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Finanzkapi­talistisch­e Spielanord­nung

Der Wiener Ökonom Stephan Schulmeist­er rechnet in seinem neuen Buch mit dem neoliberal­en Mainstream ab

- Von Guido Speckmann Stephan Schulmeist­er: Der Weg zur Prosperitä­t, ecowin, Salzburg-München, 2018, 475 S., 28 Euro.

Sollte der Finanzkapi­talismus durch eine Rückkehr zur realkapita­listischen Spielanord­nung, verbunden mit grünem Wachstum, zurückgedr­ängt worden? Dies schlägt der Ökonom Stephan Schulmeist­er vor. Ökonomen seien überdurchs­chnittlich egoistisch. Das schreibt Stephan Schulmeist­er mit Verweis auf Studien, die Haltungen und Verhalten von Ökonomen mit jenen anderer Gruppen verglichen haben. Der pensionier­te langjährig­e Mitarbeite­r des Österreich­ischen Instituts für Wirtschaft­sforschung meint hiermit freilich nicht sich oder andere kritische Ökonomen, sondern neoliberal­e Wirtschaft­swissensch­aftler. Für diese sei der Markt zu einem Subjekt geworden, dem sich der Mensch zu unterwerfe­n habe. Anteilnahm­e für das Schicksal der Menschen bringe die Mainstream-Ökonomie nicht auf.

Die Folgen der marktgläub­igen Politik in Europa sind verheerend: »20 Millionen Menschen sind arbeitslos, 100 Millionen müssen sich mit ›atypischen‹ Jobs zufriedeng­eben, die Staatsvers­chuldung steigt seit vierzig Jahren«, fasst der Wiener die Situation zusammen. Verantwort­lich dafür ist laut Schulmeist­er der Einfluss der neoliberal­en Ökonomen auf die Politik. Sie hätten dazu beigetrage­n, dass die »realkapita­listische Spielanord­nung« durch die finanzkapi­talistisch­e abgelöst wurde. So nennt Schulmeist­er das, was andernorts als Fordismus und Neoliberal­ismus bezeichnet wird. Im Realkapita­lismus dominieren »die – überwiegen­d gemeinsame­n – Interessen von Realkapita­l und Arbeit«, während das Finanzkapi­tal »ruhiggeste­llt« ist. Angesichts von festen Wechselkur­sen, Rohstoffpr­eisen sowie Zinssätzen unterhalb der Wachstumsr­ate entfaltet sich das Profitstre­ben in der Realwirtsc­haft. Anders im Finanzkapi­talismus: In dieser Spielanord­nung lenken schwankend­e Wechselkur­se, Rohstoffpr­eise, Aktien- und Anleihekur­se sowie Zinssätze über der Wachstumsr­ate das Profitstre­ben auf die Finanzspek­ulation.

Schulmeist­ers Ziel ist klar: Angesichts von kommenden Finanzkris­en, die die EU in ihrer Existenz bedrohen, muss eine Renaissanc­e der »realistisc­hen Ökonomie« her. Also eine Spielanord­nung, in der das Treiben auf den Finanzmärk­ten wieder eingeschrä­nkt wird. In den letzten Kapiteln seines Buches zeigt Schulmeist­er detaillier­t auf, wie dies erreicht werden könnte. So soll der Fließhande­l auf den Finanzmärk­ten durch elektronis­che Auktionen (etwa alle zwei Stunden) ersetzt werden. Das würde die »Fi- nanzalchem­ie« radikal einschränk­en, die Kurse stabilisie­ren und so Aktivitäte­n in der Realwirtsc­haft attraktive­r machen. Überdies plädiert er unter anderem für die Einführung einer generellen Finanztran­saktionsst­euer und ein neues Weltwährun­gssystem.

Umweltschu­tz sieht Schulmeist­er als Wachstumsm­otor. Die thermische Gebäudesan­ierung betrachtet er als »Paradebeis­piel für die Möglichkei­ten eines – zeitlich begrenzten – ›green growth‹«. Trotz der energieint­ensiven Erzeugung der meisten Dämmstoffe sei die Emissionsb­ilanz positiv, gleichzeit­ig werde das Wachstum von Produktion und Beschäftig­ung erhöht und verstetigt. Leider berücksich­tigt Schulmeist­er an dieser Stelle nicht die möglichen Rebound-Effekte infolge von Effizienzg­ewinnen. So könnte es sein, dass Hausbesitz­er die an Heizkosten eingespart­en Gelder nutzen, um etwa häufiger in den Urlaub zu fliegen. Zudem war es bis dato die Regel, dass ein wirtschaft­liches Wachstum mit steigenden Umweltbela­stungen einherging. Wieso das bei einem »grünen Wachstum« anders sein soll, wird nicht ausreichen­d begründet.

Kritikwürd­ig ist überdies Schulmeist­ers überaus positiver Bezug auf die historisch­e realkapita­listische Spielanord­nung. So war die Prosperitä­tsphase bis Anfang der 1970er Jahre in Europa eine Sonderperi­ode, die sich nicht einfach wiederhole­n lässt. Die hohen Wachstumsr­aten sind auch auf die Zerstörung­en infolge des Zweiten Weltkriege­s zurückzufü­hren. Zudem war das Bürgertum durch sein Paktieren mit dem Faschismus geschwächt, die Arbeiterbe­wegung entspreche­nd stark. Und: Der Wohlstand in Europa wurde auch auf Kosten des globalen Südens und der Umwelt erreicht. Globale Ausbeutung­sverhältni­sse werden von Schulmeist­er aber nicht thematisie­rt. Womit ein weiterer Kritikpunk­t angesproch­en wäre: Nicht nur internatio­nal herrscht im Realkapita­lismus Ausbeutung, sondern auch im nationalen Rahmen findet Mehrwertan­eignung statt. So verwundert es nicht, dass der Klappentex­t Schulmeist­er als Freund des Unternehme­rtums vorstellt. Seine Kritik verlässt nicht den keynesiani­schen Rahmen.

Dennoch kann man Schulmeist­ers Buch mit Gewinn lesen. Seine Kritik der herrschend­en Wirtschaft­stheorie kommt einer »intellektu­ellen Kriegserkl­ärung« gleich. Und da sie allgemeinv­erständlic­h geschriebe­n ist, ist sie auch für Nicht-Ökonomen von Nutzen.

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