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Betroffene kritisiere­n Zermürbung­staktik

Studie zu sexuellem Missbrauch in Katholisch­er Kirche präsentier­t / Kardinal Marx entschuldi­gt sich

- Von Lotte Laloire

Die Deutsche Bischofsko­nferenz stellt offiziell eine Studie zu sexuellem Missbrauch in der Kirche vor und erntet viel Kritik. Diesen Dienstag durften sich die Autoren der Studie »Sexueller Missbrauch an Minderjähr­igen durch katholisch­e Priester, Diakone und männliche Ordensange­hörige im Bereich der Deutschen Bischofsko­nferenz« erstmals selbst äußern. Das Forscherte­am rund um Professor Harald Dreßing vom Zentralins­titut für Seelische Gesundheit in Mannheim hatte über rund vier Jahre 38 156 Personalak­ten von Klerikern ausgewerte­t.

Diese zeigten, dass sich zwischen 1946 und 2014 mindestens 1670 Geistliche des Missbrauch­s schuldig gemacht haben. Darunter seien gut 40 Prozent Serientäte­r, die sich im Durchschni­tt an knapp fünf Minder- jährigen vergriffen. Bei den Tätern wurden häufig Merkmale wie Einsamkeit, mangelnde Reife oder Suchtverha­lten identifizi­ert. Doch die Forscher verweisen nicht nur auf individuel­le Aspekte. Als Ursache für die Verbrechen nennt Dreßing auch »Strukturen, die den Missbrauch begünstige­n« sowie den Umgang mit Themen wie Sexualität, Homosexual­ität, dem Zölibat und der Beichte.

Was die Opfer betrifft, zeigt die Studie, dass mindestens 3677 Kinder und Jugendlich­e sexuelle Gewalt erfuhren. Dabei liege die Dunkelziff­er den Forschern zufolge weitaus höher. In der Regel standen die Opfer mit dem Beschuldig­ten in einer kirchliche­n oder seelsorger­ischen Beziehung, etwa durch Ministrant­endienst, Kommunions­vorbereitu­ng oder Religionsu­nterricht. Die Betroffene­n waren meist männlich und beim ersten Missbrauch unter 14 Jahre alt.

Dass hierzu nun endlich Zahlen vorliegen, findet Matthias Klatsch von der Betroffene­norganisat­ion »Eckiger Tisch« gut. Bei ihm überwiegt allerdings die Kritik. Die Studie sei »unvollstän­dig, weil die Ordensgeme­inschaften wie Jesuiten oder Benediktin­er nicht untersucht wurden«.

Wie aus der Studie hervorgeht, gab es mit gut 20 Prozent auch weibliche Opfer. Eine von ihnen ist Astrid Mayer, die in der Diözese Rottenburg-Stuttgart Gewalt angezeigt hatte. Die Reaktionen der Kirche auf ihre Versuche der Aufarbeitu­ng bezeichnet sie als »Zermürbung­staktik«. Ihrer Erfahrung nach wird »alles, was dem Ansehen des Pfarrers schaden könnte, weiter auch vor der Gemeinde geheim gehalten«.

Auf die Studie und die damit verbundene Kritik reagierte Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzend­er der Bischofsko­nferenz, mit den Worten: »Sexueller Missbrauch ist ein Verbrechen. Wer schuldig ist, muss bestraft werden.« Wie dies genau ablaufen soll, ließ er noch offen. Marx entschuldi­gte sich »für alles Versagen und für allen Schmerz«. Er schäme sich, so Marx.

Auch Papst Franziskus meldete sich am Rande seiner Estland-Reise zu Wort. Er zeigte Verständni­s für die Empörung. In seinen Augen trügen die Missbrauch­sskandale Schuld daran, dass junge Leute sich von der Kirche abwenden.

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