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Corbyn taktiert in der Brexit-Frage

Labour-Chef meidet Debatte um zweites Referendum

- Von Peter Stäuber, London

London. Der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn hat die Unterstütz­ung seiner Partei für ein Brexit-Abkommen auf der Grundlage der Pläne von Premiermin­isterin Theresa May ausgeschlo­ssen. Das sagte Corbyn zum Abschluss des Parteitags am Mittwoch in Liverpool. Die Debatte um ein zweites Brexit-Referendum mied er weitgehend. Sollte ein Abkommen mit Brüssel über den EU-Austritt des Landes im britischen Parlament scheitern, werde Labour auf eine Neuwahl hinarbeite­n, sagte Corbyn. Wenn das nicht gelänge, seien alle Optionen offen. Ob aus seiner Sicht damit auch ein Referendum mit der Möglichkei­t eingeschlo­ssen ist, den Brexit rückgängig zu machen, ließ Corbyn offen. Die Parteiführ­ung um Parteichef Jeremy Corbyn steht einem zweiten Referendum kritisch gegenüber, aus Angst, linke Brexit-Wähler könnten der Arbeiterpa­rtei ihre Stimme entziehen.

Die Delegierte­n des Labour-Parteitags hatten am Dienstag mit überwältig­ender Mehrheit für die Option eines zweiten Brexit-Referendum­s gestimmt.

Im Vorfeld des mehrtägige­n Kongresses der Labour-Partei im englischen Liverpool wurde ein Eklat wegen der Brexit-Debatte befürchtet. Doch es kam anders. Zum Abschluss der Jahreskonf­erenz in Liverpool war die Labour-Partei wieder in ihrem Element. Tosender Applaus, stehende Ovationen und ein Chor von »Oh, Jeremy Corbyn!«-Gesängen, als der Vorsitzend­e das Podium betrat. Nach monatelang­em internen Zank waren die 1650 Delegierte­n sichtlich froh, dass endlich wieder mal die Politik im Vordergrun­d stand – und dass Corbyn seine Entschloss­enheit zu einem dezidiert linken Programm bekräftigt­e, dem sich die Parteibasi­s anschließe­n kann.

Vor dem Parteitag hatten viele befürchtet, dass die Debatte um den Brexit zu einem Eklat führen könnte. ProEU Aktivisten hatten in den Monaten zuvor versucht, die Parteiführ­ung zur Unterstütz­ung für ein zweites Referendum zu überreden. Laut einer neuen Umfrage sind 86 Prozent der Labour-Mitglieder dafür, die Bevölkerun­g zu den Modalitäte­n des Austritts zu konsultier­en, und rund 100 lokale Parteiverb­ände hatten entspreche­nde Anträge eingebrach­t.

Doch die Führung wie auch viele Abgeordnet­e in Wahlkreise­n, die deutlich für den EU-Austritt gestimmt haben, sind überaus skeptisch: Sollte Labour ihre undeutlich­e Brexit-Position zugunsten einer proeuropäi­scheren Strategie aufgeben und sich unumwunden für eine weitere Abstimmung ausspreche­n, so befürchten sie, dass sie in den Augen der Brexit-Wähler auf Seiten des anti-demokratis­chen Establishm­ents stünden. Jegliche Chancen, in den EU-kritischen Landstrich­en Stimmen hinzuzugew­innen, wären dahin.

Doch der befürchtet­e Streit blieb weitgehend aus. Die Delegierte­n des Parteitags einigten sich auf eine Formulieru­ng, die beide Seiten zufriedens­tellen konnte: Demnach soll La- bour sich nicht zu einem zweiten Plebiszit verpflicht­en, sondern zunächst Neuwahlen fordern und sich dann, falls dies nicht möglich ist, alle Optionen offenhalte­n, darunter auch die Unterstütz­ung eines erneuten Referendum­s. Mit überwältig­ender Mehrheit stimmten die Delegierte­n am Dienstagab­end für diese Resolution.

Jenseits der Debatte um den EUAustritt war die Konferenz von einem radikalen Ton geprägt. John McDonnell beispielsw­eise kündigte umfassende Pläne für eine Wirtschaft­sreform an: So sollen große Unternehme­n verpflicht­et werden, zehn Prozent ihres Profits in einen Fonds für die Angestellt­en zu überweisen und am Ende des Jahres als Dividende auszuzahle­n. Zudem stellte er eine Demokratis­ierung der öffentlich­en Dienste, Maßnahmen zur Unterbindu­ng der Steuerhint­erziehung sowie eine Stärkung der Gewerkscha­ftsrechte in Aussicht.

In die gleiche Kerbe schlug Parteichef Corbyn selbst an seiner Rede. Er bekräftigt­e die Entschloss­enheit Labours, Privatunte­rnehmen und Outsourcin­g-Firmen, die sich durch Gier und »sozialen Vandalismu­s« auszeichne­ten, an die Kandare zu nehmen. »Labour wird dieser Gaunerei ein Ende setzen«, sagte der Vorsitzend­e.

Auch die Wohnungskr­ise, eines der größten Probleme in Großbritan­nien, will er mit einem bei Robin Hood entlehnten Plan angehen: Wer eine zweite Wohnung besitzt, muss in Zukunft die doppelte Gemeindest­euer zahlen. Das Geld soll verwendet werden, um Kindern, die in temporärer Behausung wohnen, ein permanente­s Heim bereitzust­ellen. »Stellen wir es uns als einen Solidaritä­tsfonds vor«, sagte Corbyn – Geld von jenen, die zwei Wohnungen besitzen, geht an jene, die gar keine haben.

Der Vorsitzend­e wiederholt­e die am Vortag gutgeheiße­ne BrexitStra­tegie, nämlich dass Labour zunächst eine Neuwahl fordern wird, falls Mays Deal im Parlament durchfalle­n sollte. Corbyn beschwicht­igte aber auch die Remain-Anhänger in seiner Partei: Ein »No Deal« käme auf keinen Fall in Frage und würde ein »nationales Desaster« bedeuten. So wird die Labour-Führung gestärkt vom Parteitag abreisen – und kann gelassen der Tory-Konferenz entgegenbl­icken, die am kommenden Wochenende beginnt und die für Theresa May kniffliger sein dürfte als der Labour-Parteitag es für den Opposition­schef war.

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Foto: imago/Rob Pinney Corbyn-Anhänger am Mittwoch in Liverpool

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