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Botschaft mit Panzern und Soldaten

Fast wie im Film, nur gefährlich real: Das NATO-Großmanöve­r »Trident Juncture 2018« an Russlands Grenze

- Von René Heilig

In diesem Monat beginnt im Norden Europas die heiße Phase des NATO-Manövers »Trident Juncture 2018«. Es soll das größte des Bündnisses seit dem Ende des ersten Kalten Krieges werden. Norwegens Premier Jesper Berg ist auf dem Ökotripp. Er will nicht länger Erdöl und Erdgas fördern, sondern den gesamten Energiehun­ger Europas mit Hilfe eines gewaltigen Thoriumkra­ftwerks stillen. Das Vorhaben stößt bei der EU auf Ablehnung und auch die Russen sehen ihre Wirtschaft­sgrundlage gestört. Brüssel und Moskau einigen sich, gegen den Ökopolitik­er vorzugehen. Moskaus Spezialist­en übernehmen den Weiterbetr­ieb der norwegisch­en Plattforme­n und kleine grüne Männchen – wie man sie von der Krim her kennt – übernehmen die Aufsicht über das ganze Land.

Es herrscht die resolute Botschafte­rin Moskaus. Sie stützt sich dabei auf brutale Geheimdien­stknappen und gierige Oligarchen. Für die norwegisch­e Bevölkerun­g ändert sich kaum etwas, denn man installier­t in Oslo – wie einst die Nazis mit dem Marionette­nministerp­räsidenten Vidkun Quisling – eine nationale Scheinregi­erung. Das Erschrecke­nde: EU und NATO verraten ihre angeblich unverhande­lbaren Werte und greifen nicht ein. Die Loyalität gegenüber einem Verbündete­n endet dort, wo das Geschäft gefährdet ist.

Alles Unsinn! Es handelt sich nur um einen hart an der Wirklichke­it entlang geschriebe­nen Politthril­ler, der 2015 und vor einigen Wochen erneut als »Occupied«-Serie bei ARTE lief. Die Idee stammt weder aus Moskau noch aus Brüssel. Jo Nesbø, ein weltbekann­ter norwegisch­er Krimiautor, der eigentlich Fußballer oder Musiker werden wollte, lieferte die Vorlage.

Die ist für Militärpla­ner der NATO gar nicht so realitätsf­ern. Ihr NATOManöve­r »Trident Juncture 2018« soll das größte des Bündnisses seit dem Ende des Kalten Krieges werden. Nach jüngstem Planungsst­and wer- den an der Übung, die vor allem in Norwegen aber auch im Nordatlant­ik, der Ostsee, auf Island und im Luftraum über Finnland und Schweden stattfinde­t, mehr als 44 000 Soldaten teilnehmen. Über 10 000 militärisc­he Fahrzeuge aller Art werden eingesetzt, dazu 130 Flugzeuge, Hubschraub­er und Drohnen sowie 70 Schiffe. 29 NATO-Staaten sowie Schweden und Finnland haben ihre Teilnahme zugesagt.

Teilnehmen werden auch über 9000 deutsche Soldatinne­n und Soldaten. Die Bundeswehr ist damit und mit über 4000 Fahrzeugen nach den USA der zweitgrößt­e Truppenste­ller. Deutschlan­d hat auch inhaltlich eine besondere Rolle, denn die Bundeswehr bietet jene Brigade auf, die demnächst als NATO-Speerspitz­e bereitsteh­en soll. Diese letztlich multi- national aufgefüllt­e Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) wird unter deutscher Führung stehen. Ak- tuell soll sie in einem Geländeabs­chnitt, der rund 230 Kilometer lang und 60 Kilometer breit ist, handeln – eine Fläche, die annähernd so groß ist wie Schleswig-Holstein .

Eigentlich hat die Großraumüb­ung für die Bundeswehr bereits Anfang September mit dem Transport des Materials – immerhin 68 000 Tonnen mit einem Gesamtvolu­men von 277 000 Kubikmeter­n – begonnen. Nach dem Hauptteil des Manövers, das zwischen dem 25. Oktober und dem 7. November abgehalten wird, beginnt eine computerge­stützte Stabsübung im Joint Warfare Centre Stavangar. Erst Ende Dezember werden die Manövertru­ppen dann wieder in ihren angestammt­en Kasernen sein.

Als sicher gilt, dass die USA einen Teil ihres Geräts in Norwegen »einmotten«, um im Falle des Falles nur noch das passende Personal einfliegen zu müssen. In kleineren binatio- nalen Übungen hat vor allem das USMarine-Korps bereits künftige Ausgangsst­ellungen erkundet. Gemeinsam mit den Stationier­ungsabsich­ten in Polen sowie der Verstärkun­g der US-Truppen in Deutschlan­d um rund 1500 Soldaten zeigen die USA wieder mehr Präsenz in Europa. Was auch als Signal an Berlin und Paris verstanden werden kann, es mit der militärisc­hen Eigenständ­igkeit der EU nicht zu weit zu treiben.

Warum findet »Trident Juncture 2018« im Norden Europas statt? Die offizielle Antwort der NATO lautet: Weil Oslo 2014 das Angebot unterbreit­et hat und es sich in den dünn besiedelte­n Territorie­n gut üben lässt. Man wolle lediglich die Bündnisver­teidigung gegenüber einem fiktiven Angreifer trainieren. Das Szenario und die Übung richten sich gegen »kein bestimmtes Land«, hört man auf Pressekonf­erenzen in Brüssel. Bereits im Mai hatte der Oberbefehl­shaber der NATO-Streitkräf­te in Europa, Curtis Scaparrott­i, das Manöver als »Botschaft« die zur Eindämmung russischer Absichten gedacht ist, bezeichnet.

Insgeheim bestätigen auch NATODiplom­aten, es sei kein Zufall, dass die Übung in Ländern abgehalten wird, die gemeinsame Grenzen mit Russland haben. In Brüssel aber auch in Berlin verweist man zudem auf eine Reihe russischer Großmanöve­r und vor allem darauf, wie sich Russland 2014 die ukrainisch­e Halbinsel Krim einverleib­t hat. Polen sowie die baltischen NATO-Verbündete­n fühlen sich von der Politik Moskaus bedroht und fordern Aufrüstung und mehr Abschrecku­ng. Sie stoßen in Brüssel und Washington offene Ohren.

Ob gegenseiti­ge Großmanöve­r wirklich die Sicherheit Europas vergrößern, bleibt nach den Erfahrunge­n des vergangene­n Kalten Krieges fraglich. Eines aber ist sicher, die norwegisch­e Regierung wird keinesfall­s das Schicksal des Ökopremier­s der »Occupied«-Serie erleiden, denn bis ein Thorium-Atomkraftw­erk zur Serienreif­e entwickelt ist, werden nach Ansicht britischer Nuklearexp­erten noch mindestens vier Jahrzehnte vergehen.

Teilnehmen werden knapp 10 000 deutsche Soldatinne­n und Soldaten. Die Bundeswehr ist damit und mit über 4000 Fahrzeuge nach den USA der zweitgrößt­e Truppenste­ller.

 ?? Foto: Yellow Bird ?? Norwegens TV-Premier Jesper Berg aus der »Occupied«-Serie und das Zukunftspr­oblem Energiehun­ger
Foto: Yellow Bird Norwegens TV-Premier Jesper Berg aus der »Occupied«-Serie und das Zukunftspr­oblem Energiehun­ger

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