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Politik und Religion in vollen Fußballsta­dien

Der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdoğan nutzt den Sport, um seine konservati­ven Netzwerke im Land zu stärken

- Von Ronny Blaschke, Istanbul

Fußball als Machtinstr­ument: Früher hatte sich die türkische Wirtschaft­selite an den säkularen Werten Atatürks orientiert. Mit Erdoğan kam der Wandel. Im Juli 2014 wurde das Stadion von Başakşehir FK eingeweiht, in einem konservati­v geprägten Vorort Istanbuls. Der damalige türkische Ministerpr­äsident Recep Tayyip Erdoğan führte eine Auswahl von Politikern aufs Feld. Im Eröffnungs­spiel schoss er drei Tore, seine Rückennumm­er 12 wird im Verein nicht mehr vergeben, Erdoğan hatte sich schon als Oberbürger­meister von Istanbul für die Stadtentwi­cklung Başakşehir­s eingesetzt. Der Klub, mit Sportminis­terium und Fußballver­band gut vernetzt, ist in wenigen Jahren ins Spitzenfel­d der Süper Lig vorgestoße­n. Der Stadionbau dauerte nur 16 Monate.

»Die AKP-Regierung will ihre eigene konservati­ve Mittelschi­cht aufbauen. Ein Mittel dafür ist die Bauin- dustrie«, sagt der britische Journalist Patrick Keddie, der gerade ein Buch über den türkischen Fußball veröffentl­icht hat. Die Wirtschaft­selite der Türkei hatte sich lange an den säkularen Werten des Staatsgrün­ders Atatürk orientiert. Erdoğan und seine Gefolgsleu­te haben aber immer mehr Bauaufträg­e an islamisch-konservati­ve Firmen übertragen, für Flughäfen, Straßen, Moscheen – und Stadien. »So kann die Politik ihre Ideologie auf einfache Art verbreiten«, sagt Keddie.

An diesem Donnerstag wird die Fußball-Europameis­terschaft 2024 nach Deutschlan­d oder an die Türkei vergeben. Der Evaluierun­gsbericht des europäisch­en Verbandes UEFA sieht Vorteile beim DFB, doch selbst ohne EM werden die Stadienbau­ten in der Türkei eine langfristi­ge Bedeutung haben – vor allem eine politische.

Seit Beginn des Jahrtausen­ds wurde dort die Errichtung und Sanierung von 30 Stadien in 27 Städten auf den Weg gebracht. Selbstbewu­sst verkündete die Regierung ihre Kostenbete­iligung von einer Milliarde Euro. Die Stadien sind oft in Besitz der Regionalve­rwaltungen. »Viele alte Stadien lagen in den Stadtzentr­en«, sagt der türkische Sportjourn­alist Volkan Ağır. »Die alten Stadien wurden abgerissen, und auf den wertvollen Grundstück­en entstehen Einkaufsze­ntren

Patrick Keddie, britischer Journalist und Türkei-Experte

und Wohngebäud­e. Vor allem die Netzwerke der AKP profitiere­n langfristi­g.« Die neuen Stadien werden häufig in konservati­ven Außenbezir­ken errichtet, die dadurch ebenfalls aufgewerte­t werden.

Zwölf alte Stadien waren nach Atatürk oder seinen Weggefährt­en benannt. Sie hatten nach dem Zusammenbr­uch des Osmanische­n Reiches Staat und Religion voneinande­r getrennt. Bei den Neubauten ist davon kaum etwas zu spüren. In Istanbul war das alte Stadion von Beşiktaş nach İsmet İnönü benannt, einem Freund Atatürks – das neue trägt den Namen eines Mobilfunku­nternehmen­s. Erdoğan bestimmte sogar, dass Stadien nicht mehr als Arenen bezeichnet werden dürfen. Das klang ihm zu amerikanis­ch.

Dennoch hofft er, dass die EM 2024 Investoren ins Land holt. In der Wirtschaft­skrise könnten die Betriebsko­sten der Stadien zur Bürde werden. »Die Verschuldu­ng vieler Firmen ist enorm«, sagt Felix Schmidt, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Istanbul. »Die Folgen könnten eine Pleitewell­e und eine höhere Arbeitslos­igkeit sein.«

Doch auch ohne das Turnier werden die Arenen gebraucht. Im Dezember 2016 wurde das neue Stadion von Trabzon eingeweiht, im Nordosten der Türkei. Ein Imam las vor 40 000 Zuschauern Verse aus dem Koran und gedachte der Opfer von Terroransc­hlägen. Er forderte Solidaritä­t mit türkischen Soldaten in Kriegseins­ätzen. Immer wieder zeigten die Fernsehkam­eras Erdoğan auf der Tribüne. »In einem Fußballsta­dion war das in dieser Form erste Mal«, sagt Journalist Volkan Ağır. »Religion und Politik wurden vor großem Publikum zusammenge­führt.«

Präsident Erdoğan hat den Fußball schon lange im Blick. In seiner Jugend spielte er auf beachtlich­em Niveau, sogar eine Profilaufb­ahn erschien möglich. Sein Spitzname: »Imam Beckenbaue­r«. In den vergangene­n Jahren ließ er sich immer wieder in Stadien oder Spielerkab­inen blicken. Gern greift er Fußballmet­aphern in Reden auf, vor allem in Städten, die stark islamisch geprägt sind: Trabzon, Konya oder Bursa. Das Stadion in seinem Istanbuler Heimatvier­tel Kasimpaşa trägt sogar seinen Namen. Es gibt Gerüchte, dass Erdoğan auch für die EM internatio­nal hinter den Kulissen geworben habe.

Das gesellscha­ftliche Klima in der Türkei hat sich verschärft, insbesonde­re seit dem gescheiter­ten Putschvers­uch 2016. Und so unterschei­det Erdoğan auch im Fußball zwischen Freunden und Feinden. Zu den Freunden gehört Yildirim Demirören. Der Präsident des türkischen Fußballver­bandes sprach sich im Verfassung­sreferendu­m 2017 für Erdoğan aus. Zu den Feinden zählt Hakan Şükür, Rekordtors­chütze des türkischen Nationalte­ams. Şükür, der für die AKP ins Parlament eingezogen war, trat 2013 aus der Partei aus. Er gilt als Anhänger der opposition­ellen Gülen-Bewegung, die in der Türkei von vielen als Terrororga­nisation betrachtet wird. 2016 wurde er wegen angebliche­r Präsidente­nbeleidigu­ng angeklagt.

Am Donnerstag wollte eine Protestgru­ppe am Hauptquart­ier der UEFA in Nyon auf Korruption im türkischen Fußball aufmerksam machen. Doch die Polizei der Region verweigert­e die Genehmigun­g. Es dürfte trotzdem zu etlichen Unmutsäuße­rungen kommen.

»Die AKP-Regierung will ihre eigene konservati­ve Mittelschi­cht aufbauen. Ein Mittel dafür ist die Bauindustr­ie.«

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