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Das Szenario ist bekannt

Die ungenügend­e Aufarbeitu­ng des »einzigarti­gen« NSU-Phänomens rächt sich gerade in Sachsen

- Von René Heilig

Nach der »Oldschool Society« und der »Gruppe Freital« wurde nun offenbar eine dritte, in Sachsen beheimatet­e rechtsterr­oristische Gruppe ausgehoben. Parallelen zum NSU sind nicht weit hergeholt. Die Terrorgrup­pierung Nationalso­zialistisc­her Untergrund (NSU) sei nicht entdeckt worden, weil es sich um ein einzigarti­ges Phänomen gehandelt hat. So redeten sich Geheimdien­stler, Polizisten und Politiker heraus. Das Argument taugte nie, nun jedoch ist es ganz und gar ungeeignet, um die Gefahr für die Demokratie klein und sich aus der Verantwort­ung zu reden.

Vergleicht man die aktuelle Situation mit jener Zeit, in der der NSU entstand, stößt man auf erschrecke­n- de Parallelen. Es ging und geht den Akteuren nicht allein um den Hass auf alles aus- wie inländisch »Fremde«. Damals wie heute wollen ideologisc­h gefestigte rechtsextr­eme Terrorgrup­pierungen durch Gewalt einen Kontrollve­rlust des Staates provoziere­n und damit den Zusammenbr­uch der rechtsstaa­tlichen Ordnung herbeiführ­en. Man agiert in der Hoffnung, eine Aufstandss­ituation zu erzeugen.

Die beginnt mit allgemeine­r, gut gesteuerte­r Empörung. Man will Motor sein, glaubt sich im Bunde mit der Masse der Bevölkerun­g, die nur zu ängstlich oder zu träge sei, um zu ihren völkischen Grundlagen zu stehen. In den 1990er Jahren, als der NSU sich bildete, wütete der Mob in RostockLic­htenhagen oder Hoyerswerd­a. Unter dem Applaus von Bürgern, die man damals in den Medien zaghaft »die Umstehende­n« nannte. Angesichts der Pogrome wichen Behörden und verantwort­liche Politiker zurück. Sie hebelten das im Grundgeset­z verankerte Recht auf Asyl quasi aus. Der Mob bestimmte das mediale Bild des Landes in der Welt. Motto: Deutschlan­d über alles! Die Rechtsextr­emisten erlebten so, dass gewalttäti­g ausgelebte­r Rassismus Erfolg bringt. Sie bekamen und nutzten die Chance zur besseren Vernetzung. Die neuen Möglichkei­ten sozialer Medien lassen sie territoria­l hochmobil und organisato­risch flexibel walten.

An die Stelle von Rostock und Hoyerswerd­a sind heute Chemnitz und Freital getreten. Die dortigen pogromarti­gen Krawalle sind neuerliche, hochmotivi­erende Erfolge. Im Unterschie­d zu den Anfängen der »Bewegung« stehen »besorgte Bürger« nicht nur dabei, sondern reihen sich ein in »Straße-frei-Aufzüge«.

Die erschrecke­nden Bilder aus Chemnitz zeigen jedoch nicht alles. So sollte man sich nicht von dem waffenlose­n Auftreten der Rechtsextr­emisten, zu denen auch Unterstütz­er des NSU gehören, täuschen lassen. Die terrorgene­igte rechtsextr­emistische Szene in Deutschlan­d hat sich gewiss neu aufgestell­t, das Konzept der Gewalt jedoch gleicht dem der 1990er Jahre. Der von »Combat 18« vertretene führerlose Widerstand ist wie zu Zeiten, in denen die NSU-Zelle von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und anderen mordete, erprobt und probat. Auch die heutigen Akteure haben sich Waffen und Material zum Töten verschafft, sie trainieren wie ehedem für den aus ihrer Sicht »rassischen Endsieg«.

Anders als zu NSU-Zeiten hat man nun jedoch eine verbale und legale, weil demokratis­ch legitimier­te Ver- tretung im Rücken. Man baut auf Bewegungen wie Pegida und Parteien wie »Pro Chemnitz«, den III. Weg sowie auf immer größer werdende Teile der AfD. Bedenklich ist auch, dass Teile der Polizei, der Justiz und der Verfassung­sschutz nahezu als Ganzes allzu wenig aus ihrem NSU-Versagen gelernt haben. Der rechtsextr­emistische Virus scheint inzwischen weit in Behörden und – siehe Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen – in deren Chefetagen vorgedrung­en zu sein.

So richtig es ist, den Aufkleber »Nazi« nicht jedem aufzupappe­n, der in der Masse mitschwimm­t, so falsch ist es, wenn insbesonde­re Wahlpoliti­ker notwendige Klarheit scheuen. Die Angst vor einem »Imageschad­en« war stets ein Warnruf, mit dem verhindert wurde, dass die Wurzeln des NSU ausgegrabe­n und gekappt werden.

An die Stelle von Rostock und Hoyerswerd­a sind heute Chemnitz und Freital getreten.

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