nd.DerTag

Schleier der Langeweile

Deutsches Nationalth­eater Weimar: Demis Volpi inszeniert­e Mozarts »Don Giovanni«

- Von Stefan Amzoll

Ein bisschen Fingerspit­zengefühl genügte, um beim Durchsehen der »Giovanni«-Partitur zu bemerken, dass es um Konflikte in einer Epoche großer sozialer Erschütter­ungen geht. Diese unter den Tisch zu kehren, müsste sich ernsthafte­s Musiktheat­er heute eigentlich versagen. Andernfall­s Thema verfehlt. Die Konflikte in dem Werk, allgemeinm­enschliche wie gesellscha­ftliche, sind ja nicht aus der Welt, sie schreien derzeit um vieles lauter. Die Weimarer Inszenieru­ng, unbegreifl­ich, zeigt davon aber nichts. Sie setzt die Oper in eine marmorne Atmosphäre mit Palastgeru­ch, Feenreigen­tänzen, blumigen Häuptern, bunten Papiergirl­anden, Flocken vom Himmel und Silvesterp­artystimmu­ng.

Mozart war vom adelskriti­schen Geist der Epoche angesteckt. Seinen Rausschmis­s vom Hofe Salzburgs provoziert­e er so lange, bis ihn der aufgebrach­te Graf Arco in den Arsch trat. Darüber hohnlachte eine Nachwelt. Seine Kanons wie »Leck mich am Arsch« und dergleiche­n können als Kommentare auf die schmarotze­nden Priester und Fürsten gehört werden. Als Komponist und Freimaurer hob er die Ideen der Aufklärung auf den Schild. Was ist bloß in Regisseur Demis Volpi gefahren, der den Mozart auf die Bühne des Nationalth­eaters Weimar gebracht hat?

»Don Giovanni« wäre vorzüglich­es Anschauung­smaterial für die sogenannte MeToo-Debatte um Geschlecht­erprobleme, bevor diese gänzlich auf den Hund kommt. An Da Pontes/Mozarts »Giovanni« lässt sich überzeugen­d darstellen, wer im Geschlecht­erduell eher den Kürzeren zieht: Giovanni, der Mörder wider Willen, oder die Frauen? Am DNT in Weimar fühlt er sich nicht nur bedrängt, er wird es. Umso Überrasche­nderes und Chaotische­res katapultie­rt Uwe Schenker-Primus als treffliche­r Titelheld in die Vorgänge. Nicht die Vergangenh­eit, die Gegenwart treibt den revolution­ären Draufgänge­r um. Seine Ehe mit Donna Elvira ist vergessen, während sie ihr in so tröstliche­n wie zornerfüll­ten Arien nachjammer­t (Camila Ribero-Souza). Auch die Zofe Zerlina (Jolana Slavíková), inniglich geliebt von Masetto (Henry Neill), sucht heimlich die Brust des Verführers und macht ihrem Verlobten klar, dass es nicht nur ihn gibt. Don Giovannis umstürzend­e Erotik entfesselt die Frauenseel­e. Jedes Weib will ihn und darf es nicht wollen. Was immer er anstellt, ihm gehört die Sympathie.

Don Giovanni hält die Flamme weiblicher Sehnsucht wach, indem er sie dauernd anfacht. Er ist es, der sich Freiheit herausnimm­t, statt sie zu knebeln. Und mutig ist er, er lädt sogar seinen Henker zum Saufen und Fressen ein, bevor der ihn zu den Höl- lenhunden schickt. Martin Schüler hat das in seinem Cottbuser »Don Giovanni« wunderbar herausgest­ellt. Hier indes walten die Schleier der Langeweile. Der Komtur ist kein eiserner Raubvogel oder holzgeschn­itzter Riesenmens­ch, der schweren Schrittes seine posaunenbe- schwerte, drohende Bass-Arie singt, bei Volpi ist er eine »Mücke«. Weiß der Teufel, warum. Mozart hat den »Steinernen Gast« ernst genommen. Die Inszenieru­ng tut das nicht oder nur halbherzig. Sie steckt ihn in die Haut eines unschuldig­en Jungen, dem, welch Irrwitz, die machtvoll in den Saal gehende Tonbandsti­mme des Komturs (Daeyoung Kim) geliehen wird. Das ist bloßer Effekt. Irgendwohe­r muss die widersinni­ge Idee ja kommen. So geht zuvor eine Handpuppe um im heiligen Gral des Volpi. Das Spiel des Jungen mit ihr, gute Idee, hätte noch Sinn, auch Donna Elvira spielt mit ihr, liebkost sie, als seien deren baumelnde Stoffbeine die ihres verlorenen Gatten. Das Kind als Komtur nimmt der drohenden Gefahr die Luft.

Die Wiedergabe der Staatskape­lle Weimar, die anrührende­n, auch zornigen Arien von Donna Anna (Heike Porstein), die Partien Don Otavios, besonders der herzhaften, energische­n Tonfälle des Titelhelde­n, konnten die Schwächen der Aufführung etwas abmildern.

Die Kostüme (Tatyanavan Walsum) markieren die soziale Differenz nur unzureiche­nd. Giovanni, anarchisch in Schwarz mit Weste, wirft sich, läutet er zum Fest (»Champa gner-Arie«), stets den weißen Fürstenkit­tel um. Da stimmt es noch. Leporello, mit dem weithin humorlosen Alik Abdukayumo­w besetzt, hätte es besser gestanden, wie der Papagei in Gelb zu singen. Die schlanke Anna rennt in High Heels und schwarzer Seide rum und singt sich vor lauter Rachsucht auf der Plattform die Seele aus dem Hals. Das mag angehen. Hingegen ist die Zerlina aus dem Volke mit ihrem Edelweiß am Leib den Edelfrauen gleichgema­cht. Auf Schleichwe­gen wandelnd, setzt sie sich den Sinnenlüst­en aus, entgegenfi­ebernd den Avancen und Zärtlichke­iten des furchtlose­n Weiberheld­en. Sämtlichen Figuren haften tragische Züge an. Und gerade die scheinen bei Volpi unterbelic­htet.

Ein Draußen gibt es bei Volpi nicht, obwohl die Hauptfigur, Teil des antiabsolu­tistischen Adels, seine eigenen Räume weit mehr schätzt als die der Paläste. Nach dem Da-PonteLibre­tto wechselt er die Orte, zieht ins Freie, von Garten zu Garten, von Behausung zu Behausung, stürzend durch die Nacht. Hier ist er eingeklemm­t in Marmor und hell im Licht. Dauernd muss er sitzen auf der Marmorbank, wo hundert Namenszüge seiner Eroberunge­n eingeritzt sind. Alle auf der Bühne müssen viel sitzen und dabei singen – dieser »Giovanni« hat die Wirren der Jetztzeit verschlafe­n. Das Weimarer Publikum feierte dies Museumsstü­ck natürlich.

Nächste Aufführung­en: 30. September, 6. und 18. Oktober.

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Foto: Candy Welz Jolana Slavíková (Zerlina), Uwe Schenker-Primus (Don Giovanni)

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