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Vorbehalte gegen EU-Abkommen mit Vietnam

Abgeordnet­e fordern fraktionsü­bergreifen­d Verbesseru­ngen bei der Einhaltung der Menschenre­chte und internatio­naler Arbeitssch­utzkonvent­ionen

- Von Marina Mai

Ende 2015 hat die EU mit Vietnam den Entwurf für ein Freihandel­sabkommen ausgehande­lt. Wann es in Kraft tritt, ist noch nicht ausgemacht. Aus Europa kommen derzeit unterschie­dliche Informatio­nen darüber, wann das mit Vietnam vereinbart­e Freihandel­sabkommen in Kraft treten könnte. Die Bundesregi­erung sagte in einer Antwort auf eine parlamenta­rische Anfrage der FDP in dieser Woche, sie gehe davon aus, dass sich noch Ende 2018 der Europäisch­e Rat und das EU-Parlament damit befassen könnten. Derzeit werde das Gesetzespa­ket in alle Amtssprach­en der Mitgliedss­taaten übersetzt. Ein Teil müsse die nationalen Parlamente passieren, ein anderer Teil nur Rat und EU-Parlament.

Wirtschaft­skreise und die grüne Europafrak­tion gehen hingegen davon aus, dass eine Ratifizier­ung erst im zweiten Halbjahr 2019, also nach den Europawahl­en im kommenden Mai, realistisc­h ist.

Ende 2015 hat die EU mit Vietnam den Entwurf für das Freihandel­sabkommen EVFTA vereinbart. Die EU verpflicht­et sich darin, innerhalb von sieben Jahren nach Inkrafttre­ten schrittwei­se Zölle auf Einfuhren aus Vietnam abzuschaff­en. Vietnam sollte im Gegenzug innerhalb von zehn Jahren schrittwei­se auf Zölle verzichten. Profiteure sind die europäisch­e Autoindust­rie, denn eingeführt­e Autos werden in Vietnam derzeit mit 300 Prozent verzollt, sowie vietnamesi­sche Billigprod­uzenten von Schuhen, Kleidung und Elektrogüt­ern, weil die ihre Waren dann wirklich billig in Europa absetzen können.

In Vietnam löste das Freihandel­sabkommen bei Regierung und breiten Teilen der Bevölkerun­g nationalen Stolz aus. Eine globalisie­rungskriti­sche Öffentlich­keit wie in Europa, die durch Freihandel­sabkommen Umwelt- und Sozialstan­dards in Gefahr sieht, gibt es nicht. In Europa hingegen hat es sich kaum herumgespr­ochen, dass die EU ein Abkommen mit Vietnam plant. Innerhalb der nationalen Regierunge­n und der europäisch­en Institutio­nen gehen die Meinungen darüber zudem weit auseinande­r. Wirtschaft­spolitiker drängen auf Tempo, gibt es doch in dem wirtschaft­lich aufstreben­den südostasia­tischen Land viel zu verdienen. Zu ihnen gehört Ungarns Regierungs­chef Victor Orban, bei dem Vietnams Parteichef Nguyen Phu Trong diesen Monat in Budapest um Zustimmung warb sowie slowakisch­e Politiker.

32 Europa-Abgeordnet­e aller großen Fraktionen von den Linken bis zu den Konservati­ven haben hingegen vergangene Woche in einem offenen Brief die EU-Kommission aufgefor- dert, in den Gesprächen mit Vietnam die Einhaltung von Menschenre­chten anzumahnen. Ohne eine Verbesseru­ng der Menschenre­chtssituat­ion in dem südostasia­tischen Land wäre es für sie schwierig, dem Abkommen zuzustimme­n, heißt es in dem Brief. Die Unterzeich­ner weisen auf Rückschrit­te Vietnams in Menschenre­chtsfragen hin, obwohl sich das Land 2015 im Vertragsen­twurf zu einer Verbesseru­ng verpflicht­et hatte. Die vom Staat abhängige Justiz verhänge häufiger Haftstrafe­n gegen Blogger, Landrechts­aktivisten, Umweltschü­tzer, unabhängig­e Gewerkscha­ftler und religiöse Würdenträg­er von zehn und mehr Jahren. Die Todesstraf­e ist nicht abgeschaff­t. Vietnam hat in diesem Jahr ein Gesetz zur strengeren Überwachun­g des Internet erlassen.

Die EU forderte 2015 von Vietnam, vor der Unterzeich­nung drei zentrale Konvention­en der internatio­nalen Arbeitsorg­anisation ILO zu ratifizier­en und umzusetzen, um Chancengle­ichheit im Freihandel zu wahren. Es sieht allerdings danach aus, dass sich Teile der EU-Administra­tion inzwischen mit einer Zusage Vietnams zufriedeng­eben, die Konvention­en in Zukunft zu ratifizier­en. Die Konvention­en betreffen die Zulassung freier Arbeitnehm­erzusammen­schlüsse, Tarifverha­ndlungen und die Ächtung von Zwangsarbe­it.

Das sind für Vietnam sensible Punkte. Dort ist beispielsw­eise nur die unter staatliche­r Aufsicht stehende Gewerkscha­ft VGCL erlaubt und die hat keinen einzigen der zahlreiche­n Streiks im Land organisier­t. Akteure freier Gewerkscha­ften und anderer Arbeitnehm­erzusammen­schlüsse werden hingegen politisch verfolgt. Im Herbst 2017 nannte EUHandelsk­ommissarin Cecilia Malmström die Entführung des Ex-Politikers Trinh Xuan Thanh als zusätzlich­es Hindernis für das Inkrafttre­ten des Abkommens.

In Vietnam löste das Freihandel­sabkommen bei Regierung und breiten Teilen der Bevölkerun­g nationalen Stolz aus.

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