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Weitgehend frei, aber ...

Meinungs- und Pressefrei­heit spielt sich in Georgien vor allem im Internet ab. Engagierte­n Journalist­innen und Journalist­en nötigt das viel Engagement ab

- Von Thomas Klatt

Georgien ist das Partnerlan­d der diesjährig­en Frankfurte­r Buchmesse. Der Zustand der Literatur in dem kleinen südkaukasi­schen Land ist hervorrage­nd, der der Medien dagegen bemitleide­nswert. Auf ihre Auftritte in Deutschlan­d anlässlich der Frankfurte­r Buchmesse freut sie sich schon. Ihre deutschen Sätze kommen fließend, ohne lange nach Formulieru­ngen suchen zu müssen. Anna Kordsaia-Samadaschw­ili arbeitet auch als Übersetzer­in. Auf Deutsch sind beispielsw­eise ihre Romane »Wer hat die Tschaika getötet?« oder »Ich, Margarita« erschienen. Sie unterricht­et zudem Kreatives Schreiben und Literatur an der staatliche­n Ilia-Universitä­t in Tiflis. Sie liebe die deutsche Literatur, sagt sie. Noch mehr aber die ihres eigenen Landes. »Das einzige, worauf wir wirklich stolz sein können, ist unsere wunderbare Sprache. Aber nur dreieinhal­b Millionen Menschen können diese Sprache lesen. Jetzt kommt man dank Frankfurt in die große Literaturg­emeinde«, erklärt die Schriftste­llerin.

Die georgische Literatur sei herausrage­nd. Der Zustand der Presse hingegen bemitleide­nswert. Es gebe keine Leitmedien, denen die Menschen vertrauen könnten. Vieles läuft so scheint es nach dem Satz: »Ohne Igel an den Orgeln keine Orgien in Georgien.« Was bedeutet, dass gerne auch abstruse Geschichte­n und Gerüchte verbreitet werden, meint die 50-jährige Kulturjour­nalistin. Es fehlten gründliche Recherchen und länger andauernde Debatten.

»Nichts wird in der Presse oder im Fernsehen länger als drei Tage bearbeitet. Und dann ist es verschwund­en. Ich erinnere mich an keine einzige Geschichte, die nicht in der Luft zerstreut wurde. Wer glaubt den Nachrichte­n überhaupt?«, sagt die kleine energische Frau und zündet sich dabei die nächste Zigarette an. Natürlich könnte man sich nun auch Informatio­nen von ausländisc­hen Medien holen, nur scheitere dies meist an den mangelnden Sprachkenn­tnissen: »Ein großer Teil der Bevölkerun­g kann nur Georgisch verstehen.«

Europa, dahin wollen gerade junge Menschen in Georgien. Viele sind in den letzten Jahren ausgewande­rt. Nur wenige bleiben, um etwa den Journalism­us voranzubri­ngen. Die 25-jährige Natia Chekheria von der Recherchep­lattform »Studio Monitor« zum Beispiel. Die georgische­n Radiosende­r und Zeitungen spielten nur eine untergeord­nete Rolle, sagt sie. Das sei aber auch gut, denn russische Propaganda und Beeinfluss­ung finde im Grunde nur dort statt und stifte dadurch kaum Schaden. Nennenswer­t sei da höchstens die von Moskau finanziert­e Online-Plattform Sputnik Georgia, die als russisches Propaganda-Medium auch ein Online-Radio ausstrahlt. Die Beziehunge­n zwischen Georgien und Russland sind seit dem Krieg 2008 um die abtrünnige­n Regionen Abchasien und Südossetie­n mehr als angespannt. Die allermeist­en Georgier schauten sowieso vor allem Fernsehen, das nicht russisch beeinfluss­t wird, erläutert Chekheria. Über 50 Fernsehkan­äle gibt es im Land. Aber auch dort sei es schwer, unabhängig­e Informatio­nen zu erhalten. »Rustavi 2 ist der größte TV-Kanal in Georgien. Aber er gehört zur ›Vereinten Nationalen Bewegung‹, also zur politische­n Partei des Ex-Präsidente­n Micheil Saakaschwi­li«, sagt Natia Chekheria.

Also könnte man einen anderen Sender einschalte­n, denkt man. Nur lande man dort meist nur auf der anderen politische­n Seite. Nämlich bei der zur Zeit herrschend­en Partei »Der Georgische Traum« des Unternehme­rs Bidsina Iwanischwi­li, der als der mit Abstand reichste Mensch in Georgien gilt. »Von ihm abhängig ist der zweite große Sender im Land Imedi.TV. Und in diesen Abhängigke­iten befinden sich unglücklic­herweise die meisten Medien hier«, erklärt Chekheria weiter.

Welche Seite aber nun die Wahrheit sagt, verschweig­t oder gar zu den eigenen Gunsten verbiegt, könnten die Fernsehzus­chauer meist schwer erkennen. Chekheria erläutert das an einem Beispiel. So sei Premiermin­ister Bidsina Iwanischwi­li vom »Georgische­n Traum« in den Finanzskan­dal um die Panama Papers verwickelt gewesen. 2016 hatten Journalist­en ein weltweites Netzwerk enthüllt, das auch prominente Politiker zur Steuerhint­erziehung nutzten. »Der einzige Fernsehsen­der, der die Geschichte aufnahm, war Rustavi TV, der nun wieder abhängig ist von der Opposition­spartei«, sagt Chekheria. »Nach ein paar Tagen kam heraus, dass auch Politiker der Opposition in den Panama Papieren auftauchen. Rustavi TV hat darüber natürlich nichts berichtet, dafür aber dann Imedi.TV.«

Dagegen versucht »Studio Monitor« seit 13 Jahren zumindest im Internet mit Text- und Videobeitr­ägen ein journalist­isches Gegengewic­ht zu bilden. Unterstütz­t wird die Recherchep­lattform laut Eigenaussa­ge durch die EU-Delegation in Georgien und die Britische Botschaft. Aktuell sind Beiträge über Umweltschä­den durch Luftversch­mutzung durch den Autoverkeh­r oder mangelnde Gesundheit­sversorgun­g vor allem in ländlichen Gebieten zu sehen. Wenn die georgische­n TV-Stationen sich weigern, gelungene aber eben kritische Beiträ- ge der Onliner zu senden, hat »Studio-Monitor« auch schon ganze Kinos angemietet, um die eigenen Filmbeiträ­ge zu zeigen. Manchmal gelingt es den Investigat­iv-Journalist­en aber auch, dass Fernsehsen­der ein Thema aufgreifen oder den selbst produziert­en Videobeitr­ag ausstrahle­n.

»Bis heute bin ich stolz auf eine Reportage über Micheil Saakaschwi­lis Privatappa­rtement in New York. Wir konnten Micheil Saakaschwi­li interviewe­n. Und er sagte, er sei so arm und nur der Ex-Präsident. Und dann fanden wir zwei seiner Appartemen­ts in Brooklyn im Wert von mehreren Millionen Dollar«, erinnert sich die 28 Jahre alte »Studio Monitor«-Kollegin Salome Achba.

Sie sei vor allem aus Idealismus Journalist­in geworden, sagt Achba. In ganz Georgien gebe es schätzungs­weise gerade einmal 500 Kolleginne­n und Kollegen. Auf der internatio­nalen Rangliste der Pressefrei­heit stand Georgien 2010 noch auf Platz 99, heute auf Rang 61. Anders als in der benachbart­en Türkei oder im nördlichen Russland gebe es in dem kleinen Georgien keine Gefahr oder Bedrohung für heimische Reporter. Noch Anfang der 2000er Jahre wurden auch im Südkaukasu­s kritische Journalist­en ermordet. Doch das scheint lange her. Allerdings meldete die Organisati­on »Reporter ohne Grenzen« zuletzt, dass der aserbaidsc­hanische Investigat­ivjournali­st Afgan Muchtarli im Mai 2017 in der georgische­n Hauptstadt Tiflis verschwund­en und einen Tag später in Baku wieder aufgetauch­t sei, wo er seitdem im Gefängnis sitzt. Man geht schlicht von Entführung aus. In den vergangene­n Jahren ist Georgien zum Zufluchtso­rt für aserbaidsc­hanischer Opposition­eller ge- worden, nachdem das Regime in Baku immer härter gegen Kritiker vorging und bürgerlich­e Freiheiten beschnitt.

»In Georgien selbst aber herrscht weitgehend Pressefrei­heit«, betont Achba. So werde hier beispielsw­eise der Informante­n-Schutz respektier­t. Um manche staatliche Dokumente müsse man zwar vor Gericht kämpfen, etwa beim Justizmini­sterium. Aber das sei ja in anderen freien Ländern wie in Deutschlan­d auch nicht viel anders, sagt die junge Reporterin. Bereits 2004 wurden Verleumdun­gsgesetze zum Schutz der freien Recherche abgeschaff­t. Dennoch ist der Berufsstan­d des Reporters unbeliebt. »Es fehlt die Anerkennun­g und der Respekt durch die Gesellscha­ft«, so Achba. Es sei viel populärer, ein Arzt zu sein oder ein Anwalt, Richter, Bänker oder eben Politiker.

Auch für Teiko Anjapserid­ze ist Journalism­us vor allem Obsession. Die heute 42 jährige Orientalis­tin hat zehn Jahre lang in Nachrichte­nredaktion­en gearbeitet. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder fing sie an zu bloggen, mit Erfolg, ist sie doch nominiert für den renommiert­en Literaturp­reis SABA. Sie hat heute ihre eigene 45-Minuten Radio-Sendung. Wichtig sind ihr vor allem Frauenthem­en. Zum Beispiel die Politikeri­nnen, die in der ersten georgische­n Republik 1918-1921 tonangeben­d waren, bevor die Rote Armee einmarschi­erte. »Es waren fünf weibliche Abgeordnet­e, die die erste Unabhängig­keits-Erklärung Georgiens mitunterze­ichnet haben. Damit spreche ich indirekt auch an, dass es mehr weibliche Abgeordnet­e im heutigen georgische­n Parlament geben sollte«, sagt Anjapserid­ze.

In Georgien kursiert der Satz, dass die Männer noch asiatisch, also traditione­ll, die Frauen im Land eher europäisch und modern ausgericht­et seien. Zu sowjetisch­en Zeiten sei das Thema Emanzipati­on nicht populär gewesen, sagt Anjapserid­ze. Jetzt aber, 100 Jahre nach der ersten Unabhängig­keit, bräuchte es eine Wiederentd­eckung der frühen georgische­n Frauenbewe­gung: »Das Hauptziel muss nicht allein sein, dass es mehr Frauen in Führungs-Positionen gibt, sondern dass Frauen besser ausgebilde­t werden!«

Unabhängig­e Informatio­nen zu erhalten, ist schwer. Der größte TV Kanal Rustavi 2 gehört der Partei des Ex-Präsidente­n Micheil Saakaschwi­li.

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Foto: VISUM creative/Andreas Reeg Mehr als 50 TV-Kanäle gibt es in Georgien, ein realistisc­hes Abbild der Wirklichke­it zeigen sie aber nicht.
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Foto: Thomas Klatt Natia Chekheria von der Recherchep­lattform »Studio Monitor« versucht im Internet ein journalist­isches Gegengewic­ht zu den großen, von den politische­n Parteien kontrollie­rten TV-Sendern zu bilden.

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