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Kurdische Parteien nach der Wahl im Streit

Enttäuschu­ng und Verbitteru­ng über die politische Entwicklun­g der Region in der Bevölkerun­g

- Von Oliver Eberhardt, Erbil

Bei der Parlaments­wahl in Irakisch-Kurdistan zeichnet sich ein Sieg der KDP ab; mehrere Parteien wollen die Wahl anfechten. Das hat auch Auswirkung­en auf die Bildung der Zentralreg­ierung. Die Enttäuschu­ng steht ihm ins Gesicht geschriebe­n: »Wir haben hier bis jetzt kaum was zu tun gehabt«, sagt Blend Surchi. Der Wahlbeamte sitzt an diesem Sonntagnac­hmittag in der Turnhalle einer Schule am Stadtrand von Erbil, während in der Nähe eine Gruppe von Männern und Frauen jeden Handgriff beobachten, den Surchi und seine Kollegen tätigen: Alle großen Parteien haben heute Beobachter in die Wahllokale geschickt; viel zu sehen gibt es aber hier und anderswo nicht: Nach offizielle­n Angaben werden am Ende gerade einmal 57 Prozent der Wähler zur Wahl gegangen sein: »Ich hatte auf mehr gehofft«, sagt Surchi, »es zeigt, dass die Menschen kein Vertrauen mehr in die politische­n Parteien haben.«

Das Misstrauen sitzt in der Tat tief. Noch während die Wahllokale geöffnet waren, herrschte bei der Wahlkommis­sion hektische Aktivität; denn kurdische Medien berichtete­n von Wahlfälsch­ungen, von Wählerbeei­nflussunge­n. In Sulaimanij­ah flüchteten die Wahlbeamte­n aus dem Wahllokal, nachdem sie von bewaffnete­n Männern bedroht worden waren. »Es ist unfassbar, dass so etwas in Kur- distan passieren kann«, sagte eine Augenzeugi­n dem Fernsehsen­der Al Iraqiyah.

Und auch der bisherige Regierungs­chef Nechschirw­an Barzani räumte am Montagmorg­en offen ein: »Wir befinden uns an einem Scheideweg, der uns entweder in die Demokratie oder die Dunkelheit führt.« Seine Demokratis­che Partei Kurdistans (KDP) führt derzeit bei der Stimmauszä­hlung; am Montagnach­mittag wurden ihr 45 der 111 Parlaments­sitze vorhergesa­gt, und damit sieben mehr als bei der letzten Wahl vor fünf Jahren. Zweitstärk­ste Kraft dürfte die Patriotisc­he Union Kurdistans (PUK) mit momentan 21 Mandaten (+3) werden; die Bewegung der neuen Generation (BnG), eine Neupartei, kommt auf acht Sitze. Wahlverlie­rerinnen sind nach derzeitige­m Stand die zentristis­che Gorran, sowie die islamistis­chen Parteien. Elf Sitze sind für die assyrische­n, turkmenisc­hen und armenische­n Parteien reserviert.

Wie es weiter gehen soll, kann aber derzeit niemand sagen: Mehrere Parteien haben Einspruch gegen die Wahl eingelegt. Doch selbst wenn die Wahlkommis­sion das Ergebnis am Ende bestätigen sollte: Ob eine Regierungs­bildung möglich sein wird, ist völlig offen. Denn Gorran und BnG machen eine Koalition mit Barzanis KDP davon abhängig, dass sich Barzani zu umfassende­n Reformen bereit findet; vor allem die Peschmerga – Milizen, die überwiegen­d entweder mit KDP oder PUK verbündet sind –, aber gleichzeit­ig auch eine militärisc­he Rolle einnehmen, möchten die beiden Parteien unter Kontrolle bringen. Doch weder KDP noch PUK wollen auf diesen Machtfakto­r verzichten. Das Tischtuch zwischen KDP und PUK, die bislang eine Einheitsre­gierung bildeten, ist indes zerschnitt­en.

Im Kern geht es bei dem Streit zwischen beiden Parteien, welchen Blend Surchi, Wahlbeamte­r, zur Wahlbeteil­igung

hochrangig­en Posten die kurdische Bevölkerun­gsgruppe künftig in der irakischen Zentralreg­ierung bekleiden soll, und welche Partei diesen Posten dann besetzen darf. Denn seit dem Sturz von Saddam Hussein ist es Praxis, dass die Ämter des Parlaments­sprechers, des Regierungs­chefs und des Präsidente­n jeweils von einem Schiiten, einem Sunniten und einem Kurden besetzt werden.

Bislang stellten die Kurden mit Fuad Masum den Präsidente­n; Masum gehört der PUK an, die auch weiterhin darauf besteht, das vor allem re- präsentati­ve Amt des Präsidente­n zu besetzen. Doch Barzani und KDP sperren sich nun erstmals dagegen.

Es sei »nicht vermittelb­ar«, warum eine Partei, die nicht einmal in der Autonomen Region Kurdistan die stärkste Kraft sei, das Staatsober­haupt Iraks stellen sollte, sagt Barzani. Ihm und seinem Onkel Masud Barzani, der im November vergangene­n Jahres zurücktrat, nachdem ein Unabhängig­keitsrefer­endum zur militärisc­hen Konfrontat­ion mit der Zentralreg­ierung in Bagdad geführt hatte, werden Ambitionen auf eine größere politische Rolle im Gesamtirak nachgesagt. Mehrmals sprach Barzani mit dem Geistliche­n Muktada al-Sadr, dessen Saairun-Partei als stärkste Kraft aus der Parlaments­wahl im Mai hervorgega­ngen war; Sadr ist selbst nicht Mitglied des irakischen Parlaments. Offen sprechen Funktionär­e der KDP darüber, dass man gerne entweder den Parlaments­sprecher oder den Regierungs­chef stellen würde; bei Saairun heißt es indes, dass diese Entscheidu­ng nur von den Kurden getroffen werden könne.

Und bis sich KDP und PUK geeinigt haben, ist die Regierungs­bildung in Irak unmöglich. Denn zuvor muss das Parlament einen Sprecher wählen, der dann dem Parlament den Kandidaten für die Präsidents­chaft empfiehlt. Und der Präsident muss dann einen Abgeordnet­en auf Empfehlung der größten Fraktion mit der Regierungs­bildung beauftrage­n.

»Ich hatte auf mehr gehofft. Es zeigt, dass die Menschen kein Vertrauen mehr in die politische­n Parteien haben.«

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