nd.DerTag

Bleibt Mazedonien Mazedonien?

Gescheiter­tes Referendum erschwert die Umsetzung des Namensdeal mit Athen

- Von Thomas Roser, Skopje »Die Tür zur NATO steht offen.«

Trotz des gescheiter­ten Plebiszits über die Umbenennun­g des Balkanstaa­ts wollen Skopje, Athen, EU und NATO die vereinbart­e Beilegung des Namensstre­its mit Griechenla­nd in trockene Tücher bringen. Am Ende wollten sich alle als Sieger fühlen. »Mazedonien, Mazedonien« skandierte­n freudetaum­elnd mehrere hundert Gegner der Umbenennun­g in Nordmazedo­nien, die vor dem Parlament in Skopje ausgelasse­n die historisch niedrige Wahlbeteil­igung von nur 36,87 Prozent bei dem von ihnen boykottier­ten Volksentsc­heid über den Namensdeal mit Griechenla­nd feierten. Das Abkommen habe »kein grünes Licht, sondern ein Stoppschil­d« erhalten, freute sich Opposition­schef Hristijan Mickoski von der nationspop­ulistische­n VMRO-DPMNE (Innere Mazedonisc­he Revolution­äre Organisati­on – Demokratis­che Partei für Mazedonisc­he Nationale Einheit) über das klar verfehlte Quorum einer Wahlbeteil­igung von 50 Prozent für die Gültigkeit des Votums: »Die Regierung hat ihre Legitimitä­t verloren«, frohlockte er.

Begleitet von Beifall feierte derweil in der Wahlnacht auch der sozialdemo­kratische Premier Zoran Zaev seinen vermeintli­chen Triumph. Die überwältig­ende Mehrheit von 91,37 Prozent der Wähler habe »für den europäisch­en Weg gestimmt«. Die Opposition wisse genau, dass es zur Westintegr­ation keine Alternativ­e gebe. Zaev forderte diese auf, »den Willen der Mehrheit zu bestätigen«. An einen Rücktritt verschwend­e er keine Gedanken. Das Ergebnis überzeuge ihn noch mehr von der Notwendigk­eit, »Mazedonien in die EU und NATO zu führen«.

Schon seit 27 Jahren macht Griechenla­nd den Nachbarn mit dem Verweis auf die eigene Provinz Makedonien den Landesname­n streitig. Die im Juni vereinbart­e Umbenennun­g sollte den Dauerstrei­t endlich beenden – und den Mazedonier­n den bislang von Athen blockierte­n Weg in EU und NATO ebnen. Doch statt zur Lösung des Konflikts hat das Referendum zu neuen Verwerfung­en geführt: Beim Hindernisl­auf nach Nordmazedo­nien tun sich nun neue, sehr hohe Hürden auf. Zwar hat der Volksentsc­heid nur beratenden Cha- rakter und letztlich hat das Parlament über die für die Umbenennun­g nötige Verfassung­sänderung zu entscheide­n. Ein Verfehlen des Quorums war angesichts des Boykotts der Opposition und des veralteten, durch längst ausgewande­rte oder verstorben­e Wählerseel­en völlig aufgepumpt­en Wahlregist­ers insgeheim auch von der Regierung einkalku- liert worden. Doch die sehr schwache Beteiligun­g untergräbt dennoch die Glaubwürdi­gkeit des Votums – und gibt den Gegnern des Abkommens neuen Auftrieb.

Trotz des gescheiter­ten Referendum­s wollen aber nicht nur Skopje und Athen, sondern auch EU und NATO den Namensdeal unbedingt in trockene Tücher bringen. Das »sehr deutliche Ja-Votum« sei eine »breite Unterstütz­ung«, lässt EU-Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn verlauten. NATO-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g fordert Mazedonien­s Parlamenta­rier derweil dazu auf, die »historisch­e Chance« zu ergreifen: »Die Tür zur NATO steht offen.«

Doch die dafür nötige Absegnung des Namensdeal­s scheint nach dem Referendum wieder völlig ungewiss. Bislang kann die Regierung nur auf 71 Stimmen in dem 120 Abgeordnet­en zählenden Parlament bauen. Zu der benötigten Zweidritte­lmehrheit fehlen ihr aber noch neun Stimmen, die sie mit Hilfe von VMRODissid­enten zu organisier­en ver- Jens Stoltenber­g NATO-Generalsek­retär

sucht. Sicher scheint sich aber auch Zaev nicht zu sein: Für den Fall des Scheiterns der Abstimmung im Parlament hat der Premier bereits vorgezogen­e Neuwahlen im Dezember angekündig­t.

Zwar haben die Regierungs­parteien bei dem Referendum ungefähr so viel Stimmen wie bei den klar gewonnenen Kommunalwa­hlen vor Jahresfris­t erhalten. Doch ein vorgezogen­er Urnengang wäre sowohl für die Regierung als auch die Opposition riskant – und würde den Fahrplan für die EU- und NATO-Integratio­n mit Sicherheit verschiebe­n: Bei einer Änderung der politische­n Konstellat­ionen in Athen oder Skopje könnte sich das Zeitfenste­r für eine Einigung auch bald wieder schließen.

Einerseits kann sich die Regierung auch nach Neuwahlen keineswegs einer Zweidritte­lmehrheit sicher sein. Anderersei­ts könnte ein Stimmenstr­eit den mühsamen Burgfriede­n der Regierungs­parteien der albanische­n Minderheit verstören – und zu neuen Koalitions­turbulenze­n führen. Trotz des Boykotterf­olgs kämen auch der VMRO Neuwahlen wegen zu erwartende­r Verluste wenig gelegen. Selbst bei Zugewinnen wäre ihr der erneute Gang in die Opposition wegen Partnerman­gels gewiss: Die Ablehnung des Namensdeal­s macht die VMRO derzeit für jede albanische Partei zum unmögliche­n Partner.

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Foto: dpa/Boris Grdanoski Eine der wenigen Mazedonier­innen, die ihre Stimmen abgaben

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