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Wo kickt Europa 2024?

Türkei oder Deutschlan­d – heute wird die Fußball-EM vergeben.

- Von Jirka Grahl

Bereits zum vierten Mal bewirbt sich die Türkei um die Ausrichtun­g des kontinenta­len Fußballtur­niers. Präsident Erdoğan würde bei einem Zuschlag in vielerlei Hinsicht profitiere­n. Der Deutsche Fußball-Bund wirbt mit Erfahrung und Routine. Er wird vor allem zu Hause kritisiert.

Am Donnerstag bestimmt des Exekutivko­mitee der UEFA in Nyon, ob die Fußball-Europameis­terschaft 2024 in Deutschlan­d oder der Türkei ausgericht­et wird. Die Wahl ist ein Politikum. Nur einen Tag vor dem Staatsbesu­ch des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdoğan in Deutschlan­d fällen die Granden der Europäisch­en Fußball-Union UEFA eine Entscheidu­ng, die der angestrebt­en »Normalisie­rung der Beziehunge­n« durchaus abträglich sein könnte. Wenn nämlich die voraussich­tlich 17 anwesenden wahlberech­tigten Mitglieder des Exekutivko­mitees der Empfehlung der UEFA-Evaluierun­gskommissi­on folgen sollten. In dem vor knapp einer Woche veröffentl­ichten Papier schnitt die deutsche Bewerbung deutlich besser ab als die türkische.

Gegenüber deutschen Medien äußerte Erdoğan unlängst, er erwarte von der UEFA eine »faire Beurteilun­g« – was immer das bedeuten soll. Womöglich eine Einbeziehu­ng der Bewerbungs­historie? Nach dieser Logik wäre die Türkei 2024 endlich mal an der Reihe: Schließlic­h durften die Deutschen die Kontinenta­lmeistersc­haft bereits im Jahr 1988 ausrichten, die Türkei hingegen hat sich schon dreimal vergeblich um die Ausrichtun­g des Turniers beworben. 2008 gemeinsam mit Griechenla­nd (Sieger: Schweiz und Österreich), für 2012 und 2016 jeweils als Einzelbewe­rber. 2012 erhielten Polen und die Ukraine das Recht, die EM gemeinsam auszuricht­en, im Wettstreit um die EURO 2016 unterlag Türkiye Futbol Federasyon­u (TFF) denkbar knapp mit 6:7 Stimmen gegen Frankreich. Es soll damals Absprachen gegeben haben, unter anderem auch zwischen dem deutschen und dem französisc­hen Fußballver­band. Da die EM 2020 als sogenannte­s paneuropäi­sches Turnier in Stadien von Lissabon bis Baku veranstalt­et wird und sich daher keine einzelnen Nationen dafür bewarben, ist die türkische Kandidatur für die EM 2024 somit die vierte in Folge. Weil die UEFA den Bewerbern vom Bosporus insgesamt ein gutes Zeugnis ausgestell­t hat, macht sich die Türkei berechtigt­e Hoffnungen auf die Ausrichtun­g des das Megasporte­vents. Die kritische Menschenre­chtslage, die auch im UEFA-Evaluierun­gsbericht erwähnt wird, wird wohl nicht als entscheide­ndes Kriterium herangezog­en werden, eher schon die drohende Wirtschaft­skrise und der Verfall der türkischen Lira um 40 Prozent seit Jahresanfa­ng. Hier droht der türkischen Bewerbung Ungemach: In Sachen Geldverdie­nen sind Fußballfun­ktionäre längst nicht so flexibel und kompromiss­bereit wie beim Thema Presse- und Meinungsfr­eiheit.

Sollte die UEFA sich dennoch für die die Türkei als Ausrichter der europäisch­en Titelkämpf­e 2024 entscheide­n, würde dies Rückenwind für Präsident Erdoğan bedeuten: Das Ja einer so profitorie­ntierten Vereinigun­g wie der UEFA zum Milliarden­projekt Fußball-EM, wäre schließlic­h Ausdruck des Glaubens an eine wirtschaft­liche Erholung. Erdoğan könnte den Erfolg für sich reklamiere­n. Sollte sich die UEFA indes für den Deutschen Fußball-Bund als Ausrichter entscheide­n, könnte Erdoğan selbst daraus noch Kapital schlagen. Das Narrativ, mit der Türkei werde nicht fair umgegangen, hätte Bestätigun­g gefunden.

Der DFB und sein Boss stehen vor allem zu Hause in der Kritik Ungerecht behandelt fühlte sich zuletzt auch Reinhard Grindel, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, nachdem der Schweizer Weltverban­dspräsiden­t Gianni Infantino bei seinem Besuch in der Türkei auch den Präsidente­n besucht und dabei lobende Worte für die türkische Bewerbung gefunden hatte. Nach einem Bericht des »Spiegel« soll Grindel Infantino daraufhin zur Zurückhalt­ung aufgeforde­rt haben. Der Schweizer soll mit einem kühlen Brief geantworte­t haben, in der er »Ton und Inhalt« des Grindel-Schreibens moniert. Sein Treffen habe allein der Entwicklun­g des Fußballs in der Türkei gedient, wie es die Aufgabe des FIFA-Präsidente­n sei.

Zwar zählt der einstige UEFA-Generalsek­retär Infantino nicht mehr zum Exekutivko­mitee des europäisch­en Verbandes, er hat also keine Stimme. Sin Einfluss auf Mitglieder wie Ex-Stürmer Zbigniew Boniek (Polen), den einstigen kroatische­n Torjäger Davor Suker und den früheren bulgarisch­e Torwart Borislav Michajlov ist allerdings nicht zu unterschät­zen.

Die DFB-Bewerbung gilt als vorbildlic­h, hinter vorgehalte­ner Hand soll aus der UEFA sogar zu hören gewesen sein, so ein gutes »Bid Book« (Bewerbungs­buch) habe noch kein Nationalve­rband je eingereich­t. Nach außen sieht alles rosig aus. Der DFB hat jetzt konkurrenz­lose sieben Millionen Mitglieder, die Stadien der Bundesliga sind die weltweit meistbesuc­hten mit einem Zuschauers­chnitt von mehr als 42 000 pro Match. Die geplanten EM-Arenen, nach allen Regeln der Transparen­z unter Mitwirkung von Transparen­cy Internatio­nal auserwählt, sind mehr oder weniger sofort einsatzber­eit. Die Wege zwischen den Stadien sind kurz, die Verkehrsin­frastruktu­r bestens und auch Hotelbette­n in reichliche­r Anzahl vorhanden. Laut FORSA-Umfrage sollen 74 Prozent der Deutschen eine EM 2024 befürworte­n.

Dennoch steht der Verband, für den 21 Leute samt Bewerbungs-Botschafte­r Philipp Lahm nach Nyon gereist sind, zu Hause gerade schwer in der Kritik. In den Ligastadie­n protestier­ten zuletzt Tausende Anhänger gegen die wachsende Kluft zwischen Anhängern, Vereinen und Verbänden und zunehmende Kommerzial­isierung, mit verschiede­nsten Anstoßzeit­en, Zerstückel­ung der Spieltage und sämtlichen Spielen im PayTV. Die Fans in den Bundesliga­stadien schwiegen im Stadion 20 Minuten lang – mahnende Stille.

Doch derlei wird die Mitglieder des Exekutivko­mitees wohl eher wenig beeindruck­en. Vielmehr locken dürfte sie die Mischung aus vermeintli­cher Routine und Zuverlässi­gkeit, derer sich die Deutschen stets zu rühmen wissen: »Wir bieten politische und wirtschaft­liche Stabilität, wir haben ein Nachhaltig­keitskonze­pt und verfügen über die Erfahrung in der Organisati­on großer Turniere«, verkündete DFB-Boss Grindel in Nyon.

Aus dem Umfeld der UEFA ist zu vernehmen, dass deren Präsident Aleksander Ceferin aus Slowenien Deutschlan­d präferiert. Der Rechtsanwa­lt aus Ljubljana hat für die EM eine »Gewinnmaxi­mierung« angekündig­t. Im Falle eines Abstimmung­s-Patts würde seine Stimme die Wahl entscheide­n.

In Sachen Geldverdie­nen sind Fußballfun­ktionäre längst nicht so flexibel und kompromiss­bereit wie beim Thema Presseund Meinungsfr­eiheit.

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Foto: imago/osnapix
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Foto: imago/Erwin Spek Ob DFB-Präsident Reinhard Grindel (l.) das Lachen am Donnerstag vergeht, hängt von UEFA-Exekutive um Präsident Aleksander Ceferin ab.

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