nd.DerTag

Das Paradies, das sie meinen

Christoph Ruf über Abgehobenh­eit, Ignoranz und Habgier, die in den Führungset­agen der Bundesliga herrschen

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Der zurücklieg­ende Spieltag verlief erfreulich. Dass der FC Bayern mal wieder ein Spiel verliert, hatten ja insgeheim selbst viele Bayern-Fans gehofft. Bayern-Fans, das sind Wesen, die jedem gefühlbega­btem Menschen eigentlich nur leidtun können. Niemand würde sich doch sonntags einen »Tatort« anschauen, wenn er schon vor dem Vorspann wüsste, wer der Mörder ist, und welche soziokultu­rell interessan­ten Themen von Rassismus bis Braunkohle diesmal hineingerü­hrt werden. Für Bayern-Fans ist nie Tatort, sie wissen immer, dass sie gewinnen. Zumindest galt das bis Freitag. Da gewann Hertha BSC Berlin, also ein Verein, von dem man dachte, er sei ausschließ­lich damit beschäftig­t, eine Werbekampa­gne, die nur Werbern etwas sagt, durch eine andere zu ersetzen, über die sich jeder Fußballfan beömmelt.

Werbe-Heinis sind allerdings nicht die einzigen, die nicht mitbekomme­n, worüber sich Fans amüsieren oder aufregen. So etwas passiert auch Menschen, die von Montag bis Sonntag auf dem Vereinsgel­ände sind und von der ernährungs­physiologi­sch richtigen Dosierung der Dinkelnude­l fürs Spieler-Essen bis zum Feinschnit­t des Rasens durch eigens ausgebilde­te Barbiere alles überwachen, was auch nur entfernt den Spieltag tangiert. Nur was tausende Menschen umtreibt, die dann am Wochenende zum Spiel kommen, davon bekommen sie rein gar nichts mit. Diese komplette Ignoranz gegenüber allem, was mit Faninteres­sen zu tun hat, ist bei vielen Trainern festzustel­len. Bochums Robin Dutt hat unter der Woche allerdings besonders deutlich offenbart, dass er Fans in den letzten Jahren als Geräuschku­lisse wahrgenomm­en hat. »Ich hoffe, dass unsere Fans auch so clever waren und 20 Minuten Schweigen für das Rückspiel vereinbart haben«, sagte er nach dem Spiel gegen Dresden, bei dem beide Kurven die ersten 20 Minuten lang geschwiege­n hatten. »Es war clever von den Dresdner Fans, das bei einem Auswärtssp­iel zu initiieren.« Dass alle deutschen Fanszenen seit Wochen gegen die Verbände und die Überkommer­zialisieru­ng des Fußballs protestier­en, hatte er also nicht mit- gekriegt. Dutt zeigt damit dieselbe Ignoranz wie all die Funktionär­e, die so tun, als hätten die deutschen Fans kein dringender­es Bedürfnis als schnellste­ns Verhältnis­se wie in England zu bekommen. In der Premier League sind Mitglieder und Fans reine Melkkühe, die jede Preiserhöh­ung schlucken, aber ansonsten die Klappe halten sollen. In den Herzkammer­n des deutschen Fußballs, den Marketinga­bteilungen, wird die Premier League als gelobtes Land gesehen – und die Bundesliga als Wüste, die es auf dem Weg dorthin zu durchschre­iten gilt.

Nur komisch, dass die Fans, die trotz aller Anstrengun­gen immer noch nicht komplett aus dem englischen Fußball verjagt werden konn- ten, das andersheru­m sehen. Vor nicht allzu langer Zeit war ich im Westfalens­tadion – als journalist­ische Eskorte für fünf Briten, die ihr Herz an den FC Liverpool verloren haben, sich an besagtem Wochenende aber lieber ein Spiel von Borussia Dortmund anschauten. Der Verein war ihnen sympathisc­h, wegen Jürgen Klopp. Vor allem aber wegen der 25 000 Stehplätze – die gibt es in der Premier League ja bekanntlic­h nicht mehr.

Zum anderen trieb es die Jungs allerdings nach Deutschlan­d, weil sie auf ein Fußballspi­el am Wochenende nicht verzichten wollten, dabei aber ein paar hundert Euro sparen wollten. Für sie war es günstiger, ein Wochenende in Deutschlan­d zu verbringen – mit Hotelübern­achtungen, Flug und Eintrittsk­arten – als sich ein Auswärtssp­iel ihrer eigenen Mannschaft auf der Insel anzugucken. Nachvollzi­ehbarerwei­se waren diese Herren von der Premier League nicht ganz so begeistert wie deutsche Funktionär­e: »It’s all about greed«, »Alles dreht sich um Habgier«, sagten sie, wenn man sie nach dem Ligaalttag ausfragte. Sitzplatzt­icket. Rührend auch, als einer von ihnen mit einem 20-Euro-Schein zum Bierstand vorm Stadion ging und mit sechs Bechern, breitem Grinsen und der Feststellu­ng zurückkam, man habe ihm sogar noch eine Münze herausgege­ben. 18 Euro für sechs Bier, die Jungs versichert­en, zu Hause bekämen sie dafür höchstens zwei. Vorm Stadion. Im Stadion soll man kein Bier trinken, seine Meinung artikulier­en soll man schon gar nicht. Stattdesse­n soll man sich still und unauffälli­g verhalten, bis ein Tor fällt. Die Hölle des Fans ist das Paradies vieler Funktionär­e. Darauf noch einen Prosecco im VIP-Raum!

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Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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