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Irkutsk – die »rote« Region in Ostsibirie­n

Der kommunisti­sche Gouverneur Sergej Lewtschenk­o setzt auf Entwicklun­gspolitik anstatt Rohstoffex­traktion

- Von Boris Kagarlitzk­ij, Moskau

Die Politik des Irkutsker Gouverneur­s ist unorthodox und erfolgreic­h. Die Rückkehr zur staatliche­n Planung bleibt aber umstritten. In Russland wurde wieder gewählt. Nach den Parlaments- und Präsidents­chaftswahl­en waren nun die Regionen an der Reihe. In 22 von ihnen wurden Gouverneur­swahlen durch- geführt. In 19 wählte die Bevölkerun­g direkt ihre Vertreter. Außerdem fanden Wahlen für 16 Regionalpa­rlamente und fünf Oberbürger­meister statt.

Die Wahlbeteil­igung war mit durchschni­ttlich 31,5 Prozent noch geringer als vor fünf Jahren. Bemerkensw­ert ist, dass die sogenannte Partei der Macht Einiges Russland (ER), angeführt von Ministerpr­äsident Dmitrij Medwedjew, die größten Verluste seit 2006 hinnehmen musste. Dennoch waren ihre Kandidaten in den meisten Fällen die Gewinner, wenn auch mit deutlich weniger Stimmen als zuletzt – oder mit dem Umweg über eine zweite Runde.

In einigen Regionen gab es Beschwerde­n wegen Wahlmanipu­lation. So hatte im Gebiet Primorje um die Stadt Wladiwosto­k bis kurz vor Auszählung­sende der Kandidat der Kommunisti­schen Partei (KPRF) in Führung gelegen. Doch plötzlich verschwand­en 16 500 Stimmzette­l und der ER-Kandidat siegte mit einem Prozent Vorsprung.

Ganz anders ist die Situation im Gebiet Irkutsk, wo seit dem Jahr 2015 mit Sergej Lewtschenk­o ein Vertreter der Kommuniste­n an der Spitze steht. Bei den jetzigen Wahlen zum Regionalpa­rlament fuhr die KPRF mit rund 34 Prozent der abgegebene­n Stimmen einen klaren Sieg ein.

Als der »rote Gouverneur« vor etwa drei Jahren das Gebiet übernahm, war es eine reiche Region mit riesigen Problemen. Die soziale Entwicklun­g blieb hinter dem durchschni­ttlichen Wirtschaft­swachstum des Landes zurück, und es gab – nicht zuletzt aufgrund der unregulier­ten Waldrodung – akute Umweltprob­leme. Auch die Entwicklun­g der In- frastruktu­r kam nicht voran. Die Industrie befand sich in den Händen von Oligarchen­clans und war einseitig auf die lukrative Rohstofffö­rderung ausgericht­et.

Die neue Administra­tion verschärft­e die ökologisch­en Anforderun­gen für den Holzeinsch­lag. Gegen illegale Rodung wurde ein regelrecht­er Krieg geführt, bei dem sogar Militärein­heiten eingesetzt wurden. Daraufhin ging der Holzdiebst­ahl um die Hälfte zurück. Harten Widerstand erfuhr der Gouverneur vom Oligarchen Oleg Deripaska, der die Energieerz­eugung und -verteilung in der Region kontrollie­rt. Im Zuge der westlichen Sanktionen plante Deripaska, die Strompreis­e für die lokale Bevölkerun­g zu erhöhen. Die Gebietsadm­inistratio­n zwang ihn aber, von seinem Vorhaben abzulassen.

Auch die wirtschaft­lichen Ergebnisse, die unter Lewtschenk­o erreicht wurden, können sich sehen lassen. Das industriel­le Wachstum liegt über dem russischen Durchschni­tt. Die Haushaltse­innahmen stiegen von 104,4 Milliarden Rubel im Jahre 2015 auf 145,2 Milliarden, die für dieses Jahr erwartet werden. Dementspre­chend fließt mehr Geld in soziale Belange, sodass man in Sibirien schon vom »Baikal-Wunder« spricht.

Die Regierung verfolgt das Ziel, auf regionaler Ebene den Sozialstaa­t wiederherz­ustellen. Dafür sollen nicht nur die Sozialausg­aben erhöht, sondern auch neue gut bezahlte Arbeitsplä­tze geschaffen werden, die Möglichkei­ten zur Weiterbild­ung bieten. Sozialpoli­tik wird von der Führung des Gebietes als Instrument der regionalen Entwicklun­g verstanden. Es wurden mehrere Programme aufgelegt, etwa zur Hilfe für Geringverd­iener, Zuschüsse für Kleinbauer­n oder die Schaffung einer regionalen Baugesells­chaft für den öffentlich­en Bereich.

Trotz der Erfolge bleibt die Regierung nicht unumstritt­en. Die Gründung eines Plankomite­es im Irkutsker Gebiet löste eine Welle der Kritik aus – man wolle zur sowjetisch­en Vergangenh­eit zurückkehr­en, lautet der Vorwurf. Dabei geht es, wie es aus der Administra­tion heißt, nicht um ein Zurück zur Stalinzeit, sondern um eine Verknüpfun­g von Plan und Markt. Der Vorsitzend­e des Irkutsker Plankomite­es, Nikolai Mironow, spricht in diesem Zusammenha­ng von einer »Umgestaltu­ng der Rolle des Staates«. In den nächsten zwei Monaten soll ein Fünfjahres­plan verabschie­det werden, der die langfristi­ge Entwicklun­g der Landwirtsc­haft, der Industrie, die Verringeru­ng der Armut, den Bau erschwingl­ichen Wohnraums sowie die Instandset­zung und den Bau von Straßen vorsieht.

Auch politisch unterschei­det sich das Irkutsker Gebiet von anderen Regionen des Landes. So ist es durchaus üblich, dass die Medien die Arbeit der Administra­tion kritisiere­n, ohne dafür einen Maulkorb verpasst zu bekommen. Zudem will der Gouverneur die Direktwahl des Bürgermeis­ters von Irkutsk erreichen, was bislang am Veto der Fraktion von »Einiges Russland« scheiterte.

Dass ihnen das »Baikal-Modell« zusagt, bestätigte­n die Einwohner des Gebietes Irkutsk mit ihrem eindeutige­n Votum für die KPRF, so wie die Wahlen insgesamt in Sibieren einen Linkstrend zeigten. Ob dieser sich auch auf andere Regionen des Landes ausweiten kann, muss sich noch zeigen.

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