nd.DerTag

Schwierige Einheit

Kathrin Gerlof findet beim Nachdenken über die deutsche Einheit: Das ist eine ganz schwierige Beziehungs­kiste

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Komplizier­te Beziehungs­kisten und ungleiche Gleichwert­igkeit.

... du bleibst hier!« Es ist natürlich eine Steilvorla­ge, wie sie Hertha am letzten Freitag gleich mehrfach bekam, als sie die Bayern aus dem Oktoberfes­t taumel fegte, heute eine Kolumne im Blatt zu haben. Und »Hase, du bleibst hier!« scheint der möglicherw­eise klügste Satz gewesen zu sein, der in diesem Einheitsja­hr gesprochen wurde. Gewiss, die Umstände waren nicht die besten, als Hase in Chemnitz mal ein bisschen mitmischen wollte und von seiner Frau/Freundin/Schwester zurückgepf­iffen wurde, weil die möglicherw­eise ahnte, dass es Ärger geben würde, gebärdete sich Hase wie ein asozialer Löwe (wir sahen im Osten schon ganz andre Tiere hausen und machten ihnen doch den blutigen Garaus).

Hätte in den vergangene­n Jahren und inzwischen fast drei Jahrzehnte­n der eine oder andere Ostkerl seiner Ostbraut zugerufen »Hase, du bleibst hier!«, sähe es in Dunkelland, wie die neuen und inzwischen in die Jahre gekommenen Bundesländ­er gern genannt werden, nicht so finster aus. Ein eklatanter Männerüber­schuss macht noch aus jeder schönen Landschaft Gegend, und irgendwann hört es dann auch auf zu blühen. Das hat Kohl nicht gewusst, Merkel weiß es vielleicht, aber die ist ja gerade selbst gescheiter­t mit »Hase, du bleibst hier!« und musste Volker Kauder ziehen lassen, was dazu führt, dass zum gefühlt einhundert­vierundzwa­nzig sten Mal das Ende der Ära Angela herbei geschriebe­n wird. Während Seehofer mehr Glück hatte, als er Maaßen zuraunte »Du bleibst hier, Hase!«. Das hat geklappt, was wieder mal zeigt, dass es eben darauf ankommt, ob ein Kerl oder eine Frau was sagt, weniger auf das Maß der Intelligen­z und schon gar nicht auf Anstand.

In Berlin manifestie­rt sich der Tag der Deutschen Einheit unter anderem am Alexanderp­latz in einem rauschende­n Oktoberfes­t, bei dem es ohne Pause atemlos durch die Nacht schallt, selbst am helllichte­n Tag, und an den Buden statt Weihnachts­deko weißblaue Fahnen wehen. Grillwalke­r osteuropäi­scher Herkunft bieten im Rahmen moderner Ausbeutung Bratwurst thüringisc­her Art an, aber es gibt auch bayerische­s Nackenstea­k und Blasmusik.

Wichtiger als Party ist jedoch der jährliche Bericht der Bundesregi­erung, die sich einen eigenen Beauftragt­en für die FNBL (fünf neue Bundesländ­er) leistet und nicht müde wird zu verkünden, dass der Os- ten Deutschlan­ds wirtschaft­lich aufholt. Das tut er jetzt seit 28 Jahren und man fragt sich, wann endlich überholt wird oder ob wir wirklich – wider alle Erfahrunge­n – erst einholen müssen. Wir liegen ja nicht in allem zurück, nur eben bei Lohnniveau und Wirtschaft­skraft. Die ostdeutsch­e Wirtschaft scheint den Satz »Hase, du bleibst hier!« zu ernst zu nehmen und exportiert einfach nicht ausreichen­d.

Dabei gründet der gesamte schöne Reichtum der großen BRD doch genau darauf: dass wir exportiere­n, andere Wirtschaft­en damit in die Schranken verweisen und uns von dem veritablen Überschuss ein feines Leben auf Kosten anderer leisten. Nur der Osten nicht, der dumme Hase. Stattdesse­n: ein immer noch großer Strukturun­terschied zwischen Ost und West aufgrund mangelnder Internatio­nalisierun­g (Zitat Bundesregi­erung), zu der sich niedrigere Produktivi­tät und fehlende Spitzengeh­älter gesellen. Eine toxische Mischung ist das. Das uns jetzt auch noch der Internatio­nalismus abhandenge­kommen ist, macht aus einer traurigen Angelegenh­eit ein echtes Problem.

Unser Ostbeauftr­agter Christian Hirte (CDU) ärgert sich trotzdem, dass der Osten – also sein Auftrag – immer nur als Problem wahrgenomm­en wird. Aber es ist ja auch nicht schön, wenn hier so viele Hasen rumlaufen, die denken, es sei legitim, Hasen anderer Nationalit­ät aus dem Revier vertreiben zu müssen. Wenn wir so weitermach­en, landen wir alle bei der Müllabfuhr. Und bestätigen, was man sowieso schon immer über uns wusste.

Morgen aber gehen wir erst mal alle feiern. Es ist unser Tag. Morgen sind wir alle gleich. Vor Gott sowieso, aber auch vor dem Vaterland.

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Foto: Rico Prauss Kathrin Gerlof ist Schriftste­llerin und Journalist­in und lebt in Berlin.

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