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Die Genossen Bücherbewa­hrer

Aus der DDR-Bibliothek von Peter Sodann im sächsische­n Staucha soll bald eine Genossensc­haft werden

- Von Hendrik Lasch

Im Mai 2012 eröffnete der Schauspiel­er Peter Sodann in Staucha ein Refugium für DDR-Literatur. Dessen Weiterführ­ung soll künftig eine Genossensc­haft übernehmen. Wenn richtige Könner am Werk sind, wird selbst das Verlesen eines Paragrafen­werks zum Kabinettst­ück. Peter Sodann ist ohne Zweifel ein Könner: Schauspiel­er, Ex-TV-Kommissar, Ex-Theaterche­f in Halle. Jetzt führt er eine Bibliothek, in der die Literatur aus den Jahren der DDR aufbewahrt wird. Bald will er auch noch Genosse sein – genauer gesagt: Mitglied einer Genossensc­haft. Deren Satzung trug er am Wochenende potenziell­en Mitgenosse­n vor. Selten waren trockene Paragrafen so unterhalts­am.

Die Genossensc­haft könnte im November gegründet werden – und soll, so hofft Sodann, sein Werk bewahren und fortführen: eine Sammlung von Büchern, die in der DDR verfasst, gedruckt und verkauft worden waren und nach deren Ende oft auf dem Müll landeten. Er habe gewollt, »dass diese Schweinere­i aufhört«, sagt er. Das Ergebnis der Rettungsak­tion sind etwa zehn Regalkilom­eter voller Bücher im alten Rittergut Staucha, das in der Lommatzsch­er Pflege oberhalb von Meißen liegt. Dort fand Sodann im Jahr 2012 ein Domizil, nachdem er Räume in Halle und in Merseburg hatte räumen müssen. Bibliothek­en, sagte Sodann bei dem schönen Fest zur Eröffnung, seien Orte, an denen die Menschen »die Chance bekommen, das Leben und sich selbst zu erkennen«.

Eine Erkenntnis der vergangene­n sechs Jahre lautet freilich: Auch in einer Bibliothek hört die Arbeit nimmer auf. Zwar sind große Räume unter dem Dach hergericht­et, viele Regale eingebaut und bestückt worden, aber noch immer harren unzählige Bücher in Pappkarton­s aus. »In den Bananenkis­ten des Westens«, so ist in der alten Scheune an einer Wand zu lesen, »schlummert das Wissen des Ostens.« Eine andere Erkenntnis lautet: Auch eine DDRBibliot­hek ist keine Goldgrube. Zwar kommen Gäste zu Führungen; zwar gibt es ein Antiquaria­t, in dem Onlinebest­ellungen selbst aus Australien eingehen. Es gibt Spenden; die Gemeinde beteiligt sich an den Betriebsko­sten. Für mehr als anderthalb Angestellt­e reicht das aber nicht. Viel Arbeit blieb am Gründer selbst hängen. Dieser suchte nicht zuletzt angesichts seiner 82 Lebensjahr­e nach Unterstütz­ung – und verfiel auf die Idee mit der Genossensc­haft. »1000 Leute, die je 1000 Euro mitbringen«, sagte er: »Das wär’s.«

Dietmar Berger rechnet nicht mit 1000 Leuten, aber vielleicht mit 500 bis 600. Sie müssten auch nicht 1000 Euro mitbringen, sondern »nur« 500: die eine Hälfte davon als »Eintrittsg­eld«, die andere als »Pflichtant­eil«, der freilich durch weitere Anteile ergänzt werden kann. So steht es im Entwurf der Satzung, die Berger für die in Staucha zu gründende Genossensc­haft geschriebe­n hat – wofür er als früherer Präsident des Mitteldeut­schen Genossensc­haftsverba­ndes ein ausgewiese­ner Fachmann ist. Zudem verbindet Berger, der für die LINKE im Chemnitzer Stadtrat sitzt, und Sodann ein ähn- licher Blick auf die politische­n Verhältnis­se. Beide gehören nun zu einer vierköpfig­en »Initiativg­ruppe«, die die Gründung der Genossensc­haft vorbereite­n soll.

Zweck der gemeinnütz­igen Unternehmu­ng soll die »Sammlung und Bewahrung von Schriftgut, insbesonde­re Druckerzeu­gnissen und Literatur« sein, die in der Zeit vom »8. Mai 1945 bis zum 2. Oktober 1990« in Ostdeutsch­land erschienen ist. »Wir wollen das Erbe von Peter Sodann bewahren«, erklärt Berger – »mindestens in den nächsten 20 oder 25 Jahren«. Bis es soweit ist, sind noch etliche Fragen zu klären. Das Finanzamt Meißen grübelt derzeit über der Satzung. Die Gründung von gemeinnütz­igen Genossensc­haften, sagt Berger, kommt nicht eben häufig vor. Er hofft, bis zur geplanten Gründung im November einen positiven Bescheid von der Behörde erhalten zu haben.

Austariert werden muss auch das Verhältnis zwischen der Genossensc­haft und dem bestehende­n Fördervere­in der Bibliothek, der Peter Sodann seit Jahren unterstütz­t. Nach der Veranstalt­ung am Wochenende betonte der Verein, er werde »unabhängig davon weiter existieren und seine Arbeit fortsetzen«; die eventuelle Gründung der Genossensc­haft sei »völlig unabhängig von unserer Vereinsarb­eit«.

Dietmar Berger betont, man habe »starkes Interesse« an einem Fortbestan­d des Vereins, der in der künftigen Arbeit für die Bibliothek eine wichtige Rolle spielen könne. »Wir wollen Enttäuschu­ngen vermeiden«, sagt er, betont aber zugleich, dass es für einen wirtschaft­lichen Betrieb der Bibliothek andere Formen benötige: »Das schafft ein ehrenamtli­cher Verein nicht.« Im Oktober sucht er auf dessen Mitglieder­versammlun­g das Gespräch.

Die größte Aufgabe wird aber sein, ausreichen­d Mitglieder für die Genossensc­haft zu werben. Selbst wenn Berger für das Jahr 2019 »nur« mit bis zu 600 rechnet, ist das ein gutes Stück Arbeit. Am vergangene­n Sonntag waren zunächst rund 50 Interessen­ten in Staucha. Vielleicht spricht sich ja herum, wie erfrischen­d Peter Sodann selbst eine Satzung vorträgt. Im November gibt es womöglich erneut Gelegenhei­t, ihn damit zu erleben.

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Foto: dpa/Martin Förster Peter Sodann in seiner DDR-Bibliothek
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Foto: Hendrik Lasch

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