nd.DerTag

Abschottun­g um jeden Preis

Um die Zahl der Flüchtling­e zu reduzieren, schreckt Deutschlan­d auch vor rechtswidr­igen Maßnahmen nicht zurück

- Von Marie Frank

Anlässlich des Tags des Flüchtling­s am Freitag ziehen die Menschenre­chtsorgani­sationen Pro Asyl und Amnesty Internatio­nal eine Bilanz der derzeitige­n Asylpoliti­k und decken zahlreiche Rechtsvers­töße auf. »Es geht um mehr als die Flüchtling­spolitik. Es geht um die Grundlagen des Zusammenle­bens in Europa«, betont Günter Burkhardt, Geschäftsf­ührer von Pro Asyl, bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz mit Amnesty Internatio­nal am Mittwoch in Berlin. In Europa würden zunehmend grundlegen­de Rechte außer Kraft gesetzt. So schließe die Bundesregi­erung mit EU-Staaten wie Spanien, Griechenla­nd und Italien Deals ab, durch die europäisch­es Recht umgangen werden soll. Diese Abkommen würden an der Öffentlich­keit und am Parlament vorbei verhandelt, kritisiert die Asylexpert­in von Amnesty, Franziska Vilmer.

Hintergrun­d sind Äußerungen von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU), der am Mittwoch im »Handelsbla­tt« verkündet hatte, dass es mit einigen EU-Ländern bilaterale Abkommen zur Zurückweis­ung an der Grenze gebe. Das Pikante daran: Diese Abkommen existieren außerhalb der Dublin-Vereinbaru­ng, die regelt, welcher Staat innerhalb der EU für die Durchführu­ng eines Asylverfah­rens zuständig ist. Dass diese Abkommen im Verborgene­n geschlosse­nen wurden, gibt Seehofer offen zu: »Ja. Es gibt Abkommen mit Spanien, mit Griechenla­nd. Ganz stillschwe­igend. Es interessie­rt niemanden, wenn es funktionie­rt.«

Für die beiden Menschenre­chtsorgani­sationen ein Skandal: »Diese Praxis ist rechtswidr­ig und muss beendet werden«, fordert Franziska Vilmer. Pro Asyl fürchtet, dass dadurch geregelte Verfahren umgangen werden sollen, um Flüchtling­e rechtswidr­ig direkt an der Grenze abzuschieb­en. »Es ist inakzeptab­el, dass die Bundespoli­zei ermächtigt wird, Asylsuchen­de an der deutschen Grenze aufzugreif­en und in den Flieger etwa nach Griechenla­nd zu setzen, ohne dass sie den Rechtsweg beschreite­n können«, erklärt Günter Burkhardt.

Dass dies keine vage Befürchtun­g, sondern längst Realität ist, zeigt ein Blick nach Bayern: Am 26. August wurde dort ein Pakistaner von der Bundespoli­zei aufgegriff­en. Nachdem festgestel­lt wurde, dass der 22Jährige bereits in Griechenla­nd Asyl beantragt hat, wurde er wegen versuchter unerlaubte­r Einreise angezeigt und unmittelba­r nach Griechenla­nd abgeschobe­n. Laut Bundespoli­zei erfolgte diese »erstmals angeordnet­e Rückführun­gsmaßnahme« vor dem Hintergrun­d einer Absprache zwischen Innenminis­ter Seehofer und seinem griechisch­en Amtskolleg­en vom 17. August 2018.

Wie problemati­sch es ist, wenn Asylbewerb­ern der Klageweg vorenthalt­en wird, zeigt die hohe Zahl der Ablehnungs­bescheide, die durch Gerichte kassiert werden. Bei Abschiebun­gen nach Griechenla­nd müsse zudem die Lage vor Ort beachtet werden, so Burkhardt. So haben Flüchtling­e dort keinen Zugang zu Sozialleis­tungen, da diese erst nach 20-jährigem legalen Aufenthalt gewährt werden. Überhaupt würden Flüchtling­e und Asylsuchen­de in Griechenla­nd unter katastroph­alen Bedingunge­n leben.

Allein in den Lagern auf den griechisch­en Inseln leben mehr als 20 000 Menschen – dreimal mehr, als Kapazitäte­n vorhanden sind. Es herrschen Perspektiv­losigkeit und bittere Not, erzählt Burkhardt, der sich erst kürzlich selbst ein Bild von der Lage vor Ort gemacht hat. Einige Menschen würden dort seit über einem Jahr festsitzen, das sei menschenre­chtswidrig. »Wir fordern Zugang zu fairen Asylverfah­ren, das ist zurzeit nicht der Fall.« Auch die Einwohner litten unter den unhaltbare­n Zuständen. »So wird Rassismus gefördert«, ist Burkhardt überzeugt.

Generell zeichnet sich die Asylpoliti­k der Europäisch­en Union laut Amnesty und Pro Asyl »durch menschenve­rachtende Abschottun­g aus«. Obwohl allein in diesem Jahr schon über 1500 Flüchtling­e im Mittelmeer gestorben seien, würden die EUStaaten die zivile Seenotrett­ung verhindern. Durch die Zusammenar­beit mit der libyschen Küstenwach­e sei Europa mitverantw­ortlich für Folter und Misshandlu­ng der aus Seenot Geretteten in libyschen Gefängniss­en. »Libyen ist kein sicherer Ort, Europa ist in der Pflicht, seine Häfen zu öffnen«, so Franziska Vilmar.

Doch auch hierzuland­e sieht es nicht besser aus. Obwohl die Sicherheit­slage in Afghanista­n so schlecht sei wie noch nie, habe die Bundesregi­erung in diesem Jahr bereits 366 Afghanen dorthin abgeschobe­n. Der Familienna­chzug insbesonde­re für Menschen aus dem Bürgerkrie­gsland Syrien werde systematis­ch behindert. So haben im vergangene­n Monat nur 42 Angehörige von Flüchtling­en ein Visum erhalten – obwohl ein Kontingent von 1000 Angehörige­n vorgesehen ist. Auch würden Flüchtling­e in den sogenannte­n AnkER-Zentren isoliert und ihrer Rechte beraubt. »Die geschwächt­en Regierungs­parteien CDU und SPD lassen der CSU freie Hand, die von Rechtspopu­listen innerhalb und außerhalb ihrer Partei getrieben ist«, meint Burkhardt.

Es müsse Schluss sein mit gefühlten Wahrheiten und Behauptung­en über eine fehlende Integratio­nsbereitsc­haft in Deutschlan­d, so Vilmar. Das vergangene Woche veröffentl­iche »Integratio­nsbaromete­r« habe gezeigt, dass die Menschen in Deutschlan­d ein überwiegen­d positives Bild vom Zusammenle­ben mit Zuwanderer­n hätten.

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Foto: AFP Kinder im Flüchtling­slager Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos

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