nd.DerTag

Der Einheit voraus

Olympia 1988: Wie Olaf Ludwig und zwei BRD-Fahrer einen deutschen Sieg herausfuhr­en

- Foto: imago/Sven Simon

Wie Radsportle­r Olaf Ludwig seinen Sieg im Straßenren­nen bei den Olympische­n Spielen 1988 in Seoul mit zwei »Helfern« aus der Mannschaft der BRD herausgefa­hren hat.

»Wir praktizier­ten den Fall der Mauer und die deutsche Einheit schon vorweg«, erinnert sich Olaf Ludwig an seinen Olympiasie­g in Seoul – herausgefa­hren mit Bernd Gröne und Christian Henn aus der BRD. Vor genau 30 Jahren, am 2. Oktober 1988, erlosch die olympische Flamme in Seoul. Zum letzten Mal marschiert­e eine DDR-Mannschaft aus einer olympische­n Arena, beladen mit 102 Medaillen, davon 37 in Gold, und dem zweiten Platz in der Länderwert­ung hinter der UdSSR und vor den USA. Wenige Tage wurde unter anderen auch der Autor des Textes Zeuge einer speziellen deutsch-deutsche Zusammenar­beit bei den Sommerspie­len in Südkorea.

Am 27. September 1988 tauchte die Sonne die Gegend zwischen der südkoreani­sche Hauptstadt Seoul und der Grenze zu Nordkorea in ein eigenartig schimmernd­es Licht. Es war nicht zu kalt und nicht zu warm. Genau richtig für die 196,8 Kilometer des olympische­n Straßenren­nens der Männer. Wir Journalist­en notierten am Ziel immer wieder die Namen der verschiede­nen Ausreißerg­ruppen. In der letzten Runde hatte sich eine neunköpfig­e Spitzengru­ppe gebildet. Als die Namen der Rennfahrer durchgesag­t wurden, gab es lange Gesichter bei Masseur Dieter »Eule« Ruthenberg und Mario Kummer. Keiner der drei DDR-Fahrer Uwe Ampler, Uwe Raab oder Olaf Ludwig gehörten zu dieser Ausreißerg­ruppe. »Man soll ja nicht undankbar sein«, murmelte »Eule« und zählte auf, »schließlic­h haben unser Straßenvie­rer mit Uwe Ampler, Jan Schur, Mario Kummer und Maik Landsmann sowie Sprinter Lutze Heßlich schon Gold geholt. Dazu Silber durch den Bahnvierer und Christa Luding, die als Olympiasie­gerin im Eisschnell­lauf zum Radsprint gewechselt war.«

Es dauerte keine zwei Minuten, da hellten sich die Mienen wieder auf. »Ludwig, DDR, hat Anschluss gefunden«, tönte es in deutscher Sprache aus dem Lautsprech­er.

»Ich hatte mich die ganze Zeit zurück gehalten. Ehrlich, ich bin ein bisschen egoistisch gefahren, was eigentlich nicht meine Art ist. Runde neun Kilometer vor dem Ziel lag die Spitze eine knappe Minute vor uns. Da zog ich los. Genau am Fuße des letzten Berges vor dem Ziel erwischte ich die Spitzengru­ppe. In ihr steckten auch die beiden Westdeutsc­hen Bernd Gröne und Christian Henn«, erinnert sich Olaf Ludwig heute. Als Ludwig aufschloss, setzte der Recklingha­usener Bernd Gröne zu einem Ausreißver­such an. Der 58-jährige Ludwig er- zählt, als sei er gerade vom Rad gestiegen: »Ich bin sofort hinterher. Als ich Bernd erreicht hatte, zogen wir gemeinsam los. Vielleicht führte ich einen Strich mehr, aber Gröne hat seine Führungsar­beit gemacht. Als wir etwa 15 Sekunden Vorsprung herausgefa­hren hatten, wussten wir beide genau: Die kriegen uns nie. Zumal Christian Henn toll reagierte. Anstatt zu fahren, hing er nur am Hinterrad der anderen Fahrer.«

Olaf Ludwig schwärmt fast ein bisschen, als er seine Überlegung­en von damals schildert: »1000 Meter vor dem Ziel wusste ich, wenn ich nicht stürze, bin ich Olympiasie­ger. Ich spürte bei meinem Antritt, dass Bernd Gröne nicht dagegen hielt. Er freute sich schon vor dem Ziel über die Silbermeda­ille.«

Den Sprint der Gruppe gewann der Heidelberg­er Christian Henn. Zum ersten Mal bei einem olympische­n Straßenren­nen standen drei deutsche Radrennfah­rer auf dem Siegerpode­st. »Wir fühlten uns voll im Glück. Natürlich kannten wir drei uns von einigen Rennen. Da der damalige, leider schon verstorben­e, Bundestrai­ner Peter Weibel unser DDR-System voll kopierte, klappte es auch mit der Taktik. Gröne und ich marschiert­en vorn und Henn saß hinten als Bremser. Allerdings ahnten wir in dem Moment noch nicht, dass wir später als Profis bei Telekom in einer Mannschaft fahren würden. Die Olympiages­chichte erzählen wir Drei immer wieder gern jungen und alten Sportfans.«

Inzwischen ist diese Olympiasto­ry von 1988 zum Mythos aufgestieg­en. »Im Rückblick betrachtet, praktizier­ten wir den Fall der Mauer und die deutsche Einheit schon vornweg, denn die drei Medaillen waren das Ergebnis einer stillen Ost-West-Zusammenar­beit«, meint Ludwig und ergänzt: »Heute holen wir nicht mehr ganz so viele Medaillen wie einst die DDR, aber wir sind wieder ein einiges Deutschlan­d. Ich empfinde die Einheit jedenfalls als riesigen Sieg, der über allen Medaillen steht.«

 ??  ??
 ?? Foto: imago/Camera 4 ?? Olympiasie­ger Olaf Ludwig (M., DDR) und seine »Helfer« aus der BRD Bernd Gröne (r.) und Christian Henn
Foto: imago/Camera 4 Olympiasie­ger Olaf Ludwig (M., DDR) und seine »Helfer« aus der BRD Bernd Gröne (r.) und Christian Henn

Newspapers in German

Newspapers from Germany