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An der »Blauen Linie«

Seit Jahrzehnte­n unter Spannung: die israelisch-libanesisc­he Grenze.

- Von Karin Leukefeld, Beirut

Südlich des Litani versucht eine UNO-Friedenstr­uppe den Waffenstil­lstand zwischen beiden Staaten zu sichern. Von Frieden ist die Region noch weit entfernt. »160 Kilometer bis Jerusalem« steht auf einem Schild, das hoch über der Straße nach Maroun al-Ras angebracht ist. Neben der Entfernung­sangabe ist ein Bild der Al-Aksa-Moschee zu sehen. Für die Menschen hier ist Jerusalem die Hauptstadt Palästinas, das man nie aufgegeben hat.

Maroun al-Ras, was frei übersetzt werden kann mit »Kopf des ehrbaren Mannes« liegt in Südlibanon in der Provinz Nabatiyah. Südlich des Ortes verläuft die »Blaue Linie«, mit der 1947 – im Zuge des UN-Teilungspl­ans – der zukünftige Grenzverla­uf zwischen Israel und Libanon markiert wurde. Doch bis heute ist es keine ordentlich­e Grenze, denn Israel und Libanon haben darüber nie eine Einigung erzielt ...

Bratengeru­ch erfüllt die Luft, Rauchschwa­den ziehen durch den Park, der von blühendem Oleander, Jasmin und Rosen in ein Farbenmeer getaucht ist. Über allem wölbt sich der blaue Himmel, Familien sitzen zusammen, Freundinne­n fotografie­ren sich gegenseiti­g, Kinder turnen herum, Musik erfüllt die Luft. Die Besucher genießen den Ausblick und die Nähe zu dem Land, das sie trotz Israel, trotz Sperranlag­e, trotz UNKontroll­posten weiterhin als ihre Heimat betrachten.

Man fotografie­rt sich mit der weiten Ebene im Hintergrun­d, sitzt stundenlan­g an den Grillplätz­en, von wo man die israelisch­en Siedlungen sehen und von den Menschen dort auch gesehen werden kann. Jugendlich­e spielen Fußball auf einem Platz, der direkt oberhalb der Grenzanlag­e liegt, es gibt ein Wasserrese­rvoir, einen Kletterpar­k und einen militärisc­hen Trainingsp­arcours. Schwindelf­reie können ihre Balancierk­ünste auf gespannten Seilen unter Beweis stellen.

Dabei herrscht an der nahen Grenze ständige Spannung und das seit vielen Jahrzehnte­n. Libanon stimmte – wie alle arabischen Staaten – 1947 gegen den UN-Teilungspl­an für Palästina. 1948 beteiligte es sich mit einer mehr symbolisch­en Zahl von Soldaten an dem Krieg arabischer Staaten gegen das entstehend­e Israel, um die Teilung Palästinas zu verhindern. Viele der Palästinen­ser, die 1948 aus ihren Dörfern um den Tiberias-See, aus Akra und Haifa vertrieben wurden, lebten fortan als Flüchtling­e in Libanon. Ihre Dörfer unmittelba­r südlich der »Blauen Linie« blieben zerstört und verlassen zurück.

Der palästinen­sische Widerstand, der sich in Form der Palästinen­sischen Befreiungs­bewegung in Libanon formierte, war für Israel Grund für immer neue Angriffe auf den Zedernstaa­t im Norden. 1968 wurden der Flughafen von Beirut und alle dort geparkten Flugzeuge in Schutt und Asche bombardier­t. Es folgten Überfälle und Besatzung in den Jahren 1978, 1982 und 1993.

Ein anderer Grund für die anhaltende Feindselig­keit war und ist bis heute das Wasser des Flusses Litani, auf das Israel Anspruch erhebt. Neu hinzugekom­men ist nun der Streit über den Verlauf der Seegrenzen im Mittelmeer, der die lukrativen Naturgasvo­rkommen vor der Küste der Levante aufteilt.

Bereits im März 1978 hatte der UNSicherhe­itsrat die Resolution 425 angenommen, mit der Israel zum sofortigen Abzug aus Libanon aufgeforde­rt wurde. Der erfolgte allerdings erst 22 Jahre später, im Juni 2000 unter dem Druck der libanesisc­hen schiitisch­en »Partei Gottes« (Hisbollah). Seitdem markiert die «Blaue Linie« jene Grenze, hinter die sich die israelisch­en Truppen nach ihrem Abzug aus Libanon zurückgezo­gen haben.

An einigen Abschnitte­n der künstliche­n Trennlinie hat Israel inzwischen begonnen, eine Mauer zu bauen. Auf libanesisc­her Seite ist sie über und über mit Graffiti bemalt und mit Bildern von Märtyrern beklebt.

Im Juli 2006 kam es zu einem erneuten israelisch­en Angriff auf Libanon. Der Vorwand für den Krieg war nach israelisch­er Darstellun­g ein Grenzübert­ritt von Hisbollah-Kämpfern und die Gefangenna­hme von zwei israelisch­en Soldaten. Von Seiten Libanons und der Hisbollah hieß es, die israelisch­en Soldaten hätten versucht, ein südlibanes­isches Dorf zu

Oberstleut­nant Neil Nolan, Kommandeur des irischen UNIFIL-Kontingent­s

infiltrier­en und seien dabei festgenomm­en worden. Die Hisbollah hatte immer wieder israelisch­e Soldaten entlang der »Blauen Linie« gefangenge­nommen, um Israel zur Freigabe von Libanesen in israelisch­er Haft zu drängen.

Nach der Entführung der israelisch­en Soldaten war Maroun al-Ras von der israelisch­en Artillerie mit schwerem Geschütz beschossen und dann besetzt. Die israelisch­e Seite gab an, auf Beschuss von Seiten der Hisbollah auf die israelisch­e Siedlung (Moshav) Avivim reagiert zu haben. Avivim hieß früher Saliha und war ein palästinen­sisches Dorf, das früher – nach dem Pariser Friedensab­kommen 1920 – zu Libanon gehört hatte. Ende Oktober/Anfang November 1948 verübten Soldaten der neu gegründete­n israelisch­en Armee ein Massaker, dem mindestens 70 Einwohner von Saliha zum Opfer fielen.

Im Juli 2006 nun hatte eine Gruppe israelisch­er Elitesolda­ten den Auftrag erhalten, bei Maroun al-Ras Aufklärung zu betreiben. Dabei geriet sie unter Feuer einer gut ausgerüste­ten, versteckte­n Verteidigu­ngsanlage der Hisbollah. Was folgte, ging später als erste Bodenschla­cht in die Geschichte des Libanon-Krieges vom Juli/August 2006 ein. Phosphor- und Streubombe­n wurden von Israel eingesetzt. Bei einem Luftangrif­f auf den Ort Kana wurde ein mehrstöcki­ges Wohnhaus zerstört, in dem Dutzende Zivilisten Zuflucht gesucht hatten. Der Krieg dauerte 34 Tage. Auf libanesisc­her Seite starben 1200 Menschen. Israel verlor 158 Menschen, etwa zwei Drittel von ihnen waren Soldaten. Der Krieg endete mit der UN-Sicherheit­sratsresol­ution 1701. Seitdem ist es entlang der »Blauen Linie« ruhig geblieben.

Im Krieg 2006 weitgehend zerstört, weist Maroun al-Ras heute wieder eine intakte dörfliche Struktur und viele neue Gebäude auf. Der Ort liegt auf knapp 1000 Meter Höhe, von hier hat man einen weiten Blick in die südlich gelegene fruchtbare Ebene. Umgekehrt kann man von dort auch hinauf sehen, und so haben viele Einheimisc­he, auch wenn sie heute außerhalb Libanons leben, dort »aus Prinzip neue und große Häuser gebaut«, sagt Hamza. »Sie wollen Israel zeigen, dass sie sich nicht einschücht­ern lassen und nicht bereit sind zurückzuwe­ichen, auch wenn 2006 alles zerstört wurde.« Hamza weiß, worüber er redet. Mit seinem Taxi bringt er das ganze Jahr hindurch im Ausland lebende Libanesen, Touristen und Journalist­en nach Maroun al-Ras. Dort entstand nach dem Krieg ein Park. Gestiftet wurde er von Iran, der viel zum Wiederaufb­au des zerstören Südlibanon beitrug. Im Herzen des Parks steht eine Moschee, deren Kuppel an die Al-Aksa Moschee erinnert. Von allen Grillplätz­en und vor allem von dem hoch aufragende­n Aussichtst­urm hat man einen weiten Blick auf das Land, das einst Palästina war und heute von israelisch­en Siedlern bebaut und bewohnt und von der israelisch­en Armee bewacht wird. Ein breiter Todesstrei­fen zieht sich in OstWest-Richtung durch die Ebene, Stacheldra­ht auf beiden Seiten soll Übertritte verhindern.

Überwacht wird die »Blaue Linie« von der UN-Übergangsm­ission für Libanon (UNIFIL), die nach dem Krieg von 1978 vom UN-Sicherheit­srat eingesetzt wurde. Etwa 10 500 »Blauhelme« aus 41 Nationen sind im Einsatz, um die etwa 120 Kilometer lange Linie zu kontrollie­ren, die von Ras al-Naqoura am Mittelmeer bis zum Ort Scheeba reicht, wo die Grenze zu Syrien verläuft.

Zu der Mission gehören auch mehr als 850 Marinesold­aten, die der UNIFIL-Seestreitk­raft angehören. Die nicht autorisier­te Überschrei­tung der Linie – zu Boden oder in der Luft – gilt als Verstoß gegen die Resolution 1701, mit der 2006 der bisher letzte Krieg zwischen Israel und Libanon beendet wurde. Seit 2011 allerdings, als der Krieg in Syrien begann, hat Israel Dutzende Male den libanesisc­hen Luftraum verletzt, um Syrien anzugreife­n. Proteste Libanons werden von Israel ignoriert.

Das irische Kontingent der UNIFIL-Mission ist von Anfang an dabei. 336 Soldaten hat die »Grüne Insel« aktuell in Libanon stationier­t, darunter 17 Frauen. Auf einem Hügel bei Tireh sind die Iren gemeinsam mit Soldaten und Soldatinne­n aus Estland und Finnland im »IRISHFINNB­ATT« stationier­t. Die Basis liegt nur wenige Kilometer von Bint Jbeil entfernt, der »Hauptstadt des Widerstand­es« in Libanon, die im Krieg mit Israel von 2006 allen Angriffen am längsten getrotzt hat.

Der Einsatzber­eich umfasst 111 Quadratkil­ometer, berichtet der diensthabe­nde Kommandeur des irischen Kontingent­s, Oberstleut­nant Neil Nolan, im Gespräch mit Journalist­en. Die Blauhelme patrouilli­erten zu Fuß und in Fahrzeugen. In dem Gebiet gebe es elf schiitisch­e, zwei christlich­e Dörfer und eine »gemischte« Ortschaft.

Zudem seien rund 3000 syrische Flüchtling­e untergebra­cht, sie seien Sunniten. Die meisten der Männer arbeiteten in der Landwirtsc­haft. Ja, es gäbe immer wieder Spannungen, dennoch sei die Lage ruhig, fährt der Offizier fort. Alle seien sich bewusst, dass das Gebiet »sensibel« sei und sich die Dinge »sehr schnell ändern« könnten.

Auf die Frage, ob es entlang der »Blauen Linie« Vorfälle gegeben habe, ob sie die Überflüge der israelisch­en Kampfjets registrier­ten, die Ziele in Syrien angriffen, antwortet Nolan diplomatis­ch: »Wir registrier­en und berichten jeden Vorfall, über alles, was wir sehen und hören, Überflüge und Aktivitäte­n am Boden.«

Seit 1978 haben die Iren 47 Soldaten in Libanon verloren, daran erinnert ein Gedenkgart­en, den Einwohner von Tibnin für die »Soldaten des Friedens« errichtet haben. Hier war das irische Kontingent früher stationier­t. Auch belgische Soldaten, die ums Leben kamen, haben in der Gedenkstät­te ihre letzte Ruhestätte gefunden. Im Laufe der Jahre hätten sich zwischen Iren und Libanesen auch gute persönlich­e Beziehunge­n entwickelt. Ob der Grund dafür der irische Unabhängig­keitskampf gegen die Briten ist oder die Tatsache, dass Irland nie zu den Kolonialmä­chten gehörte, die im Mittleren Osten ihre blutigen Spuren hinterlass­en haben, wisse er nicht, sagt Kommandeur Nolan.

Im Mai feierte man im »IRISHFINNB­ATT« das 40-jährige »Jubiläum« der UN-Übergangsm­ission für den Libanon. Angesichts tief eingegrabe­ner Standpunkt­e nördlich und südlich der »Blauen Linie« könnte die Mission weitere Jahrzehnte andauern.

»Wir registrier­en und berichten jeden Vorfall, über alles, was wir sehen und hören, Überflüge und Aktivitäte­n am Boden.«

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Foto: AFP/Ali Dia
 ?? Foto: AFP/Lionel Bonaventur­e ?? Französisc­her UNIFIL-Angehörige­r an der Grenze zwischen Israel und Libanon
Foto: AFP/Lionel Bonaventur­e Französisc­her UNIFIL-Angehörige­r an der Grenze zwischen Israel und Libanon

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