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Zu viel gegessen, zu lange geduscht

Osteuropäi­sche Pflegehelf­erinnen arbeiten oft in prekären Verhältnis­sen – das wird von der Politik aber ignoriert

- Von Ulrike Henning

Der Markt für die 24-Stunden-Pflege wächst, ist aber für die Kunden – Familien mit Pflegebedü­rftigen – nicht durchschau­bar. Bislang will die Politik das nicht ändern. Wenn Pflegebedü­rftige zu Hause wohnen bleiben sollen oder wollen, die Familien ihre Versorgung aber nicht absichern können, führt der Weg häufig zur sogenannte­n 24Stunden-Pflege. Dabei kommen Hilfskräft­e, meist aus Osteuropa, zum Einsatz. Diese Frauen wohnen dann im gleichen Haushalt, aber ihre Beschäftig­ung und soziale Absicherun­g bewegt sich häufig in einem Graubereic­h. Die Familien zahlen zwischen etwas über 1000 und 5000 Euro im Monat für diese Hilfen. Der in diesem Bereich entstanden­e, weiter wachsende Markt wird von der Pflegepoli­tik der Bundesregi­erung vollkommen ignoriert – so jedenfalls die einhellige Kritik einer Veranstalt­ung, die am Dienstag in Berlin stattfand. Eingeladen hatte das Deutsch-Polnische Zentrum für Rechts- und Verwaltung­swissensch­aften der Brandenbur­gischen Technische­n Universitä­t.

Claudia Menebröcke­r von der Caritas im Erzbistum Paderborn will im Einsatz der Helferinne­n durchaus keine Win-win-Situtation sehen: »Es handelt sich hier eher um eine doppelte Notlage, in der Migrantinn­en und Familien zusammenge­bracht werden.« Deshalb entschloss sich der katholisch­e Wohlfahrts­verband, das Projekt CariFair zu starten, um wenigstens einem Teil der Pflegehelf­erinnen faire Arbeitsbed­ingungen zu verschaffe­n. An dem Projekt sind laut Menebröcke­r 15 von insgesamt 200 Verbänden und Diensten der Caritas in Deutschlan­d beteiligt.

Von der polnischen Caritas wurde der Ansatz begrüßt, weil man der Meinung ist, dass die Frauen auf der Suche nach Arbeit auf jeden Fall nach Deutschlan­d kommen würden und es besser wäre, sie zu unterstütz­en. In dem Projekt werden die Familien zu Arbeitgebe­rn, bei allen Formalität­en unterstütz­en Koordinato­rinnen des kirchliche­n Trägers. Die Pflegehelf­erinnen kommen auf ein Nettogehal­t von 1050 Euro im Monat. Steuern und Sozialabga­ben werden in Deutschlan­d abgeführt.

Die erwähnten Koordinato­rinnen sind zweisprach­ig und begleiten die Frauen während des gesamten Arbeitsver­hältnisses. Gefördert wird auch der Austausch unter ihnen. Genau das wird von privaten Anbietern eher unterbunde­n. Beratungsb­edarf bestehe häufig bei rechtliche­n Fragen oder bei Unzufriede­nheit mit dem konkreten Einsatzhau­shalt. Laut Caritas-Referentin Menebröcke­r helfen die Koordinato­rinnen den Familien auch dabei, weitere Hilfestell­ungen zu finden, in der Tagespfleg­e oder für die Freizeitge­staltung der Pflegebe-

Claudia Menebröcke­r, Caritas

dürftigen. Das weist darauf hin, dass es sich hier wie in ähnlichen Beschäftig­ungsverhäl­tnissen nie wirklich um eine 24-Stunden-Hilfe handeln kann.

Befremdlic­h wirkt, was laut Menebröcke­r zu den üblichen Konflikten in den Arbeitsver­hältnissen mit innewohnen­den Helferinne­n gehört: »Es wird viel über die angemessen­e Essensmeng­e oder über die Dauer des Duschens gestritten.« Auch über die Einhaltung oder Ausweitung von Arbeitszei­ten müsse häufig verhandelt werden. Die Verträge gingen über 38,5 Stunden pro Woche, aber schon eine Freizeit von elf Stunden über Nacht sei »utopisch«. Menebröcke­r kritisiert­e in diesem Zusammenha­ng Vermittlun­gsagenture­n, die ihre Helferinne­n als Selbststän­dige führten und so für die Arbeitszei­tfrage jede Verantwort­ung abwiesen. Auch laut dem Theologen Jonas Hagedorn aus Frankfurt am Main liegt das grundlegen­de Problem in der extremen Ausdehnung der Arbeitszei­t – das sei nicht nur ein rechtliche­s, sondern auch ein ethisches Problem.

Jedoch haben die Familien als Arbeitgebe­r im Caritas-Projekt monatlich 2300 Euro aufzubring­en. Wie die Caritas sehen ebenso andere Akteure in dem Bereich die Notwendigk­eit, dass die Politik endlich für den Bereich der häuslichen Pflegehilf­en die Finanzieru­ng stärkt. Ein richtiger Schritt wäre es schon, wenn Pflegesach­leistungen auch für die Vergütung der osteuropäi­schen Helferinne­n freigegebe­n würden. Ist der Großteil der Kosten aber weiterhin in Höhe von mehreren Tausend Euro monatlich von den Angehörige­n aufzubring­en, fördert das die Schwarzarb­eit. Benedikt Zacher von der Plattform pflege.de kritisiert, dass das jetzt schon in 90 Prozent der beteiligte­n Haushalte die Regel sei.

»Es handelt sich hier um eine doppelte Notlage, in der Migrantinn­en und Familien zusammenge­bracht werden.«

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