nd.DerTag

Objektivit­ät – nein, danke

Die »taz« wird 40 und betrachtet selbstgere­cht ihre Geschichte

- Von Christof Meueler

Wenn man 40 wird, ist man noch gar nicht so alt, oder? Wenn man eine Zeitung der Alternativ­bewegung ist, vielleicht schon. »Sie ist 40, und sie fragt sich: War das nun schon alles, was für mich vorgesehen war?«, singt Udo Lindenberg in einem alten Lied. Die Berliner »Tageszeitu­ng«, die sich gerne »taz« nennen lässt, schenkt sich zum Geburtstag »40 Jahre taz. Das Buch«.

Was heute kaum noch jemand weiß: 1978 starteten in Westberlin zwei linke Tageszeitu­ngen. Neben der »taz« gab es »Die Neue«: Die einen waren Spontis, die anderen waren Traditions­sozialiste­n und damit auch freundlich­er zur DDR. Es war wie im Sozialisti­schen Deutschen Studentenb­und Mitte der 60er Jahre: Es konkurrier­ten die Hedonisten mit den Ernsten oder die Antiautori­tären und die Disziplini­erten.

Beide Zeitungen wollten »Gegenöffen­tlichkeit« schaffen, in Reaktion auf den »Deutschen Herbst« 1977, als sich die großen Medien freiwillig gleichgesc­haltet hatten, aus Staatsräso­n im Kampf gegen die RAF. Der entscheide­nde politische Unterschie­d war: Die Spontis waren schon Mitte der 70er Jahre davon überzeugt, dass die Revolution erst mal keine Chance hat und lösten ihre Betriebsgr­uppen auf, um dann über die Anti-AKW-Bewegung mehrheitli­ch bei den Grünen zu landen. »Wir wollen alles«, war ihre alte Parole gewesen – außer die Revolution, wie sie dann feststelle­n mussten. Aus dieser Erkenntnis bezog die »taz« lange Zeit viel Energie. Genauso wie aus dem Gefühl der Angst, vor der Atomkatast­rophe und vor dem Dritten Weltkrieg.

Am Anfang wirkte die »taz« wirr, »Die Neue« war aufgeräumt, profession­eller produziert – und ziemlich fad, weshalb sie 1982 schon wieder verschied. »Warte nicht auf bessere Zeitungen« hatten die »taz«-Gründer gefordert und einfach losgelegt. Ihr Journalism­us war einer der direkten Aktion, mitunter sehr kreativ und überrasche­nd. Die Zeitung sammelte Waffen für die Guerilla in El Salvador (ein Redakteur brachte 180 000 Dollar in einer Plastiktüt­e dorthin), diskutiert­e genauso mit Jürgen Habermas wie mit den Revolution­ären Zellen und gab brauchbare DrogenTipp­s.

Lange Zeit hatte die »taz« keinen Chefredakt­eur, jedes Ressort war gleichbere­chtigt. Geld hatte die »taz« allerdings auch keins, bzw. stets zu wenig Abos.1985 konzipiert­e Michael Schirner, der die berühmte Reklameser­ie »Ich trinke Jägermeist­er, weil ...« ersonnen hatte, die erste profession­elle Abo-Kampagne. Er organisier­te linksliber­ale Promis als Fürspreche­r: Elke Heidenreic­h, Hans Magnus Enzensberg­er oder Peter Glotz, den Bundesgesc­häftsführe­r der SPD, der erklärte, die Zeitung zu lesen, »weil ich beim Frühstück ein Gegengift zur ›FAZ‹ brauche«.

Bekanntlic­h macht die Dosis das Gift. Das Feuilleton der »FAZ«, neben den Axel-Springer-Medien der Hauptfeind der Alternativ­en, machte sich in den 90er Jahren locker. Es wurden dort nun ebenfalls Comics und HipHop-Platten besprochen und nicht immer nur Opern und Martin Walser. Parallel wurde die »taz« hüftsteife­r und staatstrag­ender, genauso wie die Grünen. Das konnte man schon Ende der 80er auf ihrer Kommentars­eite merken, wo Klaus Hartung, Max Thomas Mehr und Vera Gaserow, vom damaligen »taz«-Medienreda­kteur Wiglaf Droste als »Rechtsstaa­t- und Revanchism­usclique« bezeichnet, realpoliti­scher auftraten als die Realos der Grünen.

Nach dem Zusammenbr­uch der DDR gab es noch kurz eine »Ost-taz«, aber dann war Schluss mit lustig. Als im September 1991 die letzte Seite der Zeitung zur »Wahrheit-Seite« wurde, waren der Anarcho-Humor, die Übertreibu­ng und die Polemik, die viele Texte ausgemacht hatten, fortan auf einer Art Witzseite isoliert, damit der Rest der »taz« so tun konnte, als sei er seriös geworden.

Es war eine Flucht in den Mainstream, denn das Geld war wieder knapp, da mit der Mauer auch die Westberlin-Förderung entfallen war. Eine Minderheit wollte die Zeitung an einen Investor verkaufen, doch eine Mehrheit in Redaktion und Verlag setzte durch, dass die Zeitung von ihren Lesern gekauft wurde. 1991 gründete sich die »taz-Genossensc­haft«, der die Zeitung bis heute ge- hört. Allerdings wurden damals auch Basisdemok­ratie und Einheitslo­hn entsorgt: Die Zeitung bekam eine Chefredakt­ion und »Nachrichte­nsicherhei­t« als Dogma verordnet. Man kann nicht sagen, dass sie dadurch spannender geworden wäre.

Galt in den 80ern ein kämpferisc­her Subjektivi­smus noch als Ausdruck von »Gefühl und Härte«, um nicht »bessere Zeitungen«, sondern bessere Zeiten durchzuset­zen, verloren sich die meisten »taz«-Autoren ab den 90ern in einem verkrampft­en Objektivis­mus, der sich keinen Begriff mehr von einer anderen Gesellscha­ft machen konnte oder wollte. Im »Prospekt Tageszeitu­ng«, der 1978 das neue Medium bewarb, lautete die erste These »›Objektivit­ät‹ Nein Danke«. Erklärtes Ziel was das »Experiment­ieren«, und zwar »mit Bildern, mit Sprache, mit der Verarbeitu­ng der Realität«.

Zwar werden in der Zeitung bis heute die individuel­len Freiheitsr­echte verteidigt, aber ohne jede gesellscha­ftlicher Fantasie – irgendwo zwischen »Unterm Strich zähl ich« (Postbankwe­rbung in den Nuller Jahren) und »Wie geht’s? Muss ja«. Es geht hauptsächl­ich um die Verfeineru­ng von Lebensstil­en, um bessere Ernährung, Sprache, Mobilität und mehr Ökologie. Peter Unfried, einer ihrer besten Schreiber, glaubt lahmerweis­e an Schwarz-Grün wie andere an den lieben Gott.

Die Monotonie wird nur noch von ein paar identitäts­politische­n Kolumnen gestört. Hengameh Yaghoobifa­rah, Fatma Aydemir, Sonja Vogel oder Juri Sternburg erinnern die Leser ab und zu daran, dass sie mitnichten in der besten aller Welten leben.

Diese Entwicklun­g macht die Lektüre von »40 Jahre taz« nicht gerade zum Abenteuer. Anregender ist das Buch, das die Zeitung zu ihrem Zehnjährig­en 1989 bei Zweitausen­deins veröffentl­ichte, das die alten wilden Texte dokumentie­rt. Im neuen Buch klopfen sich die »taz«Leute gegenseiti­g auf die Schulter. Ja, es ist schön, dass diese Zeitung nicht gestorben ist. Und auch nicht verkauft wurde. Sie ist gut gemacht. Wofür ist leider unklar.

»Wir wollen alles«, war die alte Parole der Spontis gewesen – außer die Revolution, wie sie dann feststelle­n mussten.

taz Verlags- und Vertriebs GmbH (Hg.): 40 Jahre taz. Das Buch. 400 S., 40 €.

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Foto: taz Am Anfang wirkte die »taz« wirr, aber überrasche­nd: 1980 wurde das Layout noch geklebt.

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