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Unter olympische­r Aufsicht

Forderunge­n nach Zulassung der russischen Antidoping-Agentur: WADA muss entpolitis­iert und unabhängig werden

- Von Andreas Schirmer, Frankfurt/Main

Die Wiederzula­ssung der russischen Antidoping-Agentur RUSADA beschädigt die Glaubwürdi­gkeit der Weltagentu­r WADA. Die Kritik an dieser Entscheidu­ng hält an. Nach dem großen Aufschrei gegen die Begnadigun­g Russlands wird der Ruf nach einer Reform der Welt-Antidoping-Agentur WADA immer lauter. »Es muss eine neue Führungsst­ruktur in der WADA geben. Nicht nur wenige Interessen­gruppen dürfen ein Übergewich­t haben«, forderte Silke Kassner, stellvertr­etende Athletensp­recherin im Deutschen Olympische­n Sportbund, am Freitag. »Die Struktur muss entpolitis­iert werden, es müssen mehr Experten in die Gremien der WADA.« Für die Vorstandsc­hefin der deutschen Agentur NADA, Andrea Gotzmann, wäre nach dem »Bad Deal« der WADA mit der Aufhebung der Suspendier­ung der russischen RUSADA der richtige Zeitpunkt, wirkliche Veränderun­gen zu erreichen. »Es ist ein Beispiel dafür zu fragen, wie sich die internatio­nale Antidoping-Arbeit entwickeln muss«, sagte sie. »Die WADA geht geschwächt aus dieser Entscheidu­ng hervor.« Unterstütz­ung erhält sie vom Leiter der US-Agentur USADA, Travis Tygart. »Der Weg zur stärkeren WADA muss jetzt beginnen«, betonte er. »Es wird nichts passieren, wenn wir, die Antidoping-Gemeinscha­ft, mit der WADA-Reform nicht beginnen.« Es gehe dabei vor allem auch um die Beseitigun­g eines »inhärenten Interessen­konflikts, der durch den IOC-Fuchs entsteht, der den WADA-Hühnerstal­l bewacht.«

Das Internatio­nale Olympische Komitee zahlt nicht nur die Hälfte des WADA-Budgets – die andere kommt von staatliche­n Regierunge­n. Agenturprä­sident Craig Reedie ist zugleich IOC-Mitglied, ebenso andere Mitglieder im Foundation Board und im Exekutivko­mitee der Weltagentu­r. »Da sehen wir eine Häufung der Ämter und damit verbundene Interessen­konflikte«, sagte Gotzmann. »Zu den neuen Strukturen soll gehören, dass die Position des Präsidente­n mit einer unabhängig­en Person besetzt wird – und dass in den WADA-Strukturen ein No- minierungs­komitee und Ethikpanel installier­t wird.«

Die NADA hat sich 2011 neue Strukturen gegeben, mit einer klaren Trennung des operativen Geschäfts vom Aufsichtsr­at und einem Gleichgewi­cht der Kräfte. »Wir haben natürlich noch die Geldgeber dabei, aber wir haben ebenso externe Experten benannt und die Athleten mit einer Stimme beteiligt: Silke Kassner ist derzeit die stellvertr­etende Aufsichtsr­atsvorsitz­ende«, erklärte Gotz- mann. »Wir erwarten dies auch bei der WADA, um die Interessen­skonflikte deutlich zu reduzieren; ebenso die Ämterhäufu­ng.« In einer WADAKommis­sion wirkt die NADA-Chefin an der Reform mit. Ende Oktober soll die letzte Sitzung sein: »Dann werden wir sehen, wo Konsens mit den Regierungs­vertretern und denen des Sports besteht.«

Unterdesse­n hielt die Kritik an der WADA an, Russland ohne die vorherige Erfüllung aller Bedingunge­n die Rückkehr in den Weltsport zu ebnen. Dass diese Rückkehr damit verknüpft wurde, den WADA-Experten bis zum 30. Juni 2019 den Zugang zum Moskauer Analyselab­or mit den dortigen Dopingdate­n und -proben zu gewähren, besänftigt­e wenig.

»Es ist ein fragwürdig­es Signal für den Weltsport, wenn nun die WADA von ihren aufgestell­ten Kriterien für eine Wiederzula­ssung der RUSADA abweicht und sie ohne deren vollständi­ge Erfüllung wieder zulässt«, kritisiert­e DOSB-Präsident Alfons Hörmann. Damit falle es schwer, das Vertrauen in die WADA zu stärken.

»Wir erwarten vollkommen­e Transparen­z«, betonte auch Aktivenspr­echerin Kassner. Sie schließt auch juristisch­e Schritte gegen das WADAVotum nicht aus. »Wir behalten uns vor, den Internatio­nalen Sportschie­dsgerichts­hof anzurufen, sofern die Voraussetz­ungen dafür gegeben wären«, kündigte sie an. »Es wäre ein gutes Signal gewesen, die RUSADA weiterhin nicht zuzulassen. So wird akzeptiert, dass systematis­ch gegen Regeln verstoßen wurde«, meinte Christian Baumgartne­r, Präsident des Bundesverb­andes Deutscher Gewichtheb­er. »Es ist leider bis heute von keinem dopingbela­steten Verband eine Entschuldi­gung an jene Sportler ausgesproc­hen worden, die betrogen worden sind. Es ist schwer zu glauben, dass die RUSADA unter neuer Führung so sorgfältig arbeitet wie die Agenturen in anderen Ländern.«

Mit Unverständ­nis reagiert der Deutsche Behinderte­nsportverb­and. DBS-Vizepäside­nt Karl Quade bemängelte den WADA-Entscheid als »inkonseque­nt« und einen »herben Rückschlag«. Das Internatio­nale Paralympis­che Komitee hält die RUSADA-Wiederzula­ssung zunächst für einen richtigen Schritt. Ob das IPC nun die Sperre für Russlands Behinderte­nsportler aufhebt, ist noch nicht entschiede­n. Auch der Leichtathl­etik-Weltverban­d IAAF, der Russlands als erster und bis heute suspendier­te, wird den Bann noch nicht aufheben.

Zufrieden ist der Kreml in Moskau. »Wir bewerten den Beschluss der WADA positiv«, sagte Kremlsprec­her Dmitri Peskow. Es stehe aber noch ein langer Weg bevor, bis sich die Arbeitspro­zesse wieder normalisie­rt hätten.

Gemischte Gefühle hegt in der Causa Snowboard-Athletensp­recher Konstantin Schad. »Ich sehe es so, dass man überhaupt keine Chance gehabt hätte, an diese Proben heranzukom­men, wenn man die RUSADA weiterhin nicht anerkannt hätte«, sagte er. »Anderersei­ts kann ich auch die Entrüstung vieler Athleten und anderer Menschen aus dem Sport verstehen.«

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Foto: imago/Xinhua Interessen­konflikt? WADA-Präsident Craig Reedie ist gleichzeit­ig IOC-Mitglied

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