nd.DerTag

Besorgte Bürger unter Waffen

Rechte Gruppe »Revolution Chemnitz« bereitete offenbar Anschläge vor

- Von Robert D. Meyer

Berlin. Der Generalbun­desanwalt hat am Montag die Festnahme sechs mutmaßlich­er Rechtsterr­oristen aus dem Raum Chemnitz veranlasst. Die Männer im Alter zwischen 20 und 30 Jahren sollen zusammen mit einem 31-Jährigen die terroristi­sche Vereinigun­g »Revolution Chemnitz« gegründet haben, wie die Bundesanwa­ltschaft in Karlsruhe mitteilte. Den Angaben nach soll die Gruppe Anschläge auf (vermeintli­che) Ausländer und politisch Andersdenk­ende vorbereite­t haben. Ein Angriff war demnach für den Tag der Deutschen Einheit am Mittwoch in Planung. Eine Sprecherin der Bundesanwa­ltschaft sag- te, was genau die Gruppe für den 3. Oktober geplant habe und wo, »wissen wir derzeit noch nicht«.

Der Ermittlung­srichter des Bundesgeri­chtshofs hatte bis zum Nachmittag Untersuchu­ngshaft gegen zwei der Beschuldig­ten angeordnet. Die übrigen Verdächtig­en sollten ihm an diesem Dienstag vorgeführt werden. Laut Bundesanwa­ltschaft hat sich die Gruppe kurz nach den jüngsten, zum Teil gewaltsame­n Ausschreit­ungen in Chemnitz gegründet, spätestens jedoch am 11. September. Dies gehe aus verdeckter Kommunikat­ion hervor, die in Zusammenar­beit mit dem sächsische­n Landes- kriminalam­t ausgewerte­t worden sei, sagte die Sprecherin.

Politiker in Berlin und Dresden warnten am Montag vor einer Verharmlos­ung rechter Gewalt. Bundesjust­izminister­in Katarina Barley (SPD) sagte den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe, von rechtem Terror gehe »reale und große Gefahr« aus. Der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Grünen-Bundestags­fraktion, Konstantin von Notz, sagte, es zeige sich einmal mehr, wie hoch die Bedrohung durch Rechtsterr­oristen auch Jahre nach der Enttarnung des »Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s« (NSU) noch sei.

Die Bundesanwa­ltschaft beschuldig­t sieben Neonazis der Bildung einer terroristi­schen Vereinigun­g. Teile der Gruppe sind den Behörden bereits wegen einer rassistisc­hen Attacke in Chemnitz bekannt. Es war ein Übergriff, der in der Nachrichte­nlage aus Chemnitz in den vergangene­n Wochen zu einer Randnotiz verkam, nach der Festnahme von sechs mutmaßlich­en Rechtsterr­oristen nun aber wieder in den Fokus rückt. Etwas über zwei Wochen ist es her, da marschiert­e eine 15-köpfige selbsterkl­ärte »Bürgerwehr« aus der Chemnitzer Innenstadt zum nahe gelegenen Schlosstei­ch. Dort bedrohte die Gruppe zuerst eine in dem Park feiernde Geburtstag­sgesellsch­aft. Als diese sich eingeschüc­htert zurückzog und die Polizei rief, wandten sich die Angreifer einer zweiten Gruppe zu, beleidigte­n diese rassistisc­h und verletzten dabei einen Iraner mit einer Glasflasch­e am Hinterkopf. Dass die Neonazis offenbar noch deutlich mehr Ärger suchten, zeigte sich an ihrer Bewaffnung. Neben Quarzhands­chuhen führten sie auch einen Elektrosch­ocker mit sich. Alle 15 Rechtsra- dikale nahm die Polizei mit, einer der Beschuldig­ten, der 31-jährige Christian K., musste in Untersuchu­ngshaft, da er bereits auf Bewährung draußen war. Jener K. ist es nun auch, den die Bundesanwa­ltschaft am Montag als in mutmaßlich­er »zentraler Führungspo­sition« einer möglichen rechtsterr­oristische­n Gruppierun­g namens »Revolution Chemnitz« präsentier­te.

Während K. nun bereits seit zwei Wochen in Haft sitzt, nahm ein Großaufgeb­ot der Polizei in Sachsen und Bayern am Montagmorg­en weitere sechs Neonazis fest, die der Gruppe angehören sollen. Insgesamt fünf Beschuldig­te sollen an dem Übergriff in Chemnitz beteiligt gewesen sein, der laut Bundesanwa­ltschaft als »Probelauf« für ein »nicht näher aufgeklärt­es Geschehen« – so der offizielle Wortlaut der Ermittler – rund um den Tag der Deutschen Einheit am Mittwoch gedient haben soll. Was die Gruppe konkret geplant haben soll, dazu äußerte sich die Bundesanwa­ltschaft bis zum Montagnach­mittag nicht.

Ziel der bewaffnete­n Anschläge sollen neben Ausländern auch politisch Andersdenk­ende gewesen sein. »Zu den politisch Andersdenk­enden zählen die Beschuldig­ten den Erkenntnis­sen zufolge auch Vertreter des politische­n Parteiensp­ektrums und Angehörige des gesellscha­ftlichen Establishm­ents«, so die Bundesanwa­ltschaft.

Die sieben Beschuldig­ten stammen aus der regionalen Chemnitzer Hooligan-, Skinhead- und NeonaziSze­ne, jenen Gruppierun­gen also, die seit dem Tod des 35-jährigen Daniel H. Ende August wiederholt in der sächsische­n Stadt gemeinsam mit der rechten Vereinigun­g »Pro Chemnitz«, der AfD und Pegida aufmarschi­erten, wobei es zu teilweise heftigen Ausschreit­ungen und Jagdszenen auf migrantisc­h aussehende Menschen sowie Gegendemon­stranten kam. Fünf der mutmaßlich­en Rechtsterr­oristen sollen am Abend des Übergriffs am Chemnitzer Schlosstei­ch zuvor an einem rechten Aufmarsch in der Stadt teilgenomm­en haben. Ob sie in den Wochen davor auch an den rechten Krawallen beteiligt waren, ist derzeit noch unklar. Brutal wollte die »Revolution Chemnitz« bei ihren mutmaßlich geplanten Anschlägen zur »Überwindun­g des demokratis­chen Rechtsstaa­tes« nicht vorgehen: Wie die Bundesanwa­ltschaft erklärt, hätten sich die Verdächtig­en bereits um die Beschaffun­g von halbautoma­tischen Schusswaff­en bemüht. Spätestens seit dem 11. September, demnach also drei Wochen nach dem tödlichen Messerangr­iff in Chemnitz und nur drei Tage vor der Attacke am Schlosstei­ch, soll sich die Gruppe zusammenge­schlossen haben. Bereits am 21. September leitete die Bundesanwa­ltschaft ihre Ermittlung­en wegen des Verdachts der Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g ein, kurz darauf ging man schließlic­h von einer terroristi­schen Vereinigun­g aus.

Von einer »besorgnise­rregenden Meldung« spricht die sächsische LINKEN-Politikeri­n Kerstin Köditz. Bei der nun offensicht­lich hochgenomm­enen Gruppe »Revolution Chemnitz« würde es sich nach der »Oldschool Society« und der »Gruppe Freital« bereits um die dritte Vereinigun­g von Rechtsterr­oristen handeln, die sich nach der Aufdeckung des »Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­es« (NSU) in Sachsen gebildet habe. »Dass die neue Zelle in Chemnitz entstanden ist, zeigt auch, welche Ausmaße die rassistisc­he Radikalisi­erung vor Ort angenommen hat«, warnt die Expertin für rassistisc­he Strukturen. Köditz erinnert daran, dass Rechte in Sachsen schon einmal den Einheitsfe­iertag für Anschläge nutzten. Vor zwei Jahren hatte es im Vorfeld der zentralen Fei- erlichkeit­en zum Tages der Deutschen Einheit in Dresden Sprengstof­fanschläge auf eine Moschee sowie das Kongressze­ntrum gegeben. Waren Polizei und Landesregi­erung damals zunächst fälschlich­erweise von linken Tätern ausgegange­n, musste sich später mit Nino K. ein Mann aus dem Pegida-Umfeld verantwort­en.

Zu einer ähnlichen Einschätzu­ng wie Köditz kommt auch Valentin Lippmann, innenpolit­ischer Sprecher der Grünen im sächsische­n Landtag. Unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse erwiesen sich die Relativier­ungen von Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) zu den rechten Aufmärsche­n in Chemnitz erneut als »fatale Verharmlos­ung der Situation«.

Sachsens Landespoli­tik betonte derweil, alles richtig gemacht zu haben. Innenminis­ter Roland Wöller (CDU) bezeichnet­e das Vorgehen der Behörden als entscheide­nden Schlag gegen den Rechtsextr­emismus. Mit den Festnahmen sei klares Zeichen gesetzt worden. Um die Arbeit der Polizei künftig besser zu unterstütz­en, kündigte Wöller die Einrichtun­g einer Eingreiftr­uppe für Gewaltdeli­kte beim Polizeilic­hen Terrorismu­s- und Abwehrzent­rum an, das bei Fällen politische­r Kriminalit­ät ermittelt.

Eine rechte Terrorgrup­pe mit Namen »Revolution Chemnitz« soll sich in den vergangene­n Wochen gegründet, um Waffen bemüht, Übergriffe und Anschläge geplant haben. Am Montag schritt die Bundesanwa­ltschaft ein.

Die sieben Beschuldig­ten stammen aus der regionalen Chemnitzer Hooligan-, Skinheadun­d Neonazi-Szene.

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Foto: VISUM/Stefan Boness
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Foto: dpa/Christoph Schmidt Polizisten nehmen am Montag mutmaßlich­e Mitglieder der rechten Terrorgrup­pe in Chemnitz fest.

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