nd.DerTag

Mittel zum sozialen Aufstieg

Jürgen Amendt fragt sich, warum ein duales Studium gerade unter Arbeiterki­ndern attraktiv ist

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Als in den frühen 1970er Jahren die ersten dualen Studiengän­ge eingericht­et wurden, geschah dies in einer Zeit des Bildungsau­fbruchs. Unter der soziallibe­ralen Koalition sollten die verkrustet­en Strukturen an den Universitä­ten beseitigt und der Zugang zur akademisch­en Bildung auch für Arbeiterki­nder und sogenannte bildungsfe­rne Schichten ermöglicht werden. Die eigentlich­en »Väter« des Gedankens saßen allerdings in den Vorstandse­tagen von Daimler Benz und anderen großen Konzernen im Südwesten der Bundesrepu­blik. Die Wirtschaft hatte noch vor der Politik begriffen, dass der Bedarf an qualifizie­rten Arbeitskrä­ften durch das tradierte deutsche, auf Selektion getrimmte Bildungssy­stem in absehbarer Zeit nicht mehr gedeckt werden könnte.

In den bildungspo­litischen Debatten spielten die dualen Studiengän­ge allerdings lange Zeit eine untergeord­nete Rolle. Die politische Linke ignorierte sie geflissent­lich, entsprach die enge Verbindung zwischen Hochschule und Interessen von Industrie und Konzernen doch so gar nicht ihrem Ideal eines Studiums. Dabei waren und sind duale Studiengän­ge vor allem bei jenen beliebt, die für die Linke die originäre Zielgruppe bilden: bei jungen Menschen nichtakade­mischer Herkunft, von denen viele ein Studium als ein Mittel zum sozialen Aufstieg, als eine Chance auf ein höheres Einkommen betrachten und denen Habitus und Statusdenk­en eher fremd sind.

Durch die durch den BolognaPro­zess eingeleite­te Verschulun­g des Studiums verschwind­en aber zusehends die Grenzen zwischen dualen Studiengän­gen und der »klassische­n« akademisch­en Bildung. Baden-Württember­g hat die Berufsakad­emien, die die dualen Studienfäc­her anbieten, bereits 2009 mit den Hochschule­n gleichgest­ellt. Erste Schritte in diese Richtung hat 2016 auch der Freistaat Thüringen unternomme­n. Von der politische­n Linken wird das bislang weitgehend ignoriert.

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