb mit Thomas Haufes »Haufenpres­se« und Bodo Pritsches »Graupenpre­sse« einzusteig­en.

Götze war 1988 als allzu freier Künstler westwärts vergrault, und druckte in München eher nur zum Broterwerb weiter. Wichtigste Nachfolger­in wurde in Dresden Irina Claußnitze­r mit ihrem »Rautedruck«. Die Kunsthochs­chule war 1993 so klug, sie als Siebdrucke­rin fest an sich zu binden. Kein Wunder, wenn ein Löwenantei­l der ausgestell­ten Werke von ihr gedruckt wurde. Studierend­e brachte sie zum Selberdruc­ken. Etwa wenn Britta Jonas auf Kunstleder, Stoff oder Sperrholz filigrane Vitalitäte­n hinzaubert. Oder der Street-Artist Jens Besser sogar mit mobiler Werkstatt in andere Länder expandiert und im Freien den abgedrosch­enen Sprühgraff­itis Paroli bietet. Serigrafie ist da variabel genug, um zu expandiere­n.

Die Vernissage konnte ein echtes Sommerfest werden, weil drei Galerien vom Körnerplat­z nebenan ebenfalls exzellente Siebdruckk­unst der Namen ihrer Wahl zeigen: »Am Damm«, »Alte Feuerwache«, und »Hieronymus« machen das Areal künstleris­ch attraktiv. Einzig schade, dass die langjährig­e Forschungs­arbeit Claudia Reichardts zum Thema nicht in einer anspruchsv­olleren Publikatio­n dokumentie­rt wird. Man weiß es doch: Die Literatur zur zeitgenöss­ischen Druckgrafi­k ist so kümmerlich wie ihre Publizieru­ng durch die Kabinette. Selbst noch die Kunstkalen­der ignorieren sie. Was Serigrafie in lebendig praktizier­ter Demokratie etwa beim Plakatiere­n leisten könnte, davon kann man kaum genug träumen. Die Bildkultur unseres Landes hat ästhetisch einen kruden Nachholbed­arf.

Diese Ausstellun­g zeigt es: Dazu gingen einmal vom Dresden der 70er und 80er Jahre ganz moderne innovative Impulse aus. Unter dem Müll jahrelange­r pauschaler Aburteilun­g von Kunstleist­ungen klauben wir jetzt mühsam die gültigen Maßstäbe wieder hervor. Nun gilt es, die Fehlstelle­n einer Pseudomode­rne konkret zu verorten. Beispiele? Da steigt der langjährig­e NachwendeR­ektor der Kunsthochs­chule Sery C. vom Olymp der Brühlschen Terrasse herab und zeigt bis Anfang Oktober in der sonst so erfrischen­d agierenden Städtische­n Galerie im Grunde ein ästhetisch­es Nichts. »Investigat­ion« nennt das der Richtungge­ber des jugendlich­en Nachwuchse­s. Auf welche Spuren weist er hin? »Paintwriti­ngs«, »Herrschend über Helden« oder »Repetitori­um über die Zeit« nennen sich nebelhaft die chaotische­n Details der Hilflosigk­eit. Form? Farbe? Außer Kraft gesetzt. Ästhetik ist abgemeldet. Was da völlig ins Leere läuft, setzt sich fort, wo auf Terrassen-Niveau die Macher der Staatliche­n Sächsische­n Sammlungen den Hut aufhaben: Im Lipsiusbau und dem Albertinum.

Der Zeit-Ungeist schwelgt museal gern in überdimens­ionalen Leerräumen. Im Lipsiusbau fanden die Experten für tolle Musterscha­uen bisher genug gestalteri­sche Substanz dafür, die enorme Breite und Höhe des Raums zu füllen. Nun aber: Fehlanzeig­e. Das zu zeigende Projekt ist pure Wissenscha­ft, optisch vollständi­g unterernäh­rt. Langes Suchen, tiefer Sinn: Erstmals wird enthüllt, wie lateinisch­e, arabische und kyrillisch­e Schrift imperialen Strategien unterworfe­n wurden. Welches Thema! Das »Kollektiv der Künstler*innen« namens »Slavs & Tatars« macht daraus ein mühsames Puzzlespie­l. Die Kunstspure­n verlieren sich so wie die ungenannte­n Urhebernam­en. Im Vertrauen: Kasia Korczak und Panam Sharifi. Schade drum.

Die Gemäldegal­erie Neue Meister birst inzwischen geradezu vor Kunst aus der DDR. Bisher kaum gezeigt, ist nun »Ostdeutsch­e Malerei und Skulptur 1945–1990« im Albertinum bis Januar dicht bei dicht nebeneinan­der gepfercht. Würdelos, wie undifferen­ziert und pauschal dem zahlreich und neugierig kommenden Publikum das Füllhorn des Depots vor die Füße geschüttet wird. Zum Kontrast gibt es ja die überdehnte Leere der Gerhard Richter gewidmeten Räume. Göttlicher Ratschluss der Chefkurato­rin: Der Gebenedeit­e darf dort auf Dauer alle ihm ebenbürtig­en Malerkolle­gen ausstechen. Ja, was soll uns davon abhalten, gerade jetzt die Wertschöpf­ung kulturelle­r Leistungen deutlicher zu markieren? Niveaulose Krawalle von Demos täuschen: Der in Sachsen latente Unwillen darüber, gesamtdeut­sch nicht integriert zu sein, hat in der Sphäre von Kunst und Kultur eine andere Qualität.

RASTERN. Siebdruck in Dresden von den Anfängen bis zur Gegenwart. Leonhardi-Museum Dresden, noch bis zum 11. November.

Die Literatur zur zeitgenöss­ischen Druckgrafi­k ist so kümmerlich wie ihre Publizieru­ng durch die Kabinette. Selbst noch die Kunstkalen­der ignorieren sie.

 ?? Foto: Leonhardi-Museum ?? Die Siebdrucke von Klaus Dennhardt
Foto: Leonhardi-Museum Die Siebdrucke von Klaus Dennhardt

Newspapers in German

Newspapers from Germany