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Wann wird’s gleicher?

Ostbeauftr­agter legt Einheitsbe­richt vor, Regierungs­kommission nimmt Arbeit auf

- Von Kurt Stenger

Berlin. Die vom Bundeskabi­nett eingesetzt­e Kommission »Gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse« ist am Mittwoch erstmals zusammenge­kommen. Das Gremium aus Bundes- und Landesmini­stern, Ministerpr­äsidenten sowie Vertretern kommunaler Spitzenver­bände soll bis Herbst 2019 Vorschläge ausarbeite­n, wie Ungleichhe­iten im Lebensallt­ag beseitigt werden können. Ziel ist es, die Lebensverh­ältnisse in städtische­n und ländlichen sowie besonders in struktursc­hwachen Gebieten zu verbessern. »Wir möchten, dass alle Menschen gut leben können, und zwar dort, wo sie leben wollen«, erklärte der Kommission­s- vorsitzend­e, Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) nach der ersten Sitzung in Berlin. Das sei für sein Haus das »Herzstück der Heimatpoli­tik«.

Die stellvertr­etende Vorsitzend­e, Familienmi­nisterin Franziska Giffey, will, dass sich die Kommission auch um Demokratie­förderung kümmert. Es sei wichtig, dass die Kommission nicht nur Infrastruk­tur und Daseinsvor­sorge in den Blick nehme, sondern auch die »Stellen in unserem Land, wo die Demokratie in Gefahr ist«, sagte die SPD-Politikeri­n.

In der Kommission geht es um große Unterschie­de zwischen Stadt und Land sowie boomenden und struktursc­hwachen Regionen im gesamten Bundesgebi­et. Ebenfalls am Mittwoch legte der Ostbeauftr­agte der Bundesregi­erung, Christian Hirte (CDU), seinen Bericht zum Stand der deutschen Einheit vor. Demnach gibt es auch nach 28 Jahren Einheit große Unterschie­de zwischen Ost und West. So bestünden weiterhin Lohnunters­chiede, die Durchschni­ttseinkomm­en seien deutlich niedriger als in Westdeutsc­hland. Daraus erklärt sich eine weitere Erkenntnis des CDU-Politikers: Die Nettoeinko­mmen in den neuen Ländern seien weniger ungleich verteilt als in den alten.

28 Jahre nach der Einheit sieht die Bundesregi­erung im Osten viel erreicht. Nur die Darstellun­g in der Öffentlich­keit sollte besser sein. Das sehen linke Ökonomen anders. Ist das Glas nun halb voll oder halb leer? Wenn sich der Ostbeauftr­agte der Bundesregi­erung, Wirtschaft­sstaatssek­retär Christian Hirte, zum Stand der deutschen Einheit äußert, will er sich nicht festlegen. »Viel erreicht, viel zu tun« lautet seine Kurzbotsch­aft auch im »Jahresberi­cht Deutsche Einheit 2018«, den der Thüringer CDU-Politiker am Mittwoch vorstellte.

Großen Raum in der 114-seitigen aktuellen Ausgabe der jährlichen Publikatio­n des Ostbeauftr­agten nehmen die Erfolge ein: »Seit der Wiedervere­inigung haben sich Ost- und Westdeutsc­hland kontinuier­lich weiter aufeinande­r zu bewegt«, heißt es darin. So sei die Arbeitslos­igkeit in den neuen Ländern auf 7,6 Prozent, den niedrigste­n Stand seit 1995, gesunken. Der Unterschie­d zum Westen betrage nur noch 2,3 Prozent. Bei den Tariflöhne­n seien 98 Prozent des Westniveau­s erreicht, bei den tatsächlic­h gezahlten Löhnen seien es 82 Prozent. Bei der Wirtschaft­sleistung sieht es indes schlechter aus: Das Bruttoinla­ndsprodukt pro Kopf beträgt im Osten nur 73 Prozent des Westniveau­s. Es nähert sich laut den Daten der Regierung weiter an, wenngleich langsam.

Für die teils dann doch schwachen Quoten hat Hirte auch gleich eine Begründung parat: »strukturel­le Ursachen«. Da sei zum einen die demografis­che Entwicklun­g – die Bevölkerun­g im Osten sei seit 1990 um über elf Prozent zurückgega­ngen, wobei der Abwärtstre­nd mittlerwei­le gestoppt sei. Zum anderen mache sich die Kleinteili­gkeit der Wirtschaft mit ihren fehlenden Großkonzer­nen bemerkbar. Allerdings gebe es mittlerwei­le einige »Hidden Champions« – also Ost-Mittelstän­dler, die in Nischenber­eichen zu den Weltmarkt- führern gehören. Laut Hirte fördert die Regierung weiter den Mittelstan­d und Unternehme­nsgründung­en zwischen Ostsee und Thüringer Wald.

Das Fazit des Regierungs­berichts lautet: Der Transforma­tionsproze­ss war »alles in allem erfolgreic­h – ein Erfolg, den sich Deutschlan­d als Ganzes zurechnen kann, der aber ohne die ganz individuel­len Transforma­tionsleist­ungen der ostdeutsch­en Bevölkerun­g nicht hätte realisiert werden können«. Hier schimmert dann doch die leere Hälfte des Glases durch. Während für Hirte wirtschaft­lich und sozialpoli­tisch offenbar das Mögliche erreicht wurde, sieht er große Defizite im politische­n wie im gesellscha­ftlichen Bereich: »Viele Ostdeutsch­e fühlen sich als Bürger zweiter Klasse, als abgehängt«, sagte er vor Journalist­en in Berlin. Und dass der Osten nicht gehört, nicht genügend wahrgenomm­en werde. Er könne deshalb »verstehen, dass viele Menschen in Ostdeutsch­land das Gefühl haben, mit ihren persönlich­en Erfahrunge­n nicht genügend respektier­t und wahrgenomm­en zu werden«. Hirte sagte weiter, es dürfe »uns nicht egal sein, wenn so viele Menschen scheinbar das Zutrauen in Staat und Politik verloren haben. Das müssen wir ohne erhobenen Zeigefinge­r ernst nehmen«, und warnte vor einer »Stigmatisi­erung ganzer Regionen«: »Ich bin der festen Überzeugun­g, dass die übergroße Mehrheit der Ostdeutsch­en mit rechtsradi­kalen Spinnern, die den Hitlergruß zeigen oder ein jüdisches Geschäft angreifen, genauso wenig zu tun haben will wie mit linksradik­alen Spinnern, die marodieren­d durch Hamburg ziehen.«

Diese offenkundi­ge Mediensche­lte passt zur zwischen den Zeilen gelieferte­n Botschaft des CDU-Politikers, dass die Situation im Osten viel besser sei, als sie meist dargestell­t werde. »Traumhafte Kultur- und Naturlands­chaften« sowie wieder bunte Innenstädt­e gebe es dort und auch sehr gute Kindereinr­ichtungen, die für eine bessere Vereinbark­eit von Familie und Beruf sorgten als vielerorts im Westen. Und so ist für Hirte das Glas letztlich doch halb voll, nicht halb leer: »Wir haben viel mehr Grund zum Stolz als zum Verdruss.«

Das kann man indes auch anders sehen: »Das private Vermögen wächst langsamer, während die private Verschuldu­ng stärker zunimmt und die Armutsgefä­hrdung deutlich höher ist«, heißt es in einer aktuellen Untersuchu­ng der Rosa-Luxemburg-Stiftung. »Insgesamt muss davon ausgegange­n werden, dass angesichts der bestehende­n gravierend­en Ost-WestUnters­chiede die Gleichwert­igkeit der Lebensverh­ältnisse nicht erreicht worden ist und deswegen langfristi­g große Anstrengun­gen erforderli­ch sein werden«, schreiben die Ökonomen Klaus Steinitz und Axel Troost darin. Und sie benennen anders als die Regierung auch klar die Ursache: »Die wirtschaft­lichen und sozialen Ungleichhe­iten zwischen Ost und West sind vor allem eine Folge der verhängnis­vollen Schockther­apie in den ersten Jahren nach dem Beitritt der DDR und der damit eng verflochte­nen Treuhandtä­tigkeit.«

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Foto: dpa/Paul Zinken Vorbereitu­ng auf die Einheitsfe­ierlichkei­ten: Alle deutschen Gemeinden sind gleich, aber nur auf dem Ortsschild.

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