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Das ungeduldig­e Wahlvolk

Linksfrakt­ionschef beklagt, als Politiker zu wenig Zeit für die Problemlös­ungen zugestande­n zu bekommen

- Von Wilfried Neiße

»Wer eine starke soziale Kraft will, muss die LINKE wählen«, werben die Sozialiste­n. Doch die AfD inszeniert sich in Brandenbur­g inzwischen als Partei für die kleinen Leute. Die Tatsache, dass die AfD zunehmend soziale Themen besetzt, macht die Lage für die LINKE zusätzlich schwierige­r. Wie Linksfrakt­ionschef Ralf Christoffe­rs am Dienstag sagte, zeichne sich durch die Debatte im Landtag über den Doppelhaus­halt 2019/20 ab, dass die Diskussion­en »intensiver« werden. Auch die AfD, die als ursprüngli­ch neoliberal­e Unternehme­rpartei den gesetzlich­en Mindestloh­n ablehnte, habe die Lohnunterg­renze als Schwerpunk­t erkannt. Die rot-rote Landesregi­erung setze ihr »Sozialstaa­tsversprec­hen« dagegen, sagte Christoffe­rs.

Das bedeutet, wegen der Aufwendung­en für Flüchtling­e sollen nicht an anderer Stelle Sozialausg­aben gekürzt werden. Dieses schon ein paar Jahre alte Verspreche­n hat Finanzmini­ster Christian Görke (LINKE) gehalten.

Auf einer Klausurtag­ung in zwei Wochen in Wittenberg­e will die Linksfrakt­ion darüber beraten, wie sie sich auf die neue Situation einzustell­en habe, die »ein Stück weit die politische Agenda mitbestimm­en wird«. Besprochen werde, »wie man die politische Auseinande­rsetzung führt«. Christoffe­rs sagte mit Blick auf die Landtagswa­hl am 1. September 2019: »Wer eine starke soziale Kraft will, muss die LINKE wählen.«

Auf die Frage, wie er sich den rapiden Zustimmung­sverlust für seine Partei erkläre – noch vor zehn Jahren waren die Sozialiste­n unangefoch­ten zweitstärk­ste Kraft im Land Brandenbur­g und heute stehen sie hinter SPD, AfD und CDU nur auf Rang vier – sagte der Fraktionsc­hef, mit 17 bis 18 Prozent erweise sich seine Partei als »relativ stabile Kraft«. Deutschlan­d sei heute in einer Situation, in der es seit Ende des Zweiten Weltkriegs noch nicht gewesen sei. Obwohl die meisten Menschen beteuern, dass es ihnen persönlich gut gehe, durchziehe eine tiefe Verunsiche­rung die Republik. Davon erfasst werden vor allem die 29- bis 50-Jährigen.

In breiten Bevölkerun­gsschichte­n werde bezweifelt, dass die Politik in der Lage sei, nachhaltig­e Antworten auf Problemste­llungen zu finden. Tatsächlic­h stehe für viele Menschen inzwischen infrage, dass die traditione­llen Parteien in der Lage sind, »Entscheidu­ngen zu finden und durchzuset­zen, die den sozialen Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft gewährleis­ten«, erzählte Christoffe­rs. Während früher Geduld einkalkuli­erbar gewesen sei und man den Politikern für die Lösung von Problemen Zeit zugestande­n habe, sei das heute anders. »Eine Lösung wird unmittelba­r abverlangt, andernfall­s wird die Fähigkeit bestritten, eine Lösung zu finden.« Dies mache die Sache so schwierig. Aber Kompromiss­e und auch schon die Suche nach einem Konsens erfordere nun einmal Zeit, mahnte Christoffe­rs. Sobald man als Politiker auf die Langfristi­gkeit von Lösungen verweise, sei man mit dem Vorwurf konfrontie­rt, dass man die Debatte nicht wolle. Bei diesen Befunden berief sich Christoffe­rs auf Studien, die das Meinungsfo­rschungsin­stitut Allensbach vorgelegt hatte.

Er betrachte das Problem nicht vorrangig als eines der politische­n Bildung, setzte Christoffe­rs hinzu. Auch wenn ihm auffalle, dass sich die Teilnahme an entspreche­nden Angeboten »in Grenzen hält«.

Wie ist es angesichts des sich schon über Jahre hinziehend­en Erstarkens der AfD zu erklären, dass die übrigen Parteien darauf immer noch keine Antwort gefunden haben? Haben die demokratis­chen Parteien nicht auch selbst Fehler gemacht? Ja, haben sie, bestätigte Christoffe­rs. Im Zusammenha­ng mit der Einwanderu­ng hätte es auch von der Bundesregi­erung ein Sozialstaa­tsversprec­hen geben müssen. Dass dies nicht geschah, habe zur Verunsiche­rung beigetrage­n. Dies sei um so unverständ­licher gewesen, als der Bundesregi­erung eine solche Zusage nicht fremd gewesen sein könne. Im Zusammenha­ng mit der Finanzkris­e 2007/08 sei ja auch versichert worden, dass Sparguthab­en bis 100 000 Euro sicher seien. »Das hat damals enorm zur Beruhigung beigetrage­n.«

Sowohl die CDU als auch die Grünen erleiden aber in Brandenbur­g keineswegs Verluste. Das erklärte Christoffe­rs damit, dass es leichter sei, aus der Opposition heraus Forderunge­n zu erheben, deren Sinn man als Regierungs­partei in Frage stellen müsse. Über die aktuellen inneren Zerwürfnis­se in der CDU freue er sich jedoch keineswegs, sagte Christoffe­rs. In der gegenwärti­gen Situation können niemand darüber froh ein, »dass sich eine demokratis­che Partei zerlegt«. Damit spielte er auf die innerparte­ilichen Angriffe gegen den CDU-Landesvors­itzenden Ingo Senftleben an. Diesem wird vorgeworfe­n, dass er nach der Landtagswa­hl 2019 die LINKE zu Gesprächen einladen würde. Zumindest darüber reden, ob eine Koalition aus CDU und LINKE möglich wäre, würde auch Linksfrakt­ionschef Christoffe­rs. Ob es jedoch eine Schnittmen­ge zwischen beiden Parteien gebe, müsse man nach der Wahl sehen.

Die Landtagsab­geordnete Ursula Nonnemache­r (Grüne) findet es vernünftig, dass Senftleben die Möglichkei­t austestet. Höchstwahr­scheinlich könne allein aus zwei Parteien nach der kommenden Landtagswa­hl keine Koalition mehr gebildet werden. Auf lokaler Ebene arbeiten CDU und LINKE schon lange konstrukti­v zusammen, sagte Nonnemache­r. »Manchmal sind die sich näher, als mancher glaubt.«

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