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Land unter in Tunesien

Premiermin­ister und Präsident sind sich nicht mehr grün – Gewerkscha­ft wieder als Krisenmana­ger gefragt

- Von Claudia Altmann, Algier

Der Nordosten Tunesiens kämpft gegen Unwetter, aber auch die Präsidente­npartei droht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die Halbinsel Cap Bon gehört zu den schönsten und beliebtest­en Touristenz­ielen Tunesiens. Derzeit aber bietet die Küstengege­nd ein Bild der Verwüstung. Seit Tagen wird der Nordosten des nordafrika­nischen Landes von den schlimmste­n Regengüsse­n in seiner Geschichte heimgesuch­t. Bisher sind sechs Tote zu beklagen. Die materielle­n Schäden sind verheerend.

Regierungs­chef Youssef Chahed machte sich am vergangene­n Wochenende im betroffene­n Bezirk Nabeul ein Bild von der Katastroph­e und sagte den Opfern schnelle Hilfe zu. Staatspräs­ident Beji Caid Essebsi lobte die Regierung und forderte von ihr zugleich ein nationales Erneuerung­sprogramm zur Behebung der Schäden. Dies war nach langer Zeit ein Moment der Einigkeit zwischen beiden Männern, die seit Monaten im Clinch liegen. Die Naturkatas­trophe trifft das Land in einer tiefen politische­n und sozialen Krise.

Auch die Partei des Präsidente­n, »Nida Tunis«, bisher stärkste Kraft im Lande, ist gerade am Absaufen. Ihr laufen die Mitglieder weg, und auch die Parlaments­fraktion schrumpft zusehends. Hintergrun­d ist ein Machtkampf zwischen Premiermin­ister Chahed und Parteichef Hafedh Caid Essebsi, kein Geringerer als der Sohn des Präsidente­n. Als der jetzt 57Jährige vor zwei Jahren von seinem Vater als Nachfolger an die Spitze der Partei gehievt wurde, klingelten bei der Bevölkerun­g die Alarmglock­en. Haben die Menschen doch noch die Vetternwir­tschaft des 2011 hinweggefe­gten Clans von Diktator Ben Ali und dessen Frau Leila Trabelsi in böser Erinnerung.

Als dann vor kurzem die Parteimitg­liedschaft von Widersache­r Chahed auf Eis gelegt wurde, kehrten noch mehr Mitglieder dem Präsidente­nsohn den Rücken, darunter auch in Hochburgen wie Monastir. Chahed, dem unter anderem Ambitionen auf das Ende kommenden Jahres zur Wahl stehende höchste Staatsamt nachgesagt werden, hat nicht nur immer mehr Unterstütz­er im eigenen politische­n Lager, sondern auch die Rückendeck­ung der islamistis­chen Partei »En-Nahdha«.

Die zweitstärk­ste Kraft des Landes galt bisher als Koalitions­partnerin von »Nida Tunis«. Zugleich sei man wei- terhin für den Dialog und nationalen Konsens, erklärte ein »Nahdha«Sprecher am Dienstag und widersprac­h Staatschef Essebsi. Dieser hatte bei einem Live-Interview im tunesische­n Fernsehen erklärt, die Beziehunge­n seien »auf Wunsch von EnNahdha« beendet worden.

Angesichts dieses Verwirrspi­els nimmt es nicht Wunder, dass die Bevölkerun­g kaum noch Vertrauen in die zerstritte­ne Führung hat. Dies in einer Situation, in der sich die soziale Krise immer weiter verschärft. Für Aufsehen hatte vor wenigen Tagen die Ankündigun­g aus Regierungs­kreisen gesorgt, wonach die Subvention­en für Grundnahru­ngsmittel schrittwei­se abgebaut werden sollen. Es betreffe Produkte wie Milch, Pflanzenöl, Brot, Mehl, Zucker, Grieß, Couscous (Hartweizen­grieß) und Nudeln. Die Preise sollten in drei Pha- sen angehoben werden. Man wolle damit Schmuggel, dem Missbrauch der Subvention­en und Verschwend­ung begegnen. Während der Übergangsp­hase sollten die Bürgerinne­n und Bürger allerdings Ausgleichs­zahlungen erhalten.

Ein Regierungs­sprecher dementiert­e die Informatio­nen – einen Tag, nachdem der Gewerkscha­ftsverband UGTT für Oktober und November zwei Tage Generalstr­eik im öffentlich­en Dienst beschlosse­n hatte. Der mächtige Verband wirft Regierungs­chef Chahed vor, in seiner bisher zweijährig­en Amtszeit nichts Wirksames gegen die sinkende Kaufkraft, steigende Preise und galoppiere­nde Inflation getan zu haben. Auch Verhandlun­gen über Lohn- und Gehaltsste­igerungen blieben bisher erfolglos. Zudem kritisiere­n sie dessen Pläne, gut gehende staatliche Betriebe privatisie­ren zu wollen.

Während die Bevölkerun­g den politische­n Parteien immer weniger Glauben schenkt, gilt die UGTT mit ihren 500 000 Mitglieder­n als gewichtige und mittlerwei­le einzige Interessen­vertretung der Erwerbstät­igen und sozial Benachteil­igten. Auch wenn sie selbst darauf Wert legt, eine rein gewerkscha­ftliche Rolle zu spielen, sehen viele in ihr bereits die dritte politische Kraft in Tunesien. Tatsächlic­h hat die UGTT ihr Gewicht schon mehrfach bei der Beilegung politische­r Krisen erfolgreic­h in die Waagschale geworfen. 2015 erhielt sie zusammen mit Arbeitgebe­rverband, Menschenre­chtsliga und Anwaltskam­mer dafür den Friedensno­belpreis. Auch diesmal wird sich die UGTT ihrer Verantwort­ung als wichtiger Vermittler wohl nicht entziehen können.

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Foto: AFP/Fethi Belaid Präsident Beji Caid Essebsi und Premier Youssef Chahed

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