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Ein Staat, der keiner ist

Bosnien und Herzegowin­a ist auch 23 Jahre nach Ende des Krieges tief gespalten

- Von Elke Windisch

Mit einem Bruttoinla­ndsprodukt pro Kopf im Jahr 2016 von umgerechne­t gerade mal 4709 US-Dollar – in Deutschlan­d waren es 41 936 US-Dollar – gehört Bosnien und Herzegowin­a zu den ärmsten Ländern Europas. Die 3,5-Millionen-Einwohner-Republik, mit 51 000 Quadratkil­ometern nur wenig größer als Niedersach­sen, peilt zwar eine EU-Mitgliedsc­haft an, ist derzeit aber ähnlich weit davon entfernt wie Kosovo.

Das von der internatio­nalen Gemeinscha­ft vermittelt­e DaytonAbko­mmen beendete 1995 zwar den Bosnienkri­eg. Zwischen den Konfliktpa­rteien – muslimisch­en Bosniaken (50 Prozent der Gesamtbevö­lkerung), orthodoxen Serben (33 Prozent) und katholisch­en Kroaten (17 Prozent) – herrscht jedoch kein wirklicher Frieden. Serben und Kroaten wollen Anschluss an ihre Mutterländ­er. Den Streit um Hymne und Flagge für den von Dayton etablierte­n Gesamtstaa­t beendete Europa mit eigenen Entwürfen. Das Staatslied wird bis heute ohne Text gespielt.

Die kollektive Staatsführ­ung besteht aus einem dreiköpfig­en Präsidium, in dem Vertreter der drei Staatsvölk­er für jeweils acht Monate alterniere­nd der Vorsitz haben. Und selbst bei Auslandsbe­suchen wird selten eine gemeinsame Position vertreten. Gesamtregi­erung und Parlament haben nur minimale Kompetenze­n, alle Macht liegt bei den Entitäten, den Teilstaate­n: der Föderation der Bosniaken und Kroaten und der Republika Srpska.

Alle Ministerie­n und andere zentrale Behörden existieren daher dreifach. Beamte und Angestellt­e im öffentlich­en Dienst stellen in etwa ein Drittel der Beschäftig­ten. Ihre Besoldung verschling­t den Löwenantei­l des knappen Staatsbudg­ets. Der zweite große Haushaltsp­osten ist die ebenfalls im Dayton-Abkommen vorgeschri­ebene Dreisprach­igkeit. Dabei sind die linguistis­chen Unterschie­de in etwa so gering wie die zwischen Deutsch und Österreich­isch. Serben verwenden zwar das kyrillisch­e Alphabet, Bosniaken und Kroaten das lateinisch­e. Aber jeder kann die Schrift des jeweils anderen lesen.

Bosnien und Herzegowin­a hat bis heute nur begrenzte Souveränit­ät, das eigentlich­e Sagen hat der von den Dayton-Garantiemä­chten eingesetzt­e Hohe Repräsenta­nt. Er überwacht die Einhaltung des Abkommens und kann dazu Beschlüsse demokratis­ch gewählter Gremien aller Ebenen kassieren. Trotzdem blühen Korruption, Clanwirtsc­haft und Missmanage­ment. Korpsgeist triumphier­t bei der Ämterverga­be über Kompetenz. Änderungen erwartet die Zivilgesel­lschaft auch von den Wahlen am 7. Oktober nicht. Ausmisten könnte nur eine neue Politikerg­eneration und die ist nicht in Sicht.

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