Räumen in den Bäumen
Polizei zerstört weitere Behausungen / Hacker legen RWE-Internetseite lahm
Berlin. Nicht nur im Hambacher Forst verhallen die Forderungen von Umweltschützer*innen ungehört. In Polen hat die Regierung am Dienstag – ungeachtet der dortigen Proteste – grünes Licht für den Bau eines großen neuen Kohlekraftwerks gegeben. Der staatliche Energieversorger Enea beschloss am Montagabend endgültig die Errichtung des Tausend-Megawatt-Werks in der nordostpolnischen Ortschaft Ostroleka. Ein Konsortium aus dem USUnternehmen GE Power und dem französischen Alstom-Konzern soll im Oktober mit dem Bau beginnen, die Kosten werden auf mehr als 1,4 Milliarden Euro geschätzt.
Klimaaktivist*innen im Hambacher Forst wehren sich derweil weiter gegen die Räumung durch RWE und die Polizei. Das CDU-geführte Innenministerium hatte ihnen nach dem tödlichen Unfall eines Journalisten nur eine kurze Pause gewährt. Selbst eine Gedenkstätte für den 27-jährigen Dokumentarfilmer mussten sie abbauen, weil diese der Polizei im Weg stand. Auch RWE beharrt weiter auf der Räumung, die am Dienstag weitgehend friedlich verlief. Die Umweltschützer*innen fordern einen Aufschub, bis die derzeit tagende Kohlekommission einen Plan für den Kohleausstieg in Deutschland vorlegt. Der Klimaaktivist Clumsy war einer der ersten, die 2012 mit der Besetzung des Waldstückes begonnen hatten. Im nd-Interview spricht er über die vergangenen Tage im Wald und seine Motivation, trotz Räumung weiterzumachen.
Zur Unterstützung der Besetzer*innen haben Hacker am Dienstag die Internetseite des Energiekonzerns RWE lahmgelegt. Auf dem Internetportal Youtube ist ein Video im Stil der Hackergruppe Anonymous aufgetaucht. Darin wird RWE aufgefordert, die Räumung sofort zu beenden. Das Unternehmen habe Strafanzeige gegen unbekannt erstattet, sagte ein RWE-Sprecher.
Die Räumung der besetzten Baumhäuser im Hambacher Forst geht weiter. Dabei geht die Strategie von RWE und Landesregierung nicht auf: Immer mehr Menschen nehmen an Aktionen und Demonstrationen teil. Viele teilen die Ideen der Besetzer*innen: Denen geht es um mehr als ein Stück Wald.
Sie sind einer der ersten, die in den Hambacher Forst gekommen sind und den Wald besetzt haben. Warum?
Ich war 2012 mit dem Fahrrad auf dem Weg zu einer Waldbesetzung in Frankreich. Ich habe Station gemacht und bin dageblieben. Hier ist ein Kristallisationspunkt. Hier wird der Klimawandel gemacht, hier muss man aktiv werden.
Warum in diesem kleinen Waldstück, spielt das noch eine Rolle? Das Gros des Waldes ist doch schon in der Grube verschwunden.
Für mich geht es um mehr als um den Wald. Es geht um die Frage, wie wollen wir als Gesellschaft mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen umgehen. Wie wollen wir zusammenleben, wie wollen wir wirtschaften? Was hier in den letzten Jahren im Wald passiert, ist für mich ein Superansatzpunkt. Für mich ist das Leben in der Gemeinschaft in diesem wunderschönen Wald eine wunderbare Erfahrung. Hier habe ich gelernt, mehr zu reflektieren, bin selbstständiger geworden und habe gecheckt, in einer Gemeinschaft zu leben, Konflikte zu lösen – der Wald ist ein Experimentierfeld für neue Lebensentwürfe.
Sie haben in »Oaktown« gelebt. Ihr Baumhaus wurde am zweiten Tag der Räumung zerstört, aber Sie sind zurückgekehrt und in »Beechtown«, einer weiteren Baumhaussiedlung im Hambacher Forst, aufgenommen worden. Warum sind Sie zurückgekehrt?
Ich bin nur einer von vielen, die zurückgekommen sind. Für mich geht es weiter: hier im Wald und auch bei unserem Skillsharing Camp, das am Samstag begonnen hat, an dem ich teilnehme und wo wir Erfahrungen aus dem Wald weitergeben – vom Baumhausbau über Organisierung bis zu Theorie und Wanderungen durch den Wald.
Am letzten Mittwoch ist der Journalist Steffen Meyn von einer Hängebrücke gestürzt und gestorben. Was bedeutet das für Sie?
Ich stand rund zehn Meter daneben und habe alles mit ansehen müssen. Das war heftig und damit hat sich etwas geändert. Allerdings kann ich noch nicht sagen was, dazu brauche ich etwas Ruhe und Zeit, um meine Gedanken zu sortieren. Der Innenminister von NordrheinWestfalen, der CDU-Politiker Herbert Reul, hat alle Besetzer aufgefordert, die Besetzung zu beenden, damit nach dem Unglück »nichts mehr passiert«. Was halten Sie von dieser Forderung?
Das ist absoluter Blödsinn, denn wir sind hier, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen, auf eine Politik, die uns die Lebensgrundlage entzieht. Der Klimawandel kostet Menschenleben, dafür ist der Hurrikan »Florence« in den USA das aktuellste Beispiel. Millionen Menschen sind vom Klimawandel betroffen, verlieren ihre Lebensperspektive, verlassen ihre Region, sterben durch Naturkatastrophen, die auf den Klimawandel zurückzuführen sind. Unser Kampf hat seine Legitimation – daran hat sich nichts geändert und wir werden das hier nicht aufgeben und das wäre auch nicht im Interesse von Steffen gewesen.
Innenminister Herbert Reul wirft den Besetzern vor, dass sie den Räumungsstopp nutzen, um neue Barrikaden, neue Baumhäuser bauen – ist das richtig?
Ich habe Mittwochnacht den Hambacher Forst verlassen, war am Samstag wieder im Wald und habe davon nichts mitbekommen. Ich denke, das ist wieder einmal ein Beispiel für die typische Panikmache vom Innenminister. Herr Reul hat zwar einen Räumungsstopp verfügt, aber nie gesagt, wie lange die Räumungen ausgesetzt werden. Ich denke, dass er den nächsten Vorwand gesucht hat, um die Räumung wieder aufzunehmen.
Grundlage für die Räumung ist die Bauordnung. Die Baumhäuser wurden über Nacht zu baulichen Anlagen erklärt, die über Geländer, Fluchtwege und Brandschutz verfügen müssten. Gerüchte kursieren, dass RWE mit dieser Idee an die Politik herangetreten ist. Wissen Sie darüber mehr?
Ich habe gehört, dass eine hohe Polizeibeamtin mit der Idee zur Räumung aufgrund von fehlendem Brandschutz an RWE herangetreten ist. Anschließend soll der Konzern mit dieser Idee an die Landesregierung herangetreten sein. Aber das sind Dinge, die ich gehört habe, ob es dafür Belege gibt, kann ich nicht sagen. Im Vorfeld der Räumung und auch währenddessen hat es eine Fülle von Polizeimeldungen gegeben, in denen Sie als linksextreme, gewaltbereite Chaoten dargestellt wurden. Bei den Räumungen blieb es aber friedlich – die Polizei wurde nicht mit Molotowcocktails, mit Steinen, Steinschleudern und Co. attackiert. Ein Widerspruch?
Es gab von Beginn an eine Kriminalisierungsstrategie und die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen steht vor dem Problem, dass die Proteste in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Durch die Kriminalisierung unseres Widerstands hat man versucht, einen Keil dazwischen zu treiben. Doch dieses Konzept geht nicht auf. Wir kriegen hier mit, wie der Protest von Tag zu Tag größer wird. Für mich sind das verzweifelte Versuche, uns Unterstützung abzugraben.
Ist die Polizeistrategie gescheitert? Für mich ging es darum, potenzielle Unterstützer aus dem bürgerlichen Lager mit den Gewaltszenarien abzuschrecken. Bei der Räumung war jedoch klar zu sehen, dass die Gewalt von der Polizei und RWE-Angestellten ausging und das hat dazu geführt, dass die Unterstützung hier im Wald stetig zugenommen hat.
Ist die Strategie der Aktivisten aufgegangen, den Klimawandel und die Verantwortung eines Industrielands wie Deutschland für den Klimawandel zum Thema zu machen?
Ja, auf jeden Fall. Und ich persönlich hätte nie damit gerechnet, dass die Solidarität so breit wird, dass so viele Menschen hierherkommen und ein Zeichen gegen den Klimawandel und für mehr Verantwortung setzen. Meine Erwartungen wurden bei Weitem übertroffen und es ist schön zu sehen, wie immer mehr Menschen in den Wald kommen und sich engagieren. Wir haben es geschafft, nicht nur in Deutschland, sondern auch international ein Thema zurück in die Diskussion zu bringen und aufzuzeigen, was hier für ein Blödsinn passiert.
Wie denken Sie zehn Tage nach Räumungsbeginn über den größten deutschen Stromkonzern und den größten europäischen Emittenten von Treibhausgasen – eben RWE?
Es sind immer noch die gleichen Betonköpfe wie vorher. Sie bewegen sich keinen Millimeter, ich sehe da keinen Willen für Veränderung und für mich war RWE doof, ist doof und wird es wohl auch immer bleiben.
Über das Symbol Hambacher Forst wird derzeit breit diskutiert – in Talkshows und in anderen Medien, aber die Politik hält sich weitgehend zurück – unter anderem mit Verweis auf die eindeutige Rechtslage. Hoffen Sie da noch auf ein Umdenken?
Wer nicht in der Lage ist, Positionen zu überdenken, sie zu ändern, positioniert sich auf Seiten von RWE, auf Seiten des Klimawandels. Die Bundesregierung ist dabei, ihre eigenen Klimaziele zu verfehlen, ich erwarte nicht, dass da noch viel kommt. Momentan sieht es eher so aus, dass die Bundesregierung weiterhin Großkonzerne stützt, aber ich hoffe, dass wir mit einer breiten Bewegung von unten diese Entwicklung noch stoppen können.
Die Waldspaziergänge an den Wochenenden haben riesigen Zulauf – aber man versucht alles, um die Menschen nicht in den Wald zu lassen. Warum?
Unter anderem, um nicht zu zeigen, welche Zerstörungen im Wald während der Räumungen angerichtet wurden. Diese Bilder sollen scheinbar nicht um die Welt gehen.
»Es geht um die Frage, wie wollen wir als Gesellschaft mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen umgehen. Wie wollen wir zusammenleben, wie wollen wir wirtschaften?«
Sechseinhalb Jahre im Hambacher Forst – woher nimmt der Umweltaktivist Clumsy die Kraft weiterzumachen?
Mich motiviert die Gemeinschaft im und um den Wald, die gegenseitige Unterstützung und das Wissen, das Richtige zu tun. Das gilt auch für meine Eltern.
Bis zum 14. Oktober werden die Richter am Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden, ob der Hambacher Forst ein schützenswertes Areal ist. Hoffen Sie auf die Richter?
Ja, die haben noch die Chance, den ganzen Wahnsinn hier zu stoppen. Sie können urteilen, dass der Wald schützenswert ist, die Rodung ganz oder zeitlich befristet aussetzen. Dann würde hier tatsächlich mal wieder Ruhe einkehren. Wenn nicht, dann wird es hier sicherlich einen heißen Herbst geben. Von der Entscheidung hängt viel ab.