Rechter Flügel begrüßt Kauders Ablösung
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus stützt sich auf interne Gegner von Kanzlerin Angela Merkel
Angela Merkel hat in den vergangenen Jahren viele Abgeordnete von CDU und CSU gegen sich aufgebracht. Deswegen verlor ihr Gefolgsmann Volker Kauder nun die interne Wahl. Nach seiner Wahl zum neuen Vorsitzenden der Unionsfraktion versicherte der CDU-Politiker Ralph Brinkhaus am Mittwochmorgen, dass zwischen ihn und Kanzlerin Angela Merkel kein Blatt Papier passe. »Ich habe den Willen, sie zu unterstützen, die Regierung stark zu machen«, betonte Brinkhaus im »heute journal« des ZDF. Allerdings wendet sich Brinkhaus dagegen, dass die Fraktion als verlängerter Arm der Kanzlerin und ihrer Minister fungiert. Er wolle die Positionen der Abgeordneten von CDU und CSU künftig auch gegenüber der Regierung offener vertreten, erklärte der Ostwestfale.
Er hatte sich am Dienstagnachmittag bei einer Abstimmung knapp gegen den langjährigen Amtsinhaber Volker Kauder (CDU) durchgesetzt. Dieser gilt als Vertrauter von Merkel. Forderungen aus der Opposition, Merkel müsse nun die Vertrauensfrage stellen, wies Brinkhaus als »Blödsinn« zurück. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert bestätigte am Mittwoch, dass die Kanzlerin keine Notwendigkeit sehe, die Vertrauensfrage im Parlament zu stellen.
Der Finanzpolitiker Brinkhaus war bislang einer von elf Vizechefs der Unionsfraktion. Der 50Jährige hat viele Freunde in der einflussreichen Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) der CDU/CSU. Diese steht für Neoliberalismus und Sozialabbau. So ist der MIT-Chef und Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann der Meinung, soziale Gerechtigkeit bedeute in erster Linie »gleiche Wettbewerbschancen für al- le«. Nach Medienberichten soll sich die MIT geschlossen dafür ausgesprochen haben, Brinkhaus zu unterstützen.
Zudem wurde er offensichtlich von Abgeordneten gewählt, die den Kurswechsel der Union im Umgang mit Homosexuellen torpedieren und die noch immer wütend sind, weil Merkel im Jahr 2015 zwischenzeitlich eine liberale Asylpolitik verfolgt hatte. Zu ihnen zählt der hessische CDUBundestagsabgeordnete HansJürgen Irmer. Er sagte der extrem rechten Wochenzeitung »Junge Freiheit«, die Abwahl Kauders sei ein »bewusstes Zeichen für den Aufbruch in der Union«.
Ähnlich äußerte sich die nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel im sozialen Netzwerk Facebook zum Machtwechsel an der Fraktionsspitze. »In der Politik ist es wichtig, für die eigene Überzeugung zu stehen, auch wenn die vermeintliche Mehrheitsmeinung eine andere ist. Heute ist das belohnt worden«, schrieb die CDU-Politikerin. Sie ist Sprecherin des Berliner Kreises in der Union, in dem sich einige Kritiker von Merkel zusammengeschlossen haben.
Der Kreis ist am rechten Rand der Union angesiedelt. Kürzlich verbreitete Pantel auf Facebook einen Text der Schweizer »Weltwoche«, in dem der bisherige Verfassungsschutzchef und künftige Sonderbeauftragte im Innenministerium, Hans-Georg Maaßen, dafür verteidigt wird, dass er die rassistischen Hetzjagden in Chemnitz verharmlost hatte.
Der neoliberale Wirtschaftsflügel der Union hat Ralph Brinkhaus offenbar geschlossen gewählt.
Angela Merkel hat eingeräumt, dass der Machtwechsel an der Unionsfraktionsspitze eine Niederlage für sie ist. Ihre Unterstützer versuchten, die Bedeutung des Wahlergebnisses herunterzuspielen. In diesen Tagen haben gute Nachrichten für Angela Merkel Seltenheitswert. Zumindest einen kleinen Grund zur Freude hatte sie, als die israelische Universität Haifa am Mittwoch mitteilte, dass sie der Kanzlerin am 4. Oktober in Jerusalem die Ehrendoktorwürde verleihen werde. In diesem Zusammenhang lobte die Hochschule den Führungsstil von Merkel, der »auf den Prinzipien von Gleichheit, Freiheit und Menschenrechten« basiere.
Die Universität ignorierte geflissentlich, dass der Führungsanspruch der Kanzlerin derzeit von ihren eigenen Leuten in Berlin infrage gestellt wird. Die schlechten Umfragewerte, das Lavieren der CDU-Vorsitzenden im Fall des bisherigen Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen und der Aufstieg der rechten Konkurrenzpartei AfD dürften letztlich den Ausschlag dafür gegeben haben, dass Merkel am Dienstagnachmittag bei den Wahlen zum Fraktionsvorstand der Union eine empfindliche Niederlage hinnehmen musste. Anstelle ihres Favoriten Volker Kauder wurde der bislang wenig bekannte Ostwestfale Ralph Brinkhaus zum neuen Fraktionsvorsitzenden gewählt.
Die Kanzlerin hatte kurz vor der Abstimmung in einer Rede vor den Bundestagsabgeordneten der Union noch einmal »von ganzem Herzen« für Kauder geworben. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer sowie sein Parteikollege, der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, hatten sich für den Mann aus BadenWürttemberg eingesetzt, der die Unionsfraktion seit dem Jahr 2005 anführte. Doch auch die prominente Unterstützung konnte Kauder nicht helfen. Für ihn votierten nur 112 Abgeordnete. Dagegen erhielt Brinkhaus 125 Stimmen.
Viele Parlamentarier der Union sehen die Bundestagsfraktion nur noch als einen Abnickverein der schwarz-roten Regierung. Brinkhaus hatte bereits vor seiner Wahl versprochen, dies ändern zu wollen und die Haltungen der Abgeordneten gegenüber der Bundesregierung künftig offensiver darzustellen. Außerdem wird bei den Konservativen nun ein Generationswechsel vollzogen. Kauder ist 69 Jahre alt. Brinkhaus wurde vor 50 Jahren geboren.
Das Abstimmungsergebnis hatte viele überrascht. Merkel teilte am Dienstagabend den wartenden Journalisten mit, dass das Ergebnis für sie »eine Niederlage« sei. Daran sei »nichts zu beschönigen«, erklärte die Kanzlerin.
Offensichtlich wurde Brinkhaus von unterschiedlichen Gruppen in der Fraktion gewählt. So wollten rechtskonservative Kreise in der Union unter anderem wegen der Flüchtlingspolitik mit Merkel abrechnen. Allerdings ist dieser Themenbereich nicht der Schwerpunkt von Brinkhaus. Der bisherige Fraktionsvizechef ist vielmehr dem neoliberalen Wirtschaftsflügel der Union zuzuordnen. Eine »Umverteilung von Geldern in der Eurozone« lehnt er etwa ab.
Zudem kann man davon ausgehen, dass Brinkhaus auch auf viele Bundestagsabgeordnete aus seinem mitgliederstarken Landesverband Nord- rhein-Westfalen zählen konnte. Dabei hatte sich der Landesvorsitzende und Ministerpräsident Armin Laschet gegen Brinkhaus ausgesprochen und Kauder unterstützt. Laschet ist einer von fünf stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU und stand in den vergangenen Jahren stets eng an der Seite von Merkel. Am Mittwoch bemühte sich Laschet, die Niederlage der Kanzlerin herunterzuspielen. »Sie hat das Vertrauen der Fraktion«, sagte Laschet im ZDF-»Morgenmagazin«. Es habe nur in der Frage des Fraktionsvorsitzes einen Wunsch nach Verän- derung gegeben. Weder Merkel noch ihre Vertrauten sehen einen Grund, warum die Kanzlerin im Bundestag die Vertrauensfrage stellen sollte.
Auch der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier stellte sich hinter Merkel. »Ich bin sicher, wenn sie gestern die Vertrauensfrage gestellt hätte, wäre das ein ganz dickes Ergebnis geworden«, sagte der CDUPolitiker am Mittwoch.
Deutlichere Töne waren hingegen in den Reihen des Koalitionspartners SPD zu hören. Der sozialdemokratische Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter von einem »Aufstand gegen Merkel«. Manche SPD-Politiker machen sich allerdings auch Sorgen, dass die Konflikte in der Union die gemeinsame Koalition gefährden könnten. Denn die Regierungsparteien müssten bei Neuwahlen empfindliche Niederlagen fürchten. Nach aktuellen Erhebungen kommen sie gemeinsam nur noch auf 43 bis 45 Prozent der Stimmen. Damit hätten Union und SPD ihre gemeinsame Mehrheit verloren.
Das weiß auch die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig, die als Regierungschefin eine Koalition mit der CDU in MecklenburgVorpommern anführt. Sie forderte Merkel dazu auf, für Stabilität in den Unionsparteien zu sorgen. »Die Große Koalition muss wieder Politik für die Menschen machen«, verlangte Schwesig im Gespräch mit dem Norddeutschen Rundfunk.
Politiker der Oppositionsparteien FDP, LINKE und Grüne vermuten, dass sich wegen des Machtwechsels an der Fraktionsspitze der Union auch ein baldiger Abschied der Kanzlerin abzeichnet. »Die Wahl ist ein Ausdruck dafür, dass das System Merkel zu Ende geht«, erklärten die Linksfraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch. »Nichtsdestotrotz gratulieren wir dem Kollegen Brinkhaus.«
Manche SPD-Politiker machen sich Sorgen, dass die Konflikte in der Union die Koalition gefährden könnten.