Weitgehend frei, aber ...
Meinungs- und Pressefreiheit spielt sich in Georgien vor allem im Internet ab. Engagierten Journalistinnen und Journalisten nötigt das viel Engagement ab
Georgien ist das Partnerland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. Der Zustand der Literatur in dem kleinen südkaukasischen Land ist hervorragend, der der Medien dagegen bemitleidenswert. Auf ihre Auftritte in Deutschland anlässlich der Frankfurter Buchmesse freut sie sich schon. Ihre deutschen Sätze kommen fließend, ohne lange nach Formulierungen suchen zu müssen. Anna Kordsaia-Samadaschwili arbeitet auch als Übersetzerin. Auf Deutsch sind beispielsweise ihre Romane »Wer hat die Tschaika getötet?« oder »Ich, Margarita« erschienen. Sie unterrichtet zudem Kreatives Schreiben und Literatur an der staatlichen Ilia-Universität in Tiflis. Sie liebe die deutsche Literatur, sagt sie. Noch mehr aber die ihres eigenen Landes. »Das einzige, worauf wir wirklich stolz sein können, ist unsere wunderbare Sprache. Aber nur dreieinhalb Millionen Menschen können diese Sprache lesen. Jetzt kommt man dank Frankfurt in die große Literaturgemeinde«, erklärt die Schriftstellerin.
Die georgische Literatur sei herausragend. Der Zustand der Presse hingegen bemitleidenswert. Es gebe keine Leitmedien, denen die Menschen vertrauen könnten. Vieles läuft so scheint es nach dem Satz: »Ohne Igel an den Orgeln keine Orgien in Georgien.« Was bedeutet, dass gerne auch abstruse Geschichten und Gerüchte verbreitet werden, meint die 50-jährige Kulturjournalistin. Es fehlten gründliche Recherchen und länger andauernde Debatten.
»Nichts wird in der Presse oder im Fernsehen länger als drei Tage bearbeitet. Und dann ist es verschwunden. Ich erinnere mich an keine einzige Geschichte, die nicht in der Luft zerstreut wurde. Wer glaubt den Nachrichten überhaupt?«, sagt die kleine energische Frau und zündet sich dabei die nächste Zigarette an. Natürlich könnte man sich nun auch Informationen von ausländischen Medien holen, nur scheitere dies meist an den mangelnden Sprachkenntnissen: »Ein großer Teil der Bevölkerung kann nur Georgisch verstehen.«
Europa, dahin wollen gerade junge Menschen in Georgien. Viele sind in den letzten Jahren ausgewandert. Nur wenige bleiben, um etwa den Journalismus voranzubringen. Die 25-jährige Natia Chekheria von der Rechercheplattform »Studio Monitor« zum Beispiel. Die georgischen Radiosender und Zeitungen spielten nur eine untergeordnete Rolle, sagt sie. Das sei aber auch gut, denn russische Propaganda und Beeinflussung finde im Grunde nur dort statt und stifte dadurch kaum Schaden. Nennenswert sei da höchstens die von Moskau finanzierte Online-Plattform Sputnik Georgia, die als russisches Propaganda-Medium auch ein Online-Radio ausstrahlt. Die Beziehungen zwischen Georgien und Russland sind seit dem Krieg 2008 um die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien mehr als angespannt. Die allermeisten Georgier schauten sowieso vor allem Fernsehen, das nicht russisch beeinflusst wird, erläutert Chekheria. Über 50 Fernsehkanäle gibt es im Land. Aber auch dort sei es schwer, unabhängige Informationen zu erhalten. »Rustavi 2 ist der größte TV-Kanal in Georgien. Aber er gehört zur ›Vereinten Nationalen Bewegung‹, also zur politischen Partei des Ex-Präsidenten Micheil Saakaschwili«, sagt Natia Chekheria.
Also könnte man einen anderen Sender einschalten, denkt man. Nur lande man dort meist nur auf der anderen politischen Seite. Nämlich bei der zur Zeit herrschenden Partei »Der Georgische Traum« des Unternehmers Bidsina Iwanischwili, der als der mit Abstand reichste Mensch in Georgien gilt. »Von ihm abhängig ist der zweite große Sender im Land Imedi.TV. Und in diesen Abhängigkeiten befinden sich unglücklicherweise die meisten Medien hier«, erklärt Chekheria weiter.
Welche Seite aber nun die Wahrheit sagt, verschweigt oder gar zu den eigenen Gunsten verbiegt, könnten die Fernsehzuschauer meist schwer erkennen. Chekheria erläutert das an einem Beispiel. So sei Premierminister Bidsina Iwanischwili vom »Georgischen Traum« in den Finanzskandal um die Panama Papers verwickelt gewesen. 2016 hatten Journalisten ein weltweites Netzwerk enthüllt, das auch prominente Politiker zur Steuerhinterziehung nutzten. »Der einzige Fernsehsender, der die Geschichte aufnahm, war Rustavi TV, der nun wieder abhängig ist von der Oppositionspartei«, sagt Chekheria. »Nach ein paar Tagen kam heraus, dass auch Politiker der Opposition in den Panama Papieren auftauchen. Rustavi TV hat darüber natürlich nichts berichtet, dafür aber dann Imedi.TV.«
Dagegen versucht »Studio Monitor« seit 13 Jahren zumindest im Internet mit Text- und Videobeiträgen ein journalistisches Gegengewicht zu bilden. Unterstützt wird die Rechercheplattform laut Eigenaussage durch die EU-Delegation in Georgien und die Britische Botschaft. Aktuell sind Beiträge über Umweltschäden durch Luftverschmutzung durch den Autoverkehr oder mangelnde Gesundheitsversorgung vor allem in ländlichen Gebieten zu sehen. Wenn die georgischen TV-Stationen sich weigern, gelungene aber eben kritische Beiträ- ge der Onliner zu senden, hat »Studio-Monitor« auch schon ganze Kinos angemietet, um die eigenen Filmbeiträge zu zeigen. Manchmal gelingt es den Investigativ-Journalisten aber auch, dass Fernsehsender ein Thema aufgreifen oder den selbst produzierten Videobeitrag ausstrahlen.
»Bis heute bin ich stolz auf eine Reportage über Micheil Saakaschwilis Privatappartement in New York. Wir konnten Micheil Saakaschwili interviewen. Und er sagte, er sei so arm und nur der Ex-Präsident. Und dann fanden wir zwei seiner Appartements in Brooklyn im Wert von mehreren Millionen Dollar«, erinnert sich die 28 Jahre alte »Studio Monitor«-Kollegin Salome Achba.
Sie sei vor allem aus Idealismus Journalistin geworden, sagt Achba. In ganz Georgien gebe es schätzungsweise gerade einmal 500 Kolleginnen und Kollegen. Auf der internationalen Rangliste der Pressefreiheit stand Georgien 2010 noch auf Platz 99, heute auf Rang 61. Anders als in der benachbarten Türkei oder im nördlichen Russland gebe es in dem kleinen Georgien keine Gefahr oder Bedrohung für heimische Reporter. Noch Anfang der 2000er Jahre wurden auch im Südkaukasus kritische Journalisten ermordet. Doch das scheint lange her. Allerdings meldete die Organisation »Reporter ohne Grenzen« zuletzt, dass der aserbaidschanische Investigativjournalist Afgan Muchtarli im Mai 2017 in der georgischen Hauptstadt Tiflis verschwunden und einen Tag später in Baku wieder aufgetaucht sei, wo er seitdem im Gefängnis sitzt. Man geht schlicht von Entführung aus. In den vergangenen Jahren ist Georgien zum Zufluchtsort für aserbaidschanischer Oppositioneller ge- worden, nachdem das Regime in Baku immer härter gegen Kritiker vorging und bürgerliche Freiheiten beschnitt.
»In Georgien selbst aber herrscht weitgehend Pressefreiheit«, betont Achba. So werde hier beispielsweise der Informanten-Schutz respektiert. Um manche staatliche Dokumente müsse man zwar vor Gericht kämpfen, etwa beim Justizministerium. Aber das sei ja in anderen freien Ländern wie in Deutschland auch nicht viel anders, sagt die junge Reporterin. Bereits 2004 wurden Verleumdungsgesetze zum Schutz der freien Recherche abgeschafft. Dennoch ist der Berufsstand des Reporters unbeliebt. »Es fehlt die Anerkennung und der Respekt durch die Gesellschaft«, so Achba. Es sei viel populärer, ein Arzt zu sein oder ein Anwalt, Richter, Bänker oder eben Politiker.
Auch für Teiko Anjapseridze ist Journalismus vor allem Obsession. Die heute 42 jährige Orientalistin hat zehn Jahre lang in Nachrichtenredaktionen gearbeitet. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder fing sie an zu bloggen, mit Erfolg, ist sie doch nominiert für den renommierten Literaturpreis SABA. Sie hat heute ihre eigene 45-Minuten Radio-Sendung. Wichtig sind ihr vor allem Frauenthemen. Zum Beispiel die Politikerinnen, die in der ersten georgischen Republik 1918-1921 tonangebend waren, bevor die Rote Armee einmarschierte. »Es waren fünf weibliche Abgeordnete, die die erste Unabhängigkeits-Erklärung Georgiens mitunterzeichnet haben. Damit spreche ich indirekt auch an, dass es mehr weibliche Abgeordnete im heutigen georgischen Parlament geben sollte«, sagt Anjapseridze.
In Georgien kursiert der Satz, dass die Männer noch asiatisch, also traditionell, die Frauen im Land eher europäisch und modern ausgerichtet seien. Zu sowjetischen Zeiten sei das Thema Emanzipation nicht populär gewesen, sagt Anjapseridze. Jetzt aber, 100 Jahre nach der ersten Unabhängigkeit, bräuchte es eine Wiederentdeckung der frühen georgischen Frauenbewegung: »Das Hauptziel muss nicht allein sein, dass es mehr Frauen in Führungs-Positionen gibt, sondern dass Frauen besser ausgebildet werden!«
Unabhängige Informationen zu erhalten, ist schwer. Der größte TV Kanal Rustavi 2 gehört der Partei des Ex-Präsidenten Micheil Saakaschwili.