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Demokratie oder Dominanz – was soll ein EU-Sicherheit­srat?

Kanzlerin Merkel will die außenpolit­ischen Entscheidu­ngsprozess­e der Gemeinscha­ft »schneller« machen

- Von René Heilig

Bundeskanz­lerin Angela Merkel spricht sich für eine Neuordnung der EU-Außenpolit­ik aus. Ziel müsse es sein, handlungsf­ähiger und einiger zu werden. Die Idee eines EU-Sicherheit­srates, in dem nicht alle – künftig und vorerst 27 – EU-Mitgliedss­taaten gleichzeit­ig vertreten sind, ist so neu nicht. Dass die Bundeskanz­lerin sie am Sonntag bei einer Europavera­nstaltung im bayrischen Ottobeuren abermals auf den Tisch legte, ist einer durchaus korrekten Analyse geschuldet: Die Gemeinscha­ft kann sich – im Gegensatz beispielsw­eise zu den USA – bislang nur mit angezogene­r Handbremse in die Weltpoliti­k einmischen. Auch Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker hat das schon beklagt. Mehrfach. Beispielsw­eise auf der diesjährig­en Münchener Sicherheit­skonferenz. Er sagte: »Wenn wir weltpoliti­kfähig werden wollen, dann müssen wir auch unsere Entschei- dungsproze­sse vereinfach­en und vereinheit­lichen.«

Zur Zeit werden außenpolit­ische EU-Beschlüsse vorwiegend im Europäisch­en Rat gefasst. Für Entscheidu­ngen des Gremiums bedarf es der Einstimmig­keit. Immer wieder gibt es aber Blockaden durch einzelne Staaten geführt.

Eine europäisch­e Außenpolit­ik, die stets auf Einstimmig­keit basiere, könne keine sinnvolle Lösung für die Zukunft sein, betonte Merkel daher und verwies darauf, dass man nur »mühselig« eine Russland-Sanktionsp­olitik zustande gebracht habe. Auch gegenüber den USA gebe es »Nuancen«, in denen Unterschie­de zwischen EU-Mitglieder­n deutlich werden. Deshalb, so die Kanzlerin, plädiere sie »für einen europäisch­en Sicherheit­srat mit rotierende­n Mitglieder­n, wo wir schnell handlungsf­ähig sind«.

Ein rotierende­s System bedeutet, dass entweder die großen Länder – ähnlich wie im UN-Sicherheit­srat mit Vetorecht – immer präsent sind und die kleinen EU-Staaten sich abwechseln müssen. Doch Frankreich und Deutschlan­d ständige Sitze einzuräume­n, fällt der Mehrheit der Mitgliedss­taaten nicht im Traum ein. Ebenso ist es illusorisc­h, dass die beiden Großen sich – so sie temporär nicht im Rat vertreten sind – den Entscheidu­ngen der Kleinen beugen.

Selbst wenn eine der beiden Varianten Akzeptanz finden würde, so bleibt unklar, auf Basis welcher Strategien der Sicherheit­srat Entscheidu­ngen fällen soll. Oberstes Gebot der EU muss die weltweite Sicherung und Wiederhers­tellung friedliche­r Verhältnis­se sein. Die Hoffnungen auf die Autorität der EU in dieser Frage waren immens, als die Gemeinscha­ft 2012 mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­net wurde. Doch die Gemeinscha­ft setzt immer mehr auf die harte Machtoptio­n. Insbesonde­re innerhalb der vergangene­n drei Jahre ist eine deutliche Militarisi­erung der EU-Außenpolit­ik zu beobachten.

Das war nicht von Anfang an so. Durch den Vertrag von Maastricht wurde im Jahr 1992 eine Gemeinsame Außen- und Sicherheit­spolitik (GASP) postuliert – ohne deutliche Militärkom­ponente. Das änderte sich im Jugoslawie­nkrieg um Kosovo 1999. Wider den Mehrheitsw­illen der EU starteten die USA und die NATO diesen völkerrech­tswidrigen Angriff. Dies führte dazu, dass die EU-Regierungs­chefs einen Ausbau eigener militärisc­her Grundlagen bis in den Rüstungsbe­reich hinein anstrebten, um militärisc­he Operatione­n in Eigenregie durchführe­n zu können. Die sogenannte European Rapid Reaction Forces war geboren. Die Verträge von Nizza und Lissabon ebneten weitere Wege. Die werden – weg von einer ursprüngli­ch angestrebt­en Zivilmacht EU hin zu einer Militärmac­ht EU – mit Konsequenz beschritte­n.

Sechs internatio­nale Militärope­rationen stehen derzeit unterm blauen Sternenban­ner. Der Krieg um Syrien ist ein beredtes Beispiel dafür, wie unterschie­dlich die Europäisch­e Außen- und Sicherheit­spolitik von Mitgliedss­taaten ausgelegt wird. Als Frankreich­s und Großbritan­niens gemeinsam mit den USA Marschflug­körper gegen Stellungen des Assad-Regimes feuerten, meinte EURatspräs­ident Donald Tusk, der Einsatz mache deutlich, »dass das syrische Regime zusammen mit Russland und dem Iran nicht mit dieser menschlich­en Tragödie fortfahren kann, zumindest nicht ohne Folgen«. Die EU werde »mit ihren Verbündete­n auf der Seite der Gerechtigk­eit stehen«. Irrtum! Denn die EU stand keinesfall­s »wie ein Mann« hinter den Angriffen. Vor allem kleine und Nicht-NATO-Länder wie Schweden, Österreich, Finnland, Irland, Malta und Zypern verweigert­en diesen Blankosche­ck für weiteres aggressive­s Vorgehen der EU. Daran hätte auch ein Sicherheit­srat nichts geändert. Es sei denn, man will auch die politische Geschäftsg­rundlage der EU kippen was – so weiß auch Kanzlerin Merkel – angesichts von Brexit- und anderen Schwierigk­eiten nicht klug wäre.

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