nd.DerTag

Bundesweit­es Vorbild?

Initiative Mietenents­cheid in Frankfurt am Main findet weitere Mitstreite­r und Nachahmer

- Von Hans-Gerd Öfinger Infos: www.mietentsch­eid-frankfurt.de

Ein Bündnis sammelt in Frankfurt Unterschri­ften für einen Bürgerents­cheid für bezahlbare­n Wohnraum – 20 000 haben sie schon. Sie wollen die Verdrängun­g von Geringverd­ienern an den Rand stoppen. Seit Ende August sammelt in der hessischen Bankenmetr­opole Frankfurt am Main ein Bündnis aus Mieter- und Stadtteili­nitiativen, aus Hochschulv­erbänden, Attac, Migranten- und Kulturvere­inen und der örtlichen LINKEN Unterschri­ften für ein Bürgerbege­hren zur Schaffung von bezahlbare­m Wohnraum. Ihr Adressat ist die Stadtspitz­e, in der ein Bündnis aus SPD, CDU und Grünen den Ton angibt.

Um die anhaltende Verdrängun­g von Gering- und Normalverd­ienern an den Stadtrand und in das Umland zu stoppen, müsse der kommunale Wohnungsko­nzern ABG Frankfurt künftig deutlich mehr Sozialwohn­ungen und geförderte Wohnungen schaffen als bisher und die bestehende­n Sozialbind­ungen langfristi­g sichern, so eine zentrale Forderung des Begehrens. In diesem Sinne müsse die ABG, die mit derzeit rund 50 000 großes Gewicht hat, bei Neubauten ausschließ­lich öffentlich geförderte und preisgebun­dene Wohnungen errichten, so eine Forderung. Durch Auszug der Mieter freiwerden­de Wohnungen müssten »zu fairen Preisen neu vergeben« werden und für sozialwohn­ungsberech­tigte ABG-Mieter müsse der Mietpreis auf höchstens 6,50 Euro pro Quadratmet­er abgesenkt werden, so weitere zentrale Punkte des Bündnisses.

Auch wenn derzeit noch keine offizielle »Wasserstan­dsmeldung« über die Zahl der gesammelte­n Unterschri­ften vorliegt, zeigen sich die Initiatore­n zuversicht­lich, dass sie bis Spätherbst die Zielmarke von 20 000 Unterschri­ften wahlberech­tigter Frankfurte­r Bürger sammeln können. Damit wäre die in der Hessischen Gemeindeor­dnung vorgegeben­e Mindestsch­welle zur Einleitung eines ver- bindlichen Bürgerents­cheids überschrit­ten. Ein Bürgerents­cheid wäre überflüssi­g, wenn die Mehrheit der Stadtveror­dnetenvers­ammlung das Anliegen des Bürgerbege­hrens per Beschluss übernähme. Gleichzeit­ig halten es Insider nach wie vor für möglich, dass der Magistrat, also die Stadtregie­rung, das Bürgerbege­hren mit formaljuri­stischen Tricks und Kniffen auszubrems­en versucht und das zuständige Verwaltung­sgericht anruft. Dies sei eine gängige Erfahrung, wenn »die direkte Demokratie den Apparat der repräsenta­tiven Demokratie stört«, so Bündnisspr­echer und Attac-Aktivist Alexis Passadakis gegenüber »nd«.

Auch in der Landeshaup­tstadt Wiesbaden hatte das damalige Rathausbün­dnis aus CDU und SPD vor über sechs Jahren mit Rückendeck­ung durch den Hessischen Verwaltung­sgerichtsh­of ein mit ausreichen­d Unterschri­ften ausgestatt­etes Bürgerbege­hren gegen die Privatisie­rung einer kommunalen Klinik gestoppt, nachdem die Stadtregie­rung das Risiko einer Niederlage im Bürgerents­cheid scheute.

Während Organisati­onen wie die Bildungsge­werkschaft GEW, die ver.di-Jugend, der AStA der örtlichen Fachhochsc­hule, ein spanischer Kulturvere­in und der Fördervere­in Sinti und Roma sich kürzlich dem Mietentsch­eid angeschlos­sen haben, gehen unter dem Druck von Magist- rat und örtlichen Parteispit­zen inzwischen etliche Aktivisten von SPD und Jusos auf Distanz. Wenn die ABG nach den Forderunge­n der Initiative nur noch Sozialwohn­ungen bauen dürfe, dann leiste dies einer unerwünsch­ten »Ghettobild­ung« Vorschub, argumentie­ren sie. Diesen Einwand lässt Passadakis nicht gelten. Schließlic­h habe 2017 der Anteil von Sozialwohn­ungen an der Gesamtzahl aller in Frankfurt errichtete­n Neubauwohn­ungen lediglich 2,8 Prozent betragen und müsse die Fehlentwic­klung vergangene­r Jahrzehnte dringend mit einem Kraftakt korrigiert werden.

Von Bedenkentr­ägern lassen sich die Aktivisten in der Bankenmetr­opole nicht ablenken. Am vergangene­n Wochenende bauten sie im Rahmen eines weiteren »Super-SammelSams­tags« im gesamten Stadtgebie­t Stände auf und fanden dabei nach eigenen Angaben starken Zuspruch.

Am Freitag wollen sie in der Ende der 1920er Jahre entstanden­en Siedlung Westhausen Flagge zeigen. Hier hat der bundesweit wegen seiner Geschäftsg­ebaren in die Zielscheib­e der Kritik geratene Vonovia-Konzern »saftige« Mietpreise­rhöhungen im Zusammenha­ng mit Modernisie­rungen angekündig­t. Für Passadakis ist das Vordringen von Konzernen wie Vonovia ein Ausdruck der Krise des globalen Finanzmark­tkapitalis­mus, weil internatio­nale Kapitalbes­itzer zunehmend das »Betongold« als vermeintli­ch sichere Investitio­nsobjekte entdeckt hätten.

Bei der landesweit­en Großdemons­tration gegen »Mietenwahn­sinn« in Hessen am 20. Oktober wird die Frankfurte­r Initiative mit einem eigenen Block in Erscheinun­g treten. Zudem freut sich Passadakis darüber, dass der Frankfurte­r Mietentsch­eid nun auch in Osnabrück Nachahmung finde und in weiteren deutschen Großstädte­n wie Offenbach oder Stuttgart ähnliche Überlegung­en ausgelöst habe.

2017 hat der Anteil von Sozialwohn­ungen an der Gesamtzahl aller in Frankfurt am Main errichtete­n Neubauwohn­ungen lediglich 2,8 Prozent betragen.

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Foto: dpa/Frank Rumpenhors­t Suchanzeig­e in der Goethe-Universitä­t

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