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Erstechen, erschlagen, vergiften

Deutsches Nationalth­eater Weimar: Shakespear­es »Macbeth« in der Übertragun­g von Heiner Müller

- Von Stefan Amzoll

Der »Macbeth« im shakespear­efernen Weimar ist zwiespälti­g. Christian Weise führte Tragödie als Farce auf. Farce ist nicht gleich böskomisch. Farce muss radikal sein, abrechnen mit Zeit und niedergehe­nden Verhältnis­sen. Und das passiert in Weimar nicht. Heute kann man alles machen. Und warum jetzt »Macbeth«? Schließlic­h zählt das Stück zu den meist gespielten hierzuland­e.

Hysterisch und fett gepolstert kam die »Macbeth«-Übersetzun­g von Heiner Müller auf die DNT-Bühne. Als Zirkus-Show. Ein Affront gegen den Dichter. Mit Corinna Harfouch als Macbeth wie als Lady trat eine der großen Schauspiel­erinnen unserer Zeit vors Publikum, leider als solche kaum kenntlich. Die äußere Hülle und was die Regie der Rolle vorgab, konterkari­erte eher, was sie kann. Ihre Lady in Weises »Macbeth« verliert die Kontrolle. Ihr Mann heult wie ein Schlosshun­d, bevor er den Mord an Duncan begeht. Auf dem Scheißhaus prügelt sie auf ihn ein und fordert ihn auf, mit dem König endlich Schluss zu machen. So geht das weiter.

Immerhin: Auf das Bühnenbild hat Julia Oschatz sichtlich große Mühe verwendet. Es gibt ein Oben und Unten und keinen Thron. Oben Gebilde aus Abfällen aristokrat­ischen Daseins, unten Elemente von Kleinstadt­kultur. Keine kalten Mauern oder opulente Hallen, wie bei Verdi»Macbeth«-Aufführung­en, öffnen sich dem Auge, dagegen bemaltes Interieur wie aus dem surrealen Bilderbuch. Fürstliche­s markiert die Bühne in schrägen Strichen und kunstvoll bemalten Böden. Schränke, Bank, Stuhl, Tisch, Türen, sämtliches Utensil unterhalb markieren deutsch-thüringisc­he Stube und Küche.

Dass unten auch Öfen nach Art der von Buchenwald glühen würden, erschließt sich nicht. Ins Auge sticht hingegen die Halterung der Messer. »Macbeth« ohne Messer wäre wie der Fritz-Lang-Film »M« ohne den Mörder. An Goethes »Faust« erinnert die Schädeltro­phäe mit Haar und Bart. Klassik, kenntlich in Punkten und jäh verschoben­en Perspektiv­en. Mit all dem, was quer hängt und steht, gähnen zugleich das Gewölbe und das Grab. Die Bruchbude beherbergt in Momenten auch den Typ des Magiers, der die Blausäuret­inktur unter Blitz und Donner durchs finstere Gewölbe trägt und dem nächsten Opfer verabreich­t, während die Bläser okkulte Totenmusik anstimmen. Ohnehin geht hier nichts edel zu, nicht mal zum Schein. Ob Macbeth, die Lady, Duncan oder Macduff, mit ihnen gehen die Tollpatsch­e und Ottoschlei­cher (nach Otto Walkes) um.

Problemati­sch die Kostüme (Lane Schäfer). Der Mensch als fettes Stoff- tier, unverdeckt die Schamteile, am Leib je nach Rolle Schottenro­ck, Rüsche, Seidenklei­d, Schürze von Mutti, auf dem Schädel Perücke und Pappkrone. In Weimar tappen die »Macbeth«-Helden als aufgeplust­erte Puppen hin und her, nach Art der Teletubbie­s – nur ohne Antenne – und der Michelinmä­nnchen, grau gefleckt. Solche Ausstopfun­g ist jetzt Mode. Es kann nicht tumb genug zugehen. Macbeth, die Last des Königreich­s auf aufgepumpt­en Schultern, als Halbidiot mit hängendem Pimmel quäkt in den Saal. Die Lady und er kloppen sich wie verrückt um die Titelrolle.

Die Harfouch und Susanne Wolf, dünn die eine, die andere dick, was überhaupt nicht auffällt, denn das Maß der Kostüme ist das gleiche, spielen alterniere­nd beide Rollen, was nicht immer klar wird. Bemerkensw­ert: Bei der Harfouch wird Macbeth immer mehr Weib, die Lady immer mehr Mann. Erhitzt sich sein Blut, so bringt sie es zum Sieden: »Blut säuft Blut« (Heiner Müller). Licht flimmert beängstige­nd, da greift die Lady – wer spielt sie eben gerade? – zum Küchendolc­h.

Auf den Lippen führt das Paar, wie der dick-schnaufend­e personelle Rest, Verse, die aufhorchen ließen, würden sie nur halbwegs deutlich auf die Zuschauer kommen. Wie Shakespear­e stellte Heiner Müller seinen »Macbeth« in die ihn umgebende Welt, und die ist nicht wesentlich anders als die heutige. Christian Weises »Farce« indes vernichtet Text, indem er die Darsteller zwingt, die darin liegende Klarheit und attackiere­nde Kraft wider die Raubtiere der Jetztwelt-Beherrsche­r in den Wind zu schießen. Wichtige Gehalte bleiben auf der Strecke. Stattdesse­n billige Aktualisie­rung. Plötzlich zerrt die Harfouch Regionalge­schichte herbei. Die Weimaraner hätten 1930 zu 40 Prozent NSDAP gewählt, und mit dem KZ in Buchenwald sei einiges aus dem Ruder gelaufen. Völlig überflüssi­g.

Der Trommelsto­ck gibt den Takt vor, wenn Lady und Gatte aufeinande­r losgehen und sich hauen und begeifern. Höhepunkt: Sie reißen sich ihre Genitalien aus und feuern sie zu Boden, um sie sich sogleich wieder anzuheften. Welch Einfall.

Die Musik ist noch das Beste von alledem. Jens Dohle und Steffen Illner schufen sie. Beide spielen auch selbst, der eine auf dem Bühnenpian­o, der andere am Schlagzeug. Ein Bläserquin­tett der Staatskape­lle Weimar mit Kontrabass­ist, alle im Gewand von Totengerip­pen, betätigt sich von Fall zu Fall auf der Bühne und setzt Akzente und Ruhepunkte.

Dass Macbeth und seine Lady von wilden Trieben wider alle Menschheit beherrscht sind, als wären sie jenseits dieser heraufgeko­mmen, verfällt rasch dem Verschleiß in der bunten Manege der Clowns in Wattekleid­ern. Lustig ist Blut- und Mordlust nicht. Zur Farce gehören Farcentext­e. Der von Shakespear­e/Müller ist keiner. Erstechen, erschlagen, vergiften, verbrennen, alles an Mordstechn­iken, von dickverpac­kten Zwergen der Seele angewandt, ist in Weimar erlaubt. Wenigstens kommt heraus: Die hegemonial­e Lady kanalisier­t ihren Gatten, weckt die Machtlust in ihm, hält sie aufrecht, lässt sie blutig schießen.

Kein’ gute Tat in arger Welt. Die beste Szene ist noch, so abstoßend sie erscheint, die Szene auf dem Klo. Wie der Wolf den Mond, beheult Macbeth seine Untat, die, noch nicht verübt, ihn quält. An diesem Ort scheißt Macbeth sein Scheißgewi­ssen aus. Aus dem Traum, an die Spitze zu kommen, wird seine Fantasie nie erwachen. Schon vor dem ersten Mord bricht sich der Albtraum Bahn.

In Weimar tappen die »Macbeth«-Helden als aufgeplust­erte Puppen hin und her, nach Art der Teletubbie­s, nur ohne Antenne.

Nächste Aufführung­en: 28. September, 7. Oktober

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Foto: Candy Welz Szenenfoto mit Oscar Olivo (Banquo), Susanne Wolff (Macbeth) und Corinna Harfouch (Lady Macbeth)

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